Kreta: Geflüchtete leiden unter dramatischen Zuständen in Lager

Kritik von Vizebürgermeisterin:Appell aus Kreta: Lage Geflüchteter dramatisch

von Anna Vezirgenidi
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In einem Lager auf Kreta leben Geflüchtete unter schwierigen Bedingungen. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Chania beschreibt die Lage vor Ort: "Alles hängt in der Luft."

Migranten in Griechenland

Das Migrantenlager nahe Chania auf Kreta ähnelt einer Haftanstalt. Mit mehr als 1.000 Menschen ist es bis an die Belastungsgrenze belegt. In den letzten Tagen kamen weitere Boote mit Flüchtenden an.

16.09.2025 | 1:53 min

Bilder aus dem Lager von Agia bei Chania machen die Zustände deutlich: Hauchdünne Matratzen auf dem Boden, unzureichende Toiletten, während sich Hautkrankheiten ausbreiten. Laut Eleni Zervoudaki, stellvertretende Bürgermeisterin von Chania, befinden sich derzeit 1.013 Menschen in der Einrichtung, die nur für kurze Aufenthalte gedacht war. Das belaste die Menschen psychisch.

Viele von ihnen kommen mit gesundheitlichen Problemen an, und im Anschluss treten vor allem dermatologische Beschwerden auf.

Eleni Zervoudaki, stellvertretende Bürgermeisterin Chania

Migrationsministerium in Griechenland: "Inhaftierung oder Rückkehr"

Statt über Lesbos oder Samos erreichen Geflüchtete mittlerweile überwiegend über die Insel Kreta die EU. Laut UN-Daten sind die Gesamtzahlen im Vergleich zum letzten Jahr insgesamt rückläufig, während die Ankünfte auf der Insel verhältnismäßig steigen.

Anfang September verschärfte das griechische Parlament das Asylrecht: Seit dem 11. Juli nimmt Griechenland keine Asylanträge mehr von Migranten entgegen, die über den Seeweg aus Nordafrika einreisen. Der vorläufige Asylstopp gilt für drei Monate.

Ein neues Gesetz sieht zudem vor, dass der irreguläre Aufenthalt unter Strafe gestellt wird. Menschen ohne Aufenthaltsrecht, die sich nicht zur freiwilligen Ausreise bereiterklären, müssen mit zwei bis fünf Jahren Haft und Geldstrafen von mindestens 5.000 Euro rechnen. Betroffenen sollen künftig nur zwei Optionen offenstehen: "Inhaftierung oder Rückkehr", erklärte das griechische Migrationsministerium.

Große Rettungsaktion vor Kreta - Hunderte Migranten gerettet

Die Fluchtroute über das Mittelmeer verlagert sich: Immer mehr Migranten erreichen Kreta - die griechische Insel steht vor neuen Herausforderungen.

07.07.2025 | 2:03 min

Migrationsminister Thanos Plevris kündigte am Dienstag gegenüber ERTNews an, dass die Migranten von Kreta aufs Festland abtransportiert würden, wodurch sich die Zahl auf der Insel verringern sollte. Ein anderes Bild zeichnet die stellvertretende Bürgermeisterin von Chania, die im ZDFheute-Interview sagt: "Alles hängt in der Luft. Am Dienstag hatte der Minister verkündet, dass 600 Migranten aus Agia abtransportiert würden, doch nur 166 sind gegangen. Ob bis Ende der Woche alle endgültig abgereist sein werden, bleibt abzuwarten".

Die Regierung solle Maßnahmen ergreifen, die in Absprache und Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen umsetzbar seien, und nicht nur einen Plan auf dem Papier, sondern auch in der Praxis vorlegen, so Zervoudaki.

Angespannte Lage führt zu Aufständen

Besonders vulnerable Gruppen seien schwangere Frauen und unbegleitete Minderjährige. Letztere integrierten sich schnell in Gruppen von Erwachsenen und würden deren Verhaltensweisen übernehmen. Am Dienstagabend soll es zudem bei der Essensausgabe zu einem Aufstand gekommen sein.

Es sind so viele, dass sie sich nicht in die Reihe stellen können, wodurch Horden auf die Essensausgabe stürzen.

Eleni Zervoudaki, stellvertretende Bürgermeisterin Chania

Die zuständigen Beamten der Küstenwache seien dafür nicht ausgebildet. Zervoudaki beschreibt: "Es kann passieren, dass jemand drei oder vier Portionen nimmt und andere ohne Essen bleiben."

Auf dem Bild ist ein Boot mit geflüchteten Personen auf dem Mittelmeer zu sehen.

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16.05.2024 | 45:19 min

Zervoudaki sieht Unterstützung seitens der EU als unabdingbar. Etwa Patrouillen in internationalen Gewässern und Vereinbarungen mit der libyschen Regierung, um die Migrationsströme zu kontrollieren, seien notwendig: "Im Wesentlichen geht es um die wirtschaftliche und strategische Stärkung Libyens, damit dieser Strom gestoppt werden kann und die Schlepper kein Schwarzgeld mehr durch Menschenhandel verdienen."

NGOs und UNHCR schlagen Alarm

Das UNHCR zeigte sich bereits im August "zutiefst besorgt" über die Verschärfung der Sanktionen seitens der griechischen Regierung. Die Beantragung von Asyl, auch auf irregulärem Wege, sei keine Straftat, sondern eine lebensrettende Maßnahme und ein grundlegendes Menschenrecht.

Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht, das nicht ausgehebelt werden darf.

Medico International

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Am Ende bleibt für Zervoudaki vor allem Enttäuschung, "sowohl aus humanitären als auch aus sozialen Gründen. Und für die Würde all derer, die mit großem Einsatz wirklich ihr Bestes geben".

Die Vizebürgermeisterin verweist auch auf die wirtschaftliche Belastung der Gemeinde Chania: Die Mittel, die in dieser Zeit aus eigenen Ressourcen aufgewendet wurden, seien nicht zurückerstattet worden. Für sie bleibt nun erstmal abzuwarten, welche Schritte die Regierung in Athen weiter geht.

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