US-Präsident:Biden gefährdet sein eigenes Vermächtnis
Am Ende des Nato-Gipfels galt alle Aufmerksamkeit Joe Biden. Auf seiner Pressekonferenz wollte er beweisen, dass er den Herausforderungen seines Amtes weiter gewachsen ist.
Fast alle Fragen drehen sich darum, ob Biden bereit ist seine Präsidentschaftskandidatur aufzugeben. Die Ukraine bekommt auf diesem Gipfel nicht alles, was sie sich erhofft hat.
12.07.2024 | 2:27 minKaum hat er den entscheidenden Satz zu Amerikas Rolle in der Nato und in der ganzen Welt ausgesprochen - "Wir sind die unverzichtbare Nation, auf unsere Führungsstärke kommt es an" - da liefert US-Präsident Joe Biden den Beleg, dass er selbst für Amerika nicht mehr unverzichtbar ist.
Auf die allererste Frage der Pressekonferenz nach der Führungsfähigkeit seiner eigenen Stellvertreterin Kamala Harris antwortet er: "Ich hätte Vizepräsidentin Trump nicht ausgewählt, wenn ich glauben würde, dass sie nicht qualifiziert genug wäre, um Präsidentin zu sein."
Biden: Habe viel geschafft, will das vollenden
Klarer kann ein Präsident kaum demonstrieren, dass er überfordert ist. Ja, man kann es als kurzen Aussetzer entschuldigen. Bei einem Termin kurz vor der Pressekonferenz hatte er schon den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj versehentlich als "Putin" angekündigt, sich aber sofort korrigiert. Und ja, Joe Biden zählt danach völlig zu Recht all die innen- und außenpolitischen Erfolge seiner Amtszeit auf. Und ja, er zeigt bei Themen wie Ukraine, Russland, China und Gaza ein Fachwissen, von dem Donald Trump nur träumen kann.
Es war der letzte große Programmpunkt von Joe Biden beim Nato-Gipfel in Washington - und der US-Präsident verspricht sich - wieder. Diesmal bezeichnete der Selenskyj als Putin.
12.07.2024 | 1:21 minAber im Verlauf seines Auftritts verirrt sich der 81-jährige immer wieder in seinen Gedankengängen, verwechselt Namen und Bezeichnungen. Und dann beteuert er, er sei nach 20 Uhr abends weiter voll einsatzfähig, seine Mitarbeiter würden ihm nur seinen Terminkalender manchmal ein wenig zu vollpacken.
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Unsere Kollegin vom National Public Radio, Asma Khalid, stellt ihm die entscheidende Frage. In seinem Wahlkampf 2020 habe Biden sich doch als "Brückenkandidat" bezeichnet, als "Übergang zu einer jüngeren Generation von Anführern. Was hat sich verändert?", will Asma wissen.
"Es ist der Ernst der Lage, die ich vorgefunden habe, in der Wirtschaft, in der Außenpolitik, bei der Spaltung im Land", so Bidens Antwort. Er habe so viel schon geschafft. "Ich will das vollenden."
Immer mehr US-Demokraten fordern Bidens Rückzug als Präsidentschaftskandidat. Auch Nancy Pelosi forderte Biden zu einer Entscheidung auf. Verschärft sich der Ton in der Debatte?
11.07.2024Bidens Verdienste nichts wert, wenn er gegen Trump verliert
Aber genau das wird er wohl nicht mehr können. Denn Biden hat nicht nur Recht, wenn er den Ernst der Lage beschwört, es ist sogar noch viel schlimmer.
Die Beschlüsse des Nato-Gipfels:
- Kampfjets für die Ukraine
- die in Aussicht gestellte Mitgliedschaft im Bündnis
- die Verlagerung der Koordination der Waffenhilfe aus den Händen der USA an die Nato
- die Stationierung von US-Raketen in Deutschland
- die Abschreckung gegen Russland und China
- die wirtschaftlichen und militärischen Bündnisse im Indopazifik, in Afrika und anderswo
Dies und alle anderen Verdienste von Biden sind nichts wert, wenn er gegen Trump verliert. Dann könnte der unberechenbare Trump die amerikanische Demokratie in ein autoritäres Regime verwandeln und die Partner Amerikas im Stich lassen.
Dies zu verhindern, Amerika zu stabilisieren, die Bündnisse zu erhalten - diese Aufgaben sind zu groß für den Mann im Weißen Haus, der seinem Alter jeden Tag mehr Tribut zollen muss. Folgerichtig rufen jetzt auch nach der Pressekonferenz weitere demokratische Abgeordnete zu Bidens Rückzug auf.
Der Auftritt Joe Bidens "war eigentlich ganz gut, aber nicht gut genug", so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen. Möglicherweise stehen wir "vor einem großen, neuen Wettrüsten".
12.07.2024 | 3:17 minAltkanzler Schmidt: Gute Absicht entlastet nicht von Verantwortung
Deutschlands Altkanzler Helmut Schmidt sagte 2007 einmal in Anlehnung an die Worte des Soziologen Max Webers zur "Verantwortungsethik", dass Berufspolitiker immer für alle Folgen ihres Handelns geradestehen müssten, auch und besonders für die ungewollten Folgen sowie für die in Kauf genommenen und nicht vorhergesehenen Nebenwirkungen.
"Diese Maxime gilt ohne jede Einschränkung", so Schmidt. "Ohne die vorangehende Anstrengung seiner Vernunft kann der Politiker sein Handeln und dessen Folgen nicht im Gewissen verantworten. Eine gute Absicht allein oder eine lautere Gesinnung allein kann ihn von seiner Verantwortung nicht entlasten."
Bidens Auftritt nicht mehr so kategorisch wie Worte vor einer Woche
Joe Biden mag in guter Absicht handeln, aber es entschuldigt ihn nicht. Vielleicht ist er nun doch ins Grübeln gekommen. Sein Auftritt ist nicht mehr so kategorisch wie seine Worte vor einer Woche, er werde sich nur dann zurückziehen, wenn der "allmächtige Gott" ihn darum bäte.
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Erstmals signalisiert der Kandidat Biden jetzt, dass jeder Delegierte auf dem Nominierungsparteitag im August nach seinem Gewissen entscheiden sollte, "das ist Demokratie". Und erstmals sagt er auch:
Es gibt andere, die Trump schlagen könnten, aber sie würden bei Null anfangen.
Joe Biden, US-Präsident
Das müssten sie nicht, wenn der Präsident sie mit aussuchen und sich dann gemeinsam mit ihnen im Wahlkampf mit all seiner Kraft für die Fortführung seiner erfolgreichen Politik einsetzen würde.
Diese Einsicht wollen seine Parteifreunde nun befeuern, auch wenn sie noch keinen Plan haben, wer ihn ersetzen sollte. Am ehesten wohl seine Vizepräsidentin, die Harris heißt, wohlgemerkt nicht Trump.
Elmar Theveßen ist Leiter des ZDF-Studios in Washington D.C.
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