Pflege: "Angehörige sind am Limit", sagt VdK-Präsidentin Bentele

Interview

Care-Arbeit in Deutschland:Bentele: "Pflegende Angehörige sind am Limit"

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Über 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen betreut. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, fordert Entlastung und auch einen Pflegelohn.

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Pflegekräfte fehlen, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Mehr als vier von fünf Betroffenen werden zu Hause betreut - meist von Angehörigen. Sie leisten im Schnitt fast 50 Stunden Pflege pro Woche.

Viele stoßen an körperliche, psychische und finanzielle Grenzen. Im ZDFheute-Interview fordert Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, gezielte Unterstützung - bis hin zu einem Pflegelohn.

ZDFheute: Mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut. Welche Bedeutung haben pflegende Angehörige für unser Pflegesystem?

Verena Bentele
Quelle: ddp

... ist seit 2018 Präsidentin des Sozialverbands VdK. Die frühere Spitzensportlerin und Paralympics-Siegerin war davor Behindertenbeauftragte der Bundesregierung und ist Mitglied der SPD.


Bentele: Die Pflegebedürftigen sind auf ihre Angehörigen angewiesen.

Zwar helfen Pflegedienste oder tagesstrukturierende Angebote, aber die Hauptlast tragen Angehörige.

70 Prozent sind Frauen, die an sieben Tagen pro Woche sehr viele Stunden investieren. Dabei geraten sie selbst gesundheitlich und psychisch stark unter Druck und brauchen dringend Entlastung.

ZDFheute: Könnte die Pflege ohne Angehörige funktionieren?

Bentele: Nein. Über die Hälfte aller Pflegebedürftigen - 3,1 Millionen Menschen - wird zu Hause nur durch Angehörige gepflegt. Die Zahl der professionellen Pflegekräfte könnte das heute schon nicht abdecken.

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Viele Menschen wollen auch nicht in ein Heim. Für sie ist Betreuung zu Hause essenziell - unterstützt durch Familie, Nachbarn und Freunde.

Dafür braucht es Strukturen wie eine Lohnersatzleistung, damit Pflegende ohne große finanzielle Einbußen ihre Arbeit reduzieren können.

ZDFheute: Pflegende Angehörige leisten im Schnitt 49 Stunden Arbeit pro Woche. Welche Folgen hat diese Belastung?

Bentele: Viele pflegende Angehörige sind am Limit. Sie schlafen oft nicht durch, haben tagsüber kaum Gelegenheit einzukaufen, sich zu erholen oder eine Reha zu machen. Ersatz zu finden ist extrem schwierig. Deshalb brauchen wir mehr ambulante Dienste, Kurzzeit- und Nachtpflegeplätze.

pflegende Angehörige (rechts)

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ZDFheute: Was bräuchten Angehörige konkret?

Bentele: Entlastung durch Tagespflege oder ambulante Dienste, wenn sie einmal wegmüssen. Außerdem finanzielle Sicherheit. Das Pflegegeld deckt Alltagskosten, ist aber kein Lohnersatz.

Viele Angehörige - meist Frauen - reduzieren ihre Erwerbstätigkeit oder geben sie ganz auf und haben enorme Einkommensverluste. Hier braucht es Kompensation.

ZDFheute: Sie schlagen einen Pflegelohn vor. Wie soll er funktionieren?

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Bentele: Wir fordern einen Pflegelohn, der nicht am früheren Gehalt bemessen ist, sondern am Pflegegrad. Der Unterschied, ob jemand Pflegegrad 2 oder 5 hat, ist erheblich.

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Bentele: Rentenpunkte sind wichtig und das Pflegegeld hilft im Alltag. Aber ein Pflegelohn wäre direkt für Angehörige gedacht - zur sozialen und finanziellen Absicherung.

Dafür müssten auch Pflegeversicherungsbeiträge gezahlt werden. So gäbe es mehr Rentenpunkte und zugleich finanzielle Stabilität während der Pflege.

Das Interview führte Simon Pfanzelt, ZDF-Landesstudio Bayern.

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