Migration in Deutschland: "Integration ist eine Zweibahnstraße"

Interview

Flüchtlingshelfer Andreas Tölke:"Integration ist eine Zweibahnstraße"

|

2015 wurde Lifestyle-Journalist Andreas Tölke zum Flüchtlingshelfer. Er gründete den Verein "Be an Angel" und findet, Integration ist eine Zweibahnstraße, fördern und fordern.

Andreas Tölke

Seit 2015 hat Andreas Tölke mehr als 400 Geflüchteten ein Dach über dem Kopf geboten. Er gründete den Verein "Be an Angel e.V.", der Menschen mit Fluchterfahrung unterstützt.

29.08.2025 | 9:22 min

ZDFheute: 2015 haben Sie ihr Leben komplett umgekrempelt. Wieso?

Andreas Tölke: Vor der damals zuständigen Berliner Behörde namens LaGeSo lagen bei brüllender Hitze Menschen obdachlos herum. Familien mit Kindern, die Krieg, Terror und unfassbar schlimme Dinge erlebt hatten. Wirklich ein Albtraum.

Jetzt bin ich nicht der Typ, der getragene Klamotten oder zerkochte Nudeln verteilt, aber ich habe eine relativ große Wohnung und dachte, naja, wer im Nebenzimmer schläft, ist mir doch egal. Das war der Auftakt.

Ein Geflüchteter arbeitet an einer Maschine.

Warum müssen die Besten wieder gehen? Sind die bürokratischen Hürden zu groß? Erfahrungen von Arbeitgebern und Geflüchteten.

22.08.2025 | 15:15 min

ZDFheute: Insgesamt haben Sie dann 400 Menschen bei sich aufgenommen. Wie war das?

Tölke: Ich konnte mich mit den Leuten nicht verständigen, das war dann google translate am Küchentisch. Ich bin aus dem Schlafzimmer rausgekommen und war als Person Andreas nicht mehr existent, sondern ich war stellvertretend für Deutschland, einer, der mal erklären konnte: Was passiert denn in diesem Land?

Es hat eine momentane Nähe gegeben, von Null auf 100, und dann sind die Menschen losgegangen und haben ihr Leben gelebt, aber darum geht's.

Andreas Tölke, Verein "Be an Angel e.V."
Quelle: ZDF

… gründete 2015 den Verein "Be an Angel", der Menschen mit Fluchterfahrung unterstützt. Die spendenfinanzierte NGO betreibt in Berlin das Restaurant "Kreuzberger Himmel" und leistet seit drei Jahren humanitäre Hilfe in der Ukraine. Andreas Tölke ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.


ZDFheute: Wie kann Integration gelingen?

Tölke: Integration ist eine Zweibahnstraße. Du willst hier ein Leben aufbauen, also mach. Wir machen die Türen auf, latsch gefälligst selber durch. Fördern und fordern. Gilt umgekehrt aber genauso.

Jeder, der hierherkommt, darf auch sagen, du musst mir dabei helfen, das verstehe ich nicht, erklär es mir.

Andreas Tölke

Die Menschen, die hier ankommen, dürfen auch fordern.

Dlovan Osey, Auszubildender und Flüchtling aus Syrien, schraubt an einer Schalterleiste.

Die meisten Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen, haben mittlerweile einen Job. Das bestätigt eine aktuelle Arbeitsmarkt-Studie.

25.08.2025 | 1:51 min

ZDFheute: Was dachten Sie, als Angela Merkel ihren inzwischen legendären Satz sagte?

Tölke: "Wir schaffen das" - als es gesagt wurde, war ich felsenfest davon überzeugt, ja wir schaffen das, weil da gab es auch die Willkommensgesellschaft noch. Mittlerweile bin ich ein bisschen frustriert, wie viele andere auch. Es gibt aber viele Menschen in Deutschland, die hinter den Kulissen irre viel bewegen. Ich glaube, wir müssen es schaffen wollen.

ZDFheute: Wie ist uns die Willkommenskultur abhandengekommen?

Tölke: Die Politik hat, egal in welcher Regierung, nicht geschafft zu vermitteln:

Migration ist eine Bereicherung für Deutschland. Wir haben eine kippende Alterspyramide, die Renten sind nicht sicher.

Andreas Tölke

Modar Ajaj

Zehn Jahre nach seiner Flucht ist Modar Ajaj nach Syrien zurückgekehrt. Dafür, dass Deutschland ihn 2015 aufgenommen hat, empfindet er heute große Dankbarkeit.

16.08.2025 | 1:30 min

Das heißt, wir haben die Option, entweder Arbeitskräfte ins Land zu holen, oder wir sagen, wir haben so und so viele Leute in Deutschland, die sind ja eh schon hier. Die haben sich daran gewöhnt, dass wir eine beschissene Bürokratie haben, dass wir überreguliert sind, dass wir relativ humorfrei sind, aber dass man hier umsonst ins Krankenhaus kann und einen öffentlichen Nahverkehr hat.

