Ohne Krankenversicherung in Belgien:Hilfe für Menschen in Not: Freiwillige verteilen Medikamente
von Miriam Amalo, Brