Mauerfall erlebt: Stimmen aus Ost und West zur Wiedervereinigung

Meine Nacht des Mauerfalls:Am 9. November "mitten in der Geschichte gelandet"

von Dina Bogdanski
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Am 9. November 1989 wurde in Deutschland Geschichte geschrieben: Wie haben die Menschen in Ost und West den Mauerfall erlebt? Zwei Zeitzeugen berichten.

Ein alter Röhrenfernseher, der den Sturz der mauer zeigt. Auf ihr stehen mehrere Personen und feiern die Wiedervereinigung.

Eine Nacht, die Geschichte schrieb erzählt von denen, die sie erlebten : Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Die Dokumentation rekonstruiert die Ereignisse am Tag des Mauerfalls.

03.10.2025 | 29:09 min

"Das war die einzige Nacht, in der Deutschland wirklich eins war", sagt Jörg Eckert. In der Nacht vom 9. November 1989 war er 30 Jahre alt und als Taxifahrer auf den Straßen West-Berlins unterwegs. Dass ein bestimmter Satz dazu führte, dass es in dieser Nacht kein West-Berlin mehr gab, hätte sich Jörg Eckert nicht vorstellen können.

"Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich." Mit dem bekannten Satz von Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der SED, änderten sich die Reiseregelungen in der DDR - und damit das ganze Land.

In der Doku "Meine Nacht des Mauerfalls" erzählen acht Menschen, wie sie den 9. November 1989 erlebt haben. Die Dokumentation rekonstruiert die dramatischen Ereignisse am Tag des Mauerfalls Stunde für Stunde - vom frühen Morgen bis tief in die Nacht. Sie lässt ost- und westdeutsche Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen, die den Tag aus ihrem Blickwinkel schildern.

Sehen Sie die Doku am 3. Oktober um 11:30 Uhr im ZDF oder jederzeit im ZDF-Streaming-Portal.


Wie Jörg Eckert und Gabriele Schönborn den Mauerfall am 9. November 1989 erlebt haben.

Am 9. November vor dem Fernseher geheult

Die damals 24-jährige Gabriele Schönborn lebte und arbeitete in Erfurt in der DDR. Nach der Arbeit schaltete sie am 9. November 1989 zu Hause den Fernseher ein, sah die Nachrichten und hörte Schabowskis Rede zur Öffnung der Grenzübergänge. Sie konnte es nicht glauben. Und während Millionen Menschen im Land feierten, saß Gabriele Schönborn vor ihrem Fernseher und "hat einfach nur geheult".

Eine Person mit kurzen Haaren sitzt in einem gestreiften Strandkorb.

Gabriele Schönborn erlebte die Grenzöffnung am 9. November 1989 mit Schock und Angst vor Arbeitslosigkeit. Ihr DDR-Bild war von Sicherheit geprägt, die Furcht vor Westdeutschland blieb.

Quelle: Privat

Gabriele Schönborn wuchs in der DDR auf, sie beschreibt sich selbst als "Kind des Sozialismus". Grundsätzlich fand sie die Idee des Sozialismus gut. "Bei uns ging es zum Wohle des Volkes und im Westen zum Wohle der Aktionäre und Kapitaleigner …". Sie dachte, dass beide Systeme nebeneinander existieren und die Grenzen geöffnet bleiben könnten.

Mainzer Straße in Berlin im November 1990: Polizei geht gegen Hausbesetzungen vor.

Als 1989 die Mauer fällt, ist nichts mehr so wie vorher. Das Jahr bis zur Wiedervereinigung ist verrückt und chaotisch. Keiner weiß, was die Zukunft bringt, alles scheint möglich.

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Gefühl der Angst vor Westdeutschland

Die Nachricht, dass die Grenzübergänge geöffnet worden waren, ließ Gabriele Schönborn fassungslos und schockiert zurück. Schnell kamen in ihr Existenzängste hoch - unter anderem die Angst vor Arbeitslosigkeit und Drogenkriminalität. "Und sicher wurde uns auch im Fernsehen vieles überspitzt dargestellt", aber das Gefühl der Angst vor Westdeutschland blieb. Gabriele Schönborns Bild der DDR war geprägt von Sicherheit, Schutz und Möglichkeiten, die einem offen standen.

