In Schweden gibt es viele Banden, die Gefängnisse sind voll. Nun plant die Regierung, hunderte Straftäter in einem Gefängnis in Estland unterzubringen. 17.06.2025 | 2:00 min
"Hinter schwedischen Gardinen": Die Wortwendung für eine Haft wurde mutmaßlich erfunden, weil schwedischer Stahl für Gefängnisgitter verwendet wurde. Er gilt als besonders hart. Vielleicht muss die Redewendung bald umbenannt werden in estnische Gardinen, denn
Schweden geht der Platz in Gefängnissen aus und will ab 2026 600 Plätze in einem Gefängnis im estnischen Tartu anmelden.
Denn: Die Auslastungskapazität in schwedischen Gefängnissen liegt bei 141 Prozent - auch, wenn auf sechs Quadratmetern bereits zwei Insassen sitzen.
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Justizminister: "Wir benötigen dringend Platz"
Die Vereinbarung mit Estland sei eine Möglichkeit, den Bedarf zu decken, sagte Schwedens Justizminister Gunnar Strömmer. "Das ersetzt aber in keiner Weise die Arbeit, die wir hier zu Hause leisten müssen, wir haben ehrgeizige Ausbaupläne (Anm. d. Red.: für die Gefängnisse) für die Zukunft", so Strömmer.
Die Regierung in Stockholm hat auch ehrgeizige politische Ziele: weniger Migration, weniger Bandengewalt. Weil das Land seit Jahren unter Explosionen und Schießereien im Bandenmilieu leidet, wurden zur Abschreckung höhere Haftstrafen beschlossen und immer mehr Menschen verurteilt.
Dieser Kurs soll weiter verschärft werden, so wollen es die sogenannten Tidö-Parteien, ein Bündnis der konservativ-liberalen Minderheitsregierung unterstützt von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten.
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Experte: Inhaftierungen könnten noch deutlich ansteigen
"Das Besorgniserregende ist, dass wir erst am Anfang eines gewaltigen Anstiegs stehen: Nach Prognosen der Strafjustiz werden in acht Jahren nicht 7.000 Menschen verurteilt im Gefängnis sitzen, sondern 35.000, wenn die Regierung alle ihre strafverschärfenden Vorschläge umsetzt", sagt Olof Bäckman, Professor für Kriminologie an der Universität Stockholm.
Die Strafverschärfungen sind fragwürdig für den Wissenschaftler, denn laut Forschung würden härtere Strafen keine größere Abschreckung nach sich ziehen.
Häftlinge aus Schweden: Gutes Geschäft für Estland?
Des einen Sorgen, des anderen Geschäft: Estland hat seit Jahren die niedrigsten Belegungsquoten in Gefängnissen in der
Europäischen Union. Auch in Tartu gib es viel Platz und das Gefängnis ist zu modern, um es abzureißen. 8.500 Euro will Schweden pro Platz monatlich überweisen. Das heißt, in einem Jahr kommen so 61,2 Millionen Euro Miete zusammen für 600 Insassen.
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Trotzdem gibt es auch kritische Stimmen. Indrek-Ivar Määrtis, Leiter der Inspektionsabteilung des Justizkanzleramtes, sagte im estnischen Fernsehen, die Situation dürfe sich für estnische Gefangene durch die schwedischen nicht verschlechtern.
Määrtis: "Wir sind uns nicht nur der Gefahr bewusst, die von diesen Menschen selbst ausgeht, sondern auch der Gefahr, dass die innere Sicherheit Estlands gefährdet wird." Gemeint sind: Extremismus, Radikalismus und Kontakt zu internationalen Terrornetzwerken.
Gina Otten ist Strafvollzugsbeamtin und ist für über 100 männliche Häftlinge in der JVA Oldenburg verantwortlich.17.05.2024 | 24:26 min
Das estnische Justizministerium beschwichtigt: Es würden nur männliche Gefangene aufgenommen, "die keine Anzeichen für die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk aufweisen und die für Estland als Ganzes keine nennenswerte Bedrohung darstellen".
Gewerkschaften: Sorge um Resozialisierung
Auch in Schweden gibt es Warnungen - von Gewerkschaften: Der Export von Häftlingen nach Estland sei reiner Verwahrungsvollzug, um Resozialisierung würde sich dann niemand kümmern. Die schwedische Regierung gibt sich unbeirrt. Sie fühlt sich auch bestätigt durch andere Länder in der EU, die solche Schritte schon gegangen sind oder darüber nachdenken, wie etwa
Dänemark oder
Österreich.
Estland hat auch
Deutschland seine freien Gefängnisplätze angeboten, was Deutschland abgelehnt hat. Aber Plätze werden auch hierzulande fremdvergeben, zwischen den Bundesländern. Denn bei ihnen schwankt die Auslastung zwischen 70 und 90 Prozent.
In der Justiz-Vollzugsanstalt Witzwil arbeiten Insassen im gefängniseigenen Landwirtschaftsbetrieb, statt ihre Strafe abzusitzen. Das soll sie auch für das Leben danach rüsten.
von Jasmin Astaki-Bardeh