Ukrainischer Armeechef Syrskyj:"Es muss ein gerechter Frieden sein"
Wird die umkämpfte Stadt Pokrowsk wirklich von den Russen kontrolliert? Welche Rolle spielen Drohnen im Krieg? Der ukrainische Armeechef Oleksandr Syrskyj exklusiv im Interview.
Oleksandr Syrskyj, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, im Interview mit Katrin Eigendorf
04.12.2025 | 18:26 minZDFheute: Das russische Narrativ lautet, sie würden bereits Pokrowsk kontrollieren. Sie kommen gerade von dort. Wie sieht es denn dort momentan aus?
Oleksandr Syrskyj: In einigen deutschen Medien ist die Information erschienen und gedruckt worden, dass die russische Armee Pokrowsk eingenommen hat. Ich kann erneut mit voller Gewissheit bestätigen, dass diese Information nicht der Wirklichkeit entspricht.
Wir halten den nördlichen Teil der Stadt unter unserer Kontrolle.
Oleksandr Syrskyj, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte
Im südlichen Teil befinden sich russische Truppen, die das schwierige Wetter ausnutzen, den dichten Nebel. Eine Situation, in der man keine Drohnen einsetzen kann. Sie dringen in die Stadt ein und bauen dort nach und nach ihre Kräfte auf.
Bei russischen Angriffen mit Gleitbomben auf Slowjansk wurden - laut Gouverneur der Region - mindestens acht Menschen verletzt, darunter zwei Kinder.
04.12.2025 | 0:34 minZDFheute: Wir haben einen völlig anderen Krieg als vor zwei Jahren. Es ist ein Drohnenkrieg, oder?
Syrskyj: Tatsächlich beobachten wir einen rasanten Paradigmenwechsel im Krieg. Früher, zu Beginn dieses Krieges, wurde der Krieg auf traditionelle Weise geführt. Das heißt durch Offensiven von Bataillonsgruppen, Panzerkolonnen, großen Massen an Infanterie. Jetzt aber hat sich die Lage mit dem Auftauchen einer riesigen Zahl verschiedenster Drohnentypen völlig verändert.
Die Vernichtung feindlicher Drohnen und ihrer Startplätze […] ist Aufgabe Nummer eins für jeden Kommandeur.
Oleksandr Syrskyj, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte
ZDFheute: Sie beschreiben, dass sich vieles verändert. Es gibt einige Experten aus Deutschland, die sagen, wenn der Westen seine Unterstützung für die Ukraine nicht verändert, dann wird die Ukraine diesen Krieg verlieren. Stimmen Sie dem zu?
Syrskyj: Natürlich benötigt ein Krieg dieses Typs eine riesige Menge an Ressourcen verschiedenster Art, eine riesige Menge an Raketen und Munition. Und selbstverständlich kann ein Land, das schon vier Jahre lang Krieg führt, das aus eigener Kraft nicht bewältigen. Wenn man die Größe, das Ausmaß der russischen Wirtschaft und der russischen Rüstungsindustrie berücksichtigt - natürlich übertrifft sie uns. Es ist klar, dass die meiste Munition in westlichen Ländern produziert wird, und diese Ausrüstung wird ständig gebraucht, besonders Raketen und andere Munition.
Mehr als 500 Drohnen und Raketen haben die ukrainische Großstadt Saporischschja erschüttert. Moskau spricht von militärischen Zielen, getroffen wurden Schulen und Wohnhäuser.
31.08.2025 | 2:30 minZDFheute: Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, waren Sie drei Tage davor, zum neuen Armeechef ernannt zu werden. Sie sagten mir damals, das Militär müsse sich verändern. Und Sie haben was verändert. Die Ukraine trifft jetzt Objekte auf dem russischen Territorium und greift Russland an.
Syrskyj: Der russische Militärhaushalt beträgt, wenn ich mich nicht irre, rund 175 Milliarden Dollar […]. Und ein erheblicher Teil dieses Haushaltes wird durch Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor gedeckt. Ungefähr 120 Milliarden. Das heißt: Indem wir Deep Strikes durchführen und Objekte der Öl- und Gasindustrie treffen, verringern wir die Möglichkeiten und Fähigkeiten Russlands, diesen Krieg zu finanzieren.
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04.12.2025 | 0:31 minZDFheute: Alle sprechen jetzt vom Frieden. Wie sehen Sie es?
Syrskyj: Frieden muss auf gleichberechtigten Bedingungen beruhen.
Es muss ein gerechter Frieden sein.
Oleksandr Syrskyj, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte
Unter Berücksichtigung dessen, dass nicht wir Russland angegriffen haben, sondern Russland uns angegriffen hat. Und dass es unser Territorium und unsere Bürger besetzt haben. Sie haben uns fast die Hälfte des ganzen Landes zerstört. Es gibt kein einziges Objekt auf ukrainischem Territorium, das nicht unter Beschuss durch feindliche Raketen oder feindlichen Drohnen ist. Wir können niemals die Rolle eines schwachen Landes akzeptieren, dem Bedingungen diktiert und aufgezwungen werden, das vor vollendete Tatsachen gestellt wird, dem man einfach sagt 'Unterschreiben und fertig'.
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30.11.2025 | 2:02 minDas Interview führte Katrin Eigendorf, internationale Sonderkorrespondentin des ZDF.
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