Nach Parlamentswahl:Norwegen: Regierungsbildung mit Hindernissen
von Henner Hebestreit, Sigrid Harms
Hinter Norwegen liegt ein kurzer, aber kontroverser Wahlkampf - jetzt folgt für den alten und wohl auch neuen Regierungschef Jonas Gahr Störe eine schwierige Regierungsbildung.
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei von Ministerpräsident Störe ist bei der Parlamentswahl in Norwegen mit 28,2 Prozent stärkste Kraft geworden.
09.09.2025 | 0:21 minHinter Norwegen liegt ein kurzer aber kontroverser Wahlkampf - und auf den folgt jetzt für den alten und wohl auch neuen Regierungschef Jonas Gahr Störe eine schwierige Regierungsbildung. Seine Sozialdemokraten sind mit gut 28 Prozent Sieger der Wahl und könnten mit der Unterstützung von vier weiteren Parteien der linken Mitte eine Regierung bilden.
Linkes Lager inhaltlich tief gespalten
Störe hätte im Idealfall eine Mehrheit von fünf Stimmen im Parlament in Oslo gegenüber dem gesammelten Lager der konservativ-bürgerlichen Opposition mit der rechtspopulistischen Fortschrittspartei als stärkster Kraft. Diese Partei konnten ihren Stimmenanteil gegenüber der letzten Wahl mehr als verdoppeln und stellen mit knapp 24 Prozent der Wählerstimmen die zweitgrößte Fraktion im Parlament.
Keineswegs sicher ist allerdings, dass Sozialdemokrat Störe wirklich alle Parteien des ihm zugerechneten Lagers hinter sich versammeln kann, denn inhaltlich ist das linke Lager tief gespalten.
Das hat zu tun mit Norwegens Öl- und Gasreichtum. Teile der Linken wollen den Abschied von der Ausbeutung fossiler Brennstoffe, Störe will das nicht.
Ein Norweger fastet gegen die Öl- und Gaspolitik seines Landes. Trotz Klimaneutralitätsziel bis 2050 vergab Norwegen 800 neue Bohrlizenzen - sie bringen 94 Milliarden Euro Staatseinnahmen.
26.08.2025 | 2:08 minStöre am längeren Hebel, aber es gibt Baustellen
Auch die Politik gegenüber Israel könnte zum Problem werden: Die Israel-Investitionen des milliardenschweren Staatsfonds, der den Reichtum des Landes verwaltet, sind ein Streitpunkt.
Auch über eine Annäherung an die EU und über den Stromexport unter anderem nach Deutschland gehen die Meinungen innerhalb des linken Lagers auseinander. Gleichwohl - Störe sitzt am längeren Hebel: Mit einer Minderheitsregierung kann er sich wechselnde Mehrheiten suchen, denn es gibt in Norwegen weder die Wahl einer Regierung im Parlament noch die Möglichkeit zu vorgezogenen Neuwahlen.
Störe muss allerdings einen Haushalt durch das Parlament bekommen, sonst dürften seine Tage als Ministerpräsident gezählt sein.
Rechtspopulisten punkten vor allem bei Männern und Jungwählern
Gut möglich, dass das lange Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden politischen Lager Störes Unterstützer im Parlament fürs Erste zusammenschweißt. Denn der Druck von den Rechtspopulisten ist groß - und sie haben ihre Stimmen quer durch alle Gruppen der Bevölkerung gewonnen: Vor allem bei Männern und bei Jungwählern konnte die Partei von Sylvi Listhaug punkten.
Eine Woche vor der eigentlichen Wahl dominierte sie auch die traditionelle Abstimmung in den Oberstufenklassen der Schulen. Diese Abstimmung gilt als wichtiger Test für die Stimmung im Land und nur selten fällt das Ergebnis der Parlamentswahl anders aus als zuvor in den Schulen.
Norwegens Jugend wird politisch eingebunden, das stärkt die Demokratie. Vor der Parlamentswahl wird an Oberstufen gewählt. Das Ergebnis dient als Stimmungs-Barometer.
01.09.2025 | 2:07 minStärkerer Fokus auf Konflikte und Wirtschaft?
Diesmal ist das der Fall - aber unter Norwegens Jugend sind die Rechtspopulisten durchaus populär: "Ich habe das Gefühl, dass sowohl wir jungen Leute als auch die Politiker den Fokus gerade stärker auf Konflikte und Wirtschaft legen", sagt Edvard Sline, Schüler einer Oberstufe in Oslo. Seine Mitschülerin Martine Flakstad bestätigt:
Es passiert viel in der Gesellschaft, was beängstigend ist. Und ich glaube, deshalb gibt es eine gewisse Sehnsucht nach einem Wechsel, um zu sehen, was die andere Seite vielleicht besser machen kann.
Martine Flakstad, Schülerin einer Oberstufe in Oslo
Dazu wird es in den nächsten vier Jahren wohl nicht kommen. Doch jetzt muss Ministerpräsident Störe zeigen, dass er sein Land, das unter hohen Preisen leidet und in dem die Stimmen immer lauter werden, die fordern, norwegisches Geld für Norwegerinnen und Norweger einzusetzen statt Projekte in Entwicklungsländern zu fördern, durch raue Zeiten zu lenken vermag.
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