Natürlich habe ich auch gesehen, dass in der DDR nicht alles Gold war.

Gabriele Schönborn

Am nächsten Morgen fuhr sie wie gewohnt zur Arbeit in die Klinik in Erfurt. Sie war die einzige, die die Ereignisse negativ empfunden hatte. Ihre Kollegen "waren total happy".

Grenzuebergang helmstedt-marienborn nach dem mauerfall

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Als Trabbis in West-Berlin entgegenkamen

Jörg Eckert, 30-jähriger Taxifahrer aus West-Berlin, saß am 9. November in seinem Taxi. "Ein ganz normaler Arbeitstag. Nicht weltbewegend". Gegen halb zehn erhielt er einen Funkauftrag und holte seinen Fahrgast in der Nähe seines Stammhalts am Hafenplatz in Berlin-Spandau ab. "Können Sie mir mal den und den Sender anmachen … Ich habe gerade gehört, dass da irgendwie die Pressekonferenz aus der DDR übertragen werden soll", sagte der Fahrgast zu ihm.

Die Straßen wurden zu diesem Zeitpunkt immer voller. "Wir kamen bloß noch bis Alt-Moabit, Ecke Invalidenstraße, und dann war es auch schon vorbei." Keine zehn Minuten, nachdem sie die Nachricht im Radio gehört hatten, erzählt Jörg Eckert, kamen ihm die ersten Trabbis entgegen. Deutschlandfahnen wehten. In seinem Kopf drehte sich alles. Sein Fahrgast stieg aus, überreichte ihm 50 D-Mark und sagte: "Nachher trinkst du einen auf mein Wiedersehen mit meinen Eltern."

Ein Baby sitzt neben einem Mann, der eine Kamera hält; beide lächeln.

Der 9. November 1989 brachte Menschen aus Ost und West zusammen: Jörg Eckerts kostenlose Taxifahrt wurde zum Symbol der neu gewonnenen Freiheit.

Quelle: Privat

Leben auf der "tollen Insel" West-Berlin

Jörg Eckert ist ein "echter Berliner" - so wie es sie heute kaum noch gibt, sagte er von sich selbst. Das Leben in West-Berlin habe sich angefühlt, als lebe man auf einer Insel. "Auf einer großen, tollen Insel mit allem, was man sich überhaupt noch vorstellen kann. Wenn man sich jetzt vorstellt, man lebt auf einer Insel - dann hast du rundherum nur Meer …"

Und das Meer war die DDR. Und voller Haie.

Jörg Eckert

Der Arbeitstag war vorbei - das dachte sich Jörg Eckert, nachdem er seinen Fahrgast rausgelassen hatte. Er wollte schon abdrehen, sich durch den Mega-Stau, der sich mittlerweile gebildet hatte, Richtung Feierabend bewegen, als es an der Fensterscheibe klopfte. "Sind Sie frei?", fragte ein junges Pärchen, das gerade über den Grenzübergang gelaufen war. Nur mit Ostmark und Essensmarken standen sie vor Jörg Eckerts Taxi. Sie wollten einmal den Ku'damm sehen. "Wisst ihr was Kinder? Heute ist Feiertag! Ich fahr euch umsonst."

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Über den Spreeweg fuhren sie zur Siegessäule. "Ich sah dann im Rückspiegel nur noch die Kinnladen unten." Weiter ging es Richtung Bellevue, Lützowplatz, Hotel Berlin, Gleisstraße. "Die kamen aus dem Staunen einfach nicht mehr raus." "Wir haben es geschafft!", sagte das Pärchen, als sie ausstiegen in eine neue Welt.

Jörg Eckert verbrachte seinen Feierabend in einer Kneipe.

Ich dachte, Alter, du bist ja mitten in der Geschichte gelandet. Mittendrin.

Jörg Eckert

Heute lebt Jörg Eckert im Osten. Gabriele Schönborn im Westen.

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