Zwei Geburten - zwei Todesfälle - eine Ursache? Eine Mutter und ein Baby sterben, nachdem die Mütter zur Einleitung der Wehen ein umstrittenes Medikament bekommen haben. Ist das Mittel schuld?28.05.2025 | 29:29 min
Schätzungsweise hunderttausend Frauen bekommen es jedes Jahr in deutschen Krankenhäusern: das Wehenmittel "Angusta". Nun hat eine ZDF-Recherche ergeben, dass das Mittel nicht hätte zugelassen werden dürfen. Eine wichtige Studie scheiterte. Diese war für die Zulassung aber zwingend vorgeschrieben.
Umstrittener Wirkstoff Misoprostol
Im September 2021 kam "Angusta" mit dem Wirkstoff Misoprostol auf den deutschen Markt. Seitdem wird es standardmäßig bei
Geburten in Kreißsälen deutscher Kliniken eingesetzt. Angusta sollte endlich Sicherheit bieten. Denn das Vorläufermedikament Cytotec - ebenfalls mit dem Wirkstoff Misoprostol - war jahrzehntelang mit fehlenden Anwendungsvorschriften im Einsatz. Falsch eingesetzt, konnte das Mittel
schwere Nebenwirkungen haben: Wehenstürme, Gebärmutterrisse und schwere Blutungen. Babys kamen mit Behinderungen zur Welt oder starben.
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Rund 7.000 solcher Verdachtsmeldungen zum Wirkstoff Misoprostol sind in der Nebenwirkungsdatenbank EudraVigilance bis heute eingegangen. Sie betreffen sowohl das alte Medikament Cytotec, als auch Angusta. Darunter sind die Fälle von Amelie Reimann und Karola Neuhaus (Namen geändert). Sie hatten Cytotec zur Einleitung der Geburt erhalten, obwohl sie bereits Wehen hatten. In der Folge erlitten sie übermäßig heftige Wehen, die Kinder kamen mit Sauerstoffmangel zur Welt. Sie leben heute mit schweren Behinderungen.
Zulassung von Angusta mit problematischer Abkürzung
Angusta wurde 2017 in
Dänemark zugelassen und drei Jahre später auch in Deutschland. Der Hersteller - damals Azanta, heute Norgine - war allerdings nicht den üblichen Weg für eine Zulassung gegangen.
Üblich wäre, im Rahmen einer Zulassungsstudie erst auf Sicherheit und dann auf Wirksamkeit zu testen. Der Hersteller von Angusta nahm eine Abkürzung, die schneller und billiger ist. Er erwirkte eine so genannte bibliografische Zulassung.
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Vergleich mit Cytotec-Daten: Studie scheiterte
Bei einer bibliografischen Zulassung reicht der Hersteller alte Daten ein und beweist, dass diese Daten auf das neue Medikament übertragen werden dürfen. Das ist möglich, wenn der Wirkstoff des Arzneimittels seit zehn Jahren innerhalb der EU verwendet wird und als unbedenklich gilt. Der Hersteller von Angusta verwendete also alte Cytotec-Daten. Eine Studie, die belegen sollte, dass die Mittel identisch sind, scheiterte jedoch. Demnach hätte die Zulassung auf diesem Weg nicht erteilt werden dürfen.
Das bestätigt auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Bernd Mühlbauer. Er schreibt auf Anfrage: "Aus meiner Sicht hätte das Präparat 'Angusta' mit den vorgelegten Daten nicht zugelassen werden dürfen." Und weiter: Man solle die zuständige Behörde fragen, warum sie das Präparat zur Zulassung empfohlen habe, obwohl "so drastische Abweichungen" vorliegen.
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Arzneimittelbehörde sieht "erhebliche Mängel"
Konfrontiert mit der Frage, schreibt die deutsche Arzneimittelbehörde BfArM: Es sei richtig, die Daten hätten "erhebliche Mängel". Eine "Überbrückung" zwischen Angusta und Cytotec sei jedoch "basierend auf der Summe aller Ergebnisse und Überlegungen durchaus möglich".
Die Behörde begründet die Zulassung aber auch damit, dass man so die unsichere Situation mit Cytotec habe beenden können: Ein klares, zugelassenes Dosierschema habe es vor der Zulassung von Angusta nicht gegeben. Das sei jetzt anders. In der Fachinformation zu Angusta werde außerdem darauf hingewiesen, dass das Mittel nicht gegeben werden darf, wenn eine Geburt begonnen hat.
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Die Behörde weist außerdem darauf hin, dass Angusta nun besser überwacht werden könne, da es für zugelassene Medikamente strengere Vorschriften gebe. So müsse der Hersteller regelmäßig Sicherheitsberichte erstellen und an die Behörde schicken. Diese Sicherheitsberichte stuft die Behörde jedoch als "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" ein. Sie können daher nicht veröffentlicht werden.
Norgine: Zulassung von Angusta korrekt verlaufen
Der Hersteller Norgine ist davon überzeugt, dass die Zulassung von Angusta korrekt abgelaufen ist: "Das Zulassungsverfahren erfolgte in voller Übereinstimmung mit den geltenden nationalen und europäischen Anforderungen", schreibt das Unternehmen auf Anfrage.
Der Schwangerschaftsdiabetes ist die häufigste Komplikation während einer Schwangerschaft. Bleibt die Stoffwechselstörung unerkannt, kann das Folgen für Mutter und Kind haben.
von Corinna Klee