Gelsenkirchen: Warum so viele AfD wählten

Vier Männer, mittleres Alter, stehen im Consol-Park im Gelsenkirchener Norden. Sie wollen anonym bleiben. "Aber sprechen kann man ja." Und zu sagen haben sie viel. Auf die Frage, wie sie auf die Wahl-Ergebnisse blicken, sagt einer: "Na ja, hätt' schon mehr sein können." Zustimmendes Nicken in der Runde.

Nach einer kurzen Pause ergänzt jemand: "Also noch mehr." Ihre Sympathien liegen beim Wahlsieger des vergangenen Sonntags. Die AfD holte in Gelsenkirchen mit 24,7 Prozent die meisten Zweitstimmen, fast doppelt so viele wie 2021.

Es ist Frust, der aus ihnen spricht, und mit dem sie ihre Tendenz pro AfD begründen. Frust über die Migrationspolitik hier vor Ort. Eines wollen sie direkt klarstellen: "Menschen, die vor Krieg fliehen und sich integrieren wollen, sind hier jederzeit willkommen. Müssen wir gar nicht drüber reden."

"Wir sind hier ja im Kohle-Pott, hier ist Zuwanderung ja ganz normal", fügt einer hinzu. "Jeder von uns hat Migranten als Freunde. Türken, Araber, Polen. Die kommen her und passen sich an. Alles wunderbar. Aber mit den Anderen wird es immer schlimmer."

"Die Anderen" sind für viele Gelsenkirchener die Zuwanderer aus Südosteuropa, überwiegend aus Bulgarien und Rumänien. Seit 2007 sind diese Staaten Teil der Europäischen Union, ihre Bürger besitzen Arbeitnehmerfreizügigkeit. Rund 13.000 von ihnen sollen in Gelsenkirchen leben, teils in sogenannten Schrottimmobilien.

"Die Osteuropäer benehmen sich manchmal schon extrem. Aber es ist trotzdem eine Schande, dass die Leute AfD wählen", kommentiert Reinhard. Marinka pflichtet bei: "Ich bin hier aufgewachsen. Jeder weiß, dass Gelsenkirchen ein Brennpunkt ist. Aber als Konsequenz AfD zu wählen, finde ich nicht gut."

"Die Integration der Armutszuwanderer gestaltet sich schwierig", stellt Markus Töns fest, der als SPD-Kandidat angetreten ist und seinen Wahlkreis verteidigen konnte.

Den letzten Bundeskanzler stellte seine eigene Partei.

Altschulden belasten den Haushalt der Kommune. Hohe Sozialausgaben bei klammen Kassen - damit steht Gelsenkirchen nicht alleine da. Die umliegenden Ruhrgebietskommunen stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Auch dort verzeichnet die AfD massive Gewinne.

Dennoch schneidet die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei in Gelsenkirchen nochmal besser ab. "Das hat viel damit zu tun, dass Gelsenkirchen nicht die ganz großen Hotspots hat", erklärt Markus Töns. "Dortmund hat zum Beispiel eine große Universität. Die können Strukturwandel anders mitgestalten."

Und: Während beispielsweise Duisburg mit ThyssenKrupp einen - zumindest früheren - Industrie-Giganten beheimatet, fehlt Gelsenkirchen seit jeher ein echtes wirtschaftliches Zugpferd. Mit 15,8 Prozent weist Gelsenkirchen die höchste Arbeitslosenquote Deutschlands auf.

Hinzu kommt: Zwei Wochen vor der Wahl hat der Mineralölkonzern BP angekündigt, seine Raffinerie in Gelsenkirchen-Scholven verkaufen zu wollen. 2.000 Mitarbeiter stehen vor einer ungewissen Zukunft.

"Das ähnelt dann durchaus auch manchen Landstrichen im Osten, wo wir die gleichen politischen Konstellationen haben: also große Unzufriedenheit sowohl mit der Bundes- und Kommunalpolitik, aber auch eine Ausweglosigkeit", erklärt Politologe Martin Florack die AfD-Stimmen in Gelsenkirchen.

Im September stehen Kommunalwahlen an. Dann wird die AfD nach dem Amt des Oberbürgermeisters greifen. Nicht nur in Gelsenkirchen.