Die kennen uns. Also integriert doch bitte die. Gebt denen doch Jobs. Ich will doch bitte meine Rente kriegen. Ich brauche wirklich den Afghanen und den Syrer und den Ukrainer und die Ukrainerin und all diese Länder, damit meine Rente gezahlt wird. Ich mache das doch aus Egoismus.

ZDFheute: Mit ihrem Verein "Be an Angel" betreiben Sie den "Kreuzberger Himmel", ein Restaurant, in dem nur Geflüchtete arbeiten und ausgebildet werden. Wo sind die größten Hürden bei der Integration auf den Arbeitsmarkt?

Tölke: Der Endgegner für uns, wie für die meisten Betriebe in Deutschland, sind Behörden. Wir sind überreguliert und in den Behörden selber ist eine Angst, eine Entscheidung zu treffen. Man geht davon aus, dass Dokumente weltweit genauso vorhanden sind, das heißt das Formblatt 27F gibt es genauso in Afghanistan.

Afghanische Flüchtlingsfamilien, die auf dem Weg zurück in ihr Heimatland sind, versammeln sich neben Lastwagen in Pakistan am 25.08.2025

Verbände und Organisationen drängen auf schnelle Evakuierungen gefährdeter Afghanen mit Aufnahmezusage für Deutschland. Viele fühlen sich in ihrer Heimat bedroht.

25.08.2025 | 3:05 min

ZDFheute: Wie können wir es in Zukunft schaffen?

Tölke: Die pragmatischste aller Lösungen wäre, zivilgesellschaftliche Organisationen zu stärken. Nicht nur Fototermine, um freundlich in die Kamera zu lächeln, sondern denen mal Macht zu geben in Behördenstrukturen, weil ganz ernsthaft: Zivilgesellschaft rockt's.

Und die Menschen, die hierhergekommen sind und gar nicht mehr die Möglichkeit haben, zurück in ihre Heimatländer zu gehen, sind ein Riesenpotenzial.

Andreas Tölke

Wir können die ignorieren und sagen, euch gibt es halt, aber wir spielen nicht mit euch. Oder wir sagen, okay, schön, dass ihr da seid, ab dafür.

Das Interview führte Lisa Jandi, Reporterin im ZDF-Landesstudio Berlin.

Doku
:Was haben wir geschafft?

10 Jahre "Wir schaffen das": Welche Konsequenzen hatte die Entscheidung, die Grenzen zu öffnen und wie hat sich unsere Gesellschaft seitdem verändert?
Berlin, Ein Wahlplakat der CDU mit den Händen von Bundeskanzlerin Angela Merkel

Weitere Teile der Doku-Serie "Was haben wir geschafft?"

  1. Geflüchtete sind mit einem Sonderzug am Bahnhof Berlin Schönefeld angekommen.

    Doku | Was haben wir geschafft? :Städte und Gemeinden am Limit

    von Jutta Sonnewald / Sherin Al-Khannak / Carsten Behrendt
    15:12 min

  2. Drei geflüchtete Männer schauen sich eine Tafel mit Job-Möglichkeiten für Geflüchtete an.

    Doku | Was haben wir geschafft? :Integriert oder gescheitert?

    von Isabel de la Vega / Claudia Oberst
    15:06 min

  3. Bahnhofsvorplatz des Kölner Haupfbahnhofs. Köln

    Doku | Was haben wir geschafft? :Wertekonflikte und innere Sicherheit

    von Peter Böhmer / Martin Schiffler / Jasmin Astaki-Bardeh
    15:35 min

  4. Der Lehrer Florian Schempp unterrichtet am 31.08.2015 an der Friedenauer Gemeinschaftsschule/1. Gemeinschaftsschule Schöneberg in Berlin in einer Willkommensklasse deutsch

    Doku | Was haben wir geschafft? :Integration im Klassenzimmer

    von Roman Leskovar / Nicole Frölich
    15:06 min

Mehr über Migration und Integration

  1. Entisar Karkokli, syrische Lehrerin

    Von der Flucht zur Verbeamtung:Wie eine Lehrerin aus Syrien sich durchkämpft

    von Nicole Frölich
    mit Video

  2. Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel signierte am 03.06.2025 im Luxor Palace of Books im Zentrum von Prag, Tschechien, ihre Memoiren mit dem Titel „Freiheit“.

    Zehn Jahre "Wir schaffen das":Merkel: Zum Aufschwung der AfD beigetragen

    mit Video

  3. Grafik mit Arbeitsmarktzahlen

    Zehn Jahre "Wir schaffen das":So viele Geflüchtete von 2015 arbeiten heute

    von Alina Reissenberger
    mit Video

  4. Fußgängerzone in Salzgitter-Lebenstedt

    Integration in Salzgitter:"Wir leben in einer Parallelgesellschaft"

    von Julia Lösch
    mit Video