Ein Jahr nach Anschlag in Magdeburg: Wie es Betroffenen geht

Interview

Ein Jahr nach Anschlag in Magdeburg:"Da ist noch eine ganze Menge Wut"

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Vor einem Jahr kamen bei dem Anschlag in Magdeburg sechs Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt. Wie es Betroffenen heute geht, erzählt Traumapädagogin Kirsti Gräf.

Kurzdoku Amokfahrt Magdeburg

Ein Jahr nach der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mit sechs Toten und hunderten Verletzten ringt eine ganze Stadt mit den Folgen des Anschlags. Der Attentäter steht vor Gericht.

17.12.2025 | 26:53 min

Kirsti Gräf wohnt ganz in der Nähe des Magdeburger Weihnachtsmarkts. Als sie vor einem Jahr von dem Attentat erfährt, eilt sie hin und hilft. Sie hört zu, tröstet, ist einfach da.

Seitdem begleitet die ausgebildete Traumapädagogin Angehörige von Getöteten, körperlich Verletzte und psychisch Leidende sowie Ersthelfer. Wie es den Teilnehmenden in den Selbsthilfegruppen geht und was sie brauchen, erzählt sie im ZDFheute-Interview.

10.11.2025, Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Justizbeamte führen Taleb al-Abdulmohsen auf dem Gelände der Landesbereitschaftspolizei zu einem Hubschrauber. Am Morgen begann der Prozess gegen Taleb al-Abdulmohsen, der am 20. Dezember 2024 über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gefahren war. Bei dem Anschlag wurden sechs Menschen getötet. Zudem wurden mehr als 300 Menschen verletzt oder traumatisiert. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem Täter versuchten Mord in 338 Fällen vor

Etwa elf Monate nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mit sechs Toten und hunderten Verletzten hat der Prozess gegen Taleb A. begonnen.

10.11.2025 | 2:22 min

ZDFheute: Am 20. Dezember gedenkt Magdeburg der Betroffenen und Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt vor einem Jahr. Wie geht es Ihren Teilnehmern?

Kirsti Gräf: Viele sagen, dass sie sich zurückversetzt fühlen in der Zeit: Durch die Lichter, die Gerüche, der Weihnachtsmarkt ist an derselben Stelle wieder aufgebaut. Sie beobachten an sich Symptome, die zwischendurch leise geworden waren. Die einen sind unruhiger, schlafen schlechter. Andere merken, dass sie empfindsamer, reizbarer geworden sind.

Und natürlich ist da noch eine ganze Menge Wut. Wut darauf, dass sowas überhaupt passieren konnte.

Kirsti Gräf

Und dass sie noch immer mit den Folgen dieser Tat kämpfen müssen - körperlich, seelisch.

Traumapädagogin Kirsti Gräf.
Quelle: Privat

… ist ausgebildete Traumapädagogin. Sie arbeitet bei den Pfeifferschen Stiftungen, wo sie in Gruppen Betroffene des Anschlags von Magdeburg begleitet.


ZDFheute: Sie begleiten in Ihren Gruppen bei den Pfeifferschen Stiftungen Verletzte und Angehörige von Getöteten, Augenzeugen und Ersthelfer. Wie sehen sie sich selbst?

Gräf: Sie sagen "Betroffene". Manche nennen sich auch "Ge-Troffene". Nur "Opfer", das hören sie nicht gern. Das klingt so hilflos. Und entspricht auch nicht dem Weg, den sie in den vergangenen Monaten gegangen sind. Wenn ich an die ersten Treffen zurückdenke, an die ersten Telefonate, da war eine große Sprachlosigkeit.

Manchmal wurde nur geweint, weil alles so übermächtig, so wenig begreifbar war.

Kirsti Gräf

Damals also waren tatsächlich viele hilflos und ohnmächtig. Wenn ich heute in die Gruppen schaue, sehe ich Menschen, die sich stabilisiert haben, die Ressourcen nutzen können für sich, die wieder eine Selbstwirksamkeit für sich erleben können.

Magdeburg: "Ein Mammutprozess"

Der Prozess um den Weihnachtsmarkt-Amokfahrer Taleb A. hat begonnen. Es werde ihm "sechsfacher Mord und versuchter Mord in mehr als 300 Fällen vorgeworfen", berichtet ZDF-Reporter Leon Fried.

10.11.2025 | 2:50 min

ZDFheute: Was hat ihnen dabei geholfen - was haben sie gelernt?

Gräf: Allein schon der Besuch unserer Selbsthilfegruppen hat etwas Stärkendes. Der gewachsene Zusammenhalt. Die Teilnehmer vom Montagabend nennen sich mittlerweile "Montags-Familie". Sie haben ihr eigenes Symbol: eine Vergissmeinicht-Blüte.

Dann arbeiten wir natürlich auch mit bestimmten Techniken: Wie kann ich mich mit Atmen beruhigen. Oder was hilft mir beim Einschlafen, was, wenn ich merke, dass mir alles zu viel wird.

Täterbriefe

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07.08.2025 | 2:05 min

ZDFheute: Vor allem in den ersten Wochen nach dem Anschlag wurde immer wieder Kritik laut, die Stadtverwaltung wäre zu spät auf die Betroffenen zugegangen. Wie sieht die Bilanz der Betroffenen heute aus?

Gräf: Da gibt es kein einheitliches Bild und ich kann auch nicht für alle sprechen. Es war für alle Seiten schwierig, das hatte auch noch niemand vorher erlebt. Manch einer hat sich schon sehr allein gelassen gefühlt mit den ganzen Papieren. Anträge auf finanzielle Hilfen etwa mussten gefühlt doppelt und dreifach ausgefüllt werden.

Wenn sie als Betroffener im Krisenmodus sind oder verletzt sind, dann wird ihnen schnell alles zu viel. Aber es gab auch Fälle, wo die Stadt unbürokratisch gehandelt und schnell geholfen hat.

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ZDFheute: Wenn Sie in die nahe Zukunft blicken, was braucht die Stadt, was brauchen die Magdeburger, um als Gesellschaft das Trauma zu verarbeiten?

Gräf: Ich glaube, wir brauchen mehr Kommunikation, wirklich gute Kommunikation. Dass die Wünsche der Betroffenen gehört werden - vor allem mit Blick darauf, wie ein weiteres Erinnern möglich ist, in welcher Form. Wie soll etwa ein Gedenkort aussehen.

Die Sorge ist groß, dass nach dem Jahrestag des Anschlags und wenn der Prozess gegen den Attentäter vorbei ist, viele das Ganze einfach abhaken wollen.

Kirsti Gräf

Aber während das Leben der meisten Magdeburger wieder normal weitergeht, werden die meisten Betroffenen nie wieder so sein wie sie mal waren. Deren Bedürfnisse müssen gesehen und beachtet werden.

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Das Interview führte Annette Pöschel im ZDF-Landesstudio in Magdeburg.

Über dieses Thema berichtet der "Länderspiegel", online verfügbar ab 17.12.2025 um 9:55 Uhr.

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