Magdeburg-Anschlag: Opferanwalt über die Hoffnung Betroffener

Interview

Opferanwalt vor Prozessbeginn:Anschlag von Magdeburg: Was sich Betroffene erhoffen

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In Kürze beginnt der Prozess zum Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024. Opferanwalt Klaus vertritt zahlreiche Geschädigte und spricht über ihre Erwartungen.

Magdeburg Weihnachtsmarkt

Während in Magdeburg der Weihnachtsmarkt aufgebaut wird, beginnt am Montag der Prozess gegen den Mann, der vor einem Jahr durch die Menge raste. Sechs Menschen starben, über 300 wurden verletzt.

08.11.2025 | 5:45 min

Beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 wurden sechs Menschen getötet und mehr als 300 körperlich verletzt. Am Montag beginnt der Prozess gegen den Täter. ZDFheute hat mit Opferanwalt Thomas Klaus gesprochen. Er vertritt rund 100 Geschädigte in der Nebenklage.

ZDFheute: Mit welchen Anliegen sind die Betroffenen zu Ihnen gekommen, was wollen sie im Prozess erreichen?

Klaus: In erster Linie möchten sie als Opfer sichtbar werden. Sie wünschen eine Anerkennung, dass ihnen großes Unrecht geschehen ist - das aus ihrer Sicht nicht hätte passieren müssen, wenn man nur frühzeitig genug den auffällig gewordenen Täter aus dem Verkehr gezogen hätte.

Und sie wollen die Frage beantwortet wissen: Wieso konnte überhaupt jemand mit einem Auto einfach so über den Weihnachtsmarkt fahren? Das wird in diesem Prozess nicht alles geklärt werden, aber das treibt die Menschen um.

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ZDFheute: In Kürze beginnt der Prozess gegen den Mann, der ihnen so viel Leid zugefügt hat. Mit welchen Gefühlen blicken Ihre Mandanten auf den Termin?

Klaus: In gewisser Weise fiebern sie auf den Prozessauftakt hin. Aber ich denke, dass nur wenige im Gerichtssaal dabei sein werden.

Als Überlebende eines solchen Anschlags haben sie mit großen Ängsten zu kämpfen.

Thomas Klaus, Opferanwalt

Zum Beispiel, dass es während des Prozesses zu einem Anschlag kommen und sie zu wieder zu Schaden kommen könnten. Vor allem aber scheuen viele tatsächlich eine Konfrontation mit dem Täter.

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ZDFheute: Die Anklage gegen Taleb A. lautet unter anderem auf Mord an sechs Menschen, versuchten Mord an 338 Personen sowie gefährliche Körperverletzung in 309 Fällen. Welches Urteil liegt im Bereich des Möglichen?

Klaus: Wir dürfen aus Sicht der Geschädigten und eigentlich auch aus Sicht der Gesellschaft erwarten, dass er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird. Es gibt keine Gründe anzunehmen, dass der Angeklagte nicht voll schuldfähig wäre.

Zudem weicht die Tat von sonstigen Mordstraftaten ab. Sie überbietet sie förmlich.

Thomas Klaus, Opferanwalt

Deshalb ist für meine Begriffe auch klar zu erwarten, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellen muss. Dass bedeutet, dass er nicht bereits nach 15 Jahren entlassen werden kann. Ich gehe davon aus, dass er mindestens 25 Jahre verbüßen muss.

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ZDFheute: Das Magdeburger Landgericht hatte im September das Verfahren der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zur Übernahme vorgelegt. Wie bewerten Sie deren Ablehnung, weil der Täter "nur" aus persönlicher Frustration gehandelt habe, es also an einem Staatsschutzhintergrund fehle?

Klaus: Das bewerte ich als durchaus kritisch. Die erste Entscheidung des Generalbundesanwaltes war ja schon im Januar getroffen worden, also unmittelbar nach der Tat eigentlich. Auf welcher Grundlage - das erschließt sich mir nicht. Damals wie heute kann ich es nicht nachvollziehen, ich kann es auch nicht nachprüfen.

Es ist aber Tatsache, und das ist auch eine Kritik, die ich an der Stelle anmerke, dass man im deutschen Strafrecht schon mitunter den Eindruck haben kann, dass eine einmal getroffene Entscheidung am Ende verteidigt wird.

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ZDFheute: Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, dass der Generalbundesanwalt hätte übernehmen sollen?

Klaus: Ich bin überzeugt davon, dass es über die persönliche Frustration des Angeklagten hinaus auch eine terroristische Motivation gab.

Er hatte ja schon im Vorfeld gedroht, dass er ein Fanal setzen möchte - gegen die Migrationspolitik.

Thomas Klaus, Opferanwalt

Dass er konkret Deutsche angreifen wollte, die er dafür verantwortlich macht. Das finde ich, ist eine terroristische Motivation. Und damit sehe ich grundsätzlich die Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes gegeben.

ZDFheute: Und wie sehen es Ihre Mandanten?

Klaus: Die Betroffenen - das kann man klar sagen - sehen sich durchweg als Opfer einer Terrorstraftat. Sie sehen sich stellvertretend verletzt für alle anderen Mitglieder unserer Gesellschaft.

Und ganz egal wo sie wohnen, ob sie in Magdeburg wohnen, ob sie in Göttingen wohnen, ob sie in Frankfurt am Main wohnen oder wo auch immer, diese Tat hätte überall begangen werden können.

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ZDFheute: Inwieweit kann der Prozess bei der Verarbeitung helfen? Was erhoffen sich die Betroffenen?

Klaus: Die Erfahrung zeigt, dass das Miterleben eines Strafprozesses sehr wohl einen Beitrag leisten kann, die Tat am Ende auch zu verarbeiten. In diesem Fall sind jedoch viele noch unschlüssig, inwieweit sie die Möglichkeit nutzen.

Am Ende erwarten die Geschädigten vor allem, dass das Gericht die Strafe ausspricht, die sie als gerecht empfinden. Und das ist hier tatsächlich die Höchststrafe.

Opferanwalt Thomas Klaus

Dr. Thomas Klaus arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Opferanwalt in Magdeburg. Das heißt, er ist Rechtsanwalt, der sich auf die Vertretung von Geschädigten spezialisiert hat. Meistens wenden sich Menschen nach Körperverletzungen an ihn, oder nach Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Er hilft ihnen dabei, ihre Sicht in die Prozesse mit einzubringen - und damit auch ihre Rechte zu vertreten. Mit einer Nebenklage haben sie u.a. die Möglichkeit, die Verfahrensakten einzusehen und Anträge zur Beweiserhebung einzubringen.

Im Prozess gegen den Attentäter auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt ist er einer von zwei vom Amtsgericht Naumburg bestellten Vertreter der Nebenklage.

Für ihn persönlich ist der Fall zwar ein besonderer mit Blick auf die Dimension. Aber er sagt auch, dass diese Größe für seine Arbeit völlig unerheblich sei. Denn jeder Geschädigte leidet einzeln unter seinem Schicksalsschlag - und braucht daher auch seine persönliche, volle Aufmerksamkeit.


Das Interview führte Annette Pöschel, Redakteurin im ZDF-Studio in Sachsen-Anhalt.

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