Der Fall des Richters Nicolas Guillou:Wie werden wir unabhängig von US-Technologie?
Ausgeschlossen vom digitalen Leben, weil Trump Sanktionen verhängt: Kein unrealistisches Szenario. Der Experte für IT-Recht Kipker erklärt, wie wir unabhängiger werden können.
Richter Nicolas Guillou wird von der US-Regierung mit Sanktionen belegt. Die Folge: Er verliert Zugang zu Online-Diensten von US-Anbietern. Darüber sprechen Helene Reiner und Christian Sievers im heute journal-Podcast.
04.12.2025 | 50:16 minStellen Sie sich vor, sie könnten ihren Einkauf nicht mehr mit Ihrer Kreditkarte oder Paypal zahlen. Sie könnten nicht mehr bei Amazon Weihnachtsgeschenke kaufen. Sie könnten den nächsten Urlaub nicht auf Airbnb oder Expedia buchen.
So geht es gerade dem französischen Richter Nicolas Guillou. Abgeschnitten von allem Digitalen, wie er vor zwei Wochen der französischen Zeitung "Le Monde" erzählte. Und das ist kein Versehen oder technischer Fehler, sondern volle Absicht. Denn er wurde von der Regierung von Donald Trump mit Sanktionen belegt, wie auch mehrere seiner Kollegen. Weil er als Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag den Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit autorisierte wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen.
Unter Sanktionen zu stehen ist wie eine Rückkehr in die Neunziger Jahre
Nicolas Guillou, Richter am Internationalen Strafgerichtshof
Richter Nicolas Guillou vom Internationalen Strafgerichtshof ist nach seinem Haftbefehl gegen Netanjahu sanktioniert worden. Die USA haben sein digitales Leben ausgelöscht.
05.12.2025 | 2:55 minEuropa ist abhängig von US-Technologie
Guillous Fall zeigt, wie abhängig Europa von den Tech-Unternehmen in den USA ist. "Wir sind zurzeit extrem erpressbar", sagt Professor Dennis-Kenji Kipker von der Universität Bremen. Er ist Experte für Cybersicherheit und digitale Souveränität.
Der Grund: politische, aber "auch wirtschaftliche Fehlentscheidungen in den letzten 30 bis 40 Jahren". Man habe bei der Entwicklung von Technologie zu sehr auf Globalisierung und Outsourcing gesetzt - und nicht vermutet, dass sich die weltpolitische Situation ändern könnte.
So setzt die Trump-Regierung nun ihre Interessen auf diesem Wege durch. Der Fall des französischen Richters zeige, dass es durchaus eine Einzelperson treffen kann. Aber Donald Trump könne genauso beispielsweise Exportkontrollen für Cloud-Technologie verhängen, worauf viele Dienste basieren, "dann sind wir in der Europäischen Union sehr schnell in der digitalen Steinzeit", erklärt Kipker.
Wie wird Europa digital souveräner? Darüber diskutierte unter anderem Bundeskanzler Friedrich Merz beim Digitalgipfel in Berlin.
18.11.2025 | 3:12 minKritische Infrastruktur und Verwaltung betroffen
Dabei geht es aber nicht nur um alltägliche Beispiele, wie Hotels buchen oder Geld abheben. Die Abhängigkeit sei für Deutschland auch ein Sicherheitsrisiko, so Kipker. Zum Beispiel bei kritischen Infrastrukturen, bei Verwaltungsbehörden oder bei der Debatte um US-Überwachungstechnologie wie Palantir, die auch hierzulande eingesetzt werden soll.
Einerseits wolle man digitale Souveränität, andererseits lasse man massenhaft Bürgerdaten durch US-Technologie auswerten und verliert die Kontrolle über eigene Soft- und Hardware, kritisiert Kipker.
Woran es in Europa mangelt, wenn es um Technologie geht, erklärt ZDF-Wirtschaftsexperte Florian Neuhann.
18.11.2025 | 2:12 minSo kann Europa digital souveräner werden
Es sei aber noch nicht zu spät, einen anderen Weg einzuschlagen. "Der Zug ist noch nicht abgefahren."
Oft ist digitale Souveränität nicht mehr als ein Buzzword. Ein abstrakter Begriff, nicht viel Inhalt dahinter. Das sei nicht nur eine politische Frage, so Kipker, sondern eine Frage der Beschaffung bei den Unternehmen. Er selbst habe zwar keine hundertprozentige Souveränität, aber seine Lösungen unter anderem: E-Mails auf eigenen Servern hosten, nicht Chat-Tools wie Microsoft Teams benutzen, sondern quelloffene Alternativen.
Jede einzelne Entscheidung für oder gegen den Einsatz europäischer Technologie ist eine Entscheidung für oder gegen europäische, digital Souveränität.
Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Universität Bremen
Er wünsche sich von der Politik, "Unternehmen und auch Privatpersonen viel stärker darauf aufmerksam zu machen, dass es europäische Alternativen, europäische Lösungen gibt". Viele Beschaffer wüssten nicht, dass es schon viele digital souveräne EU-Produkte gebe. Mehr auf Regionalisierung von IT achten anstelle von Globalisierung, so Kipker.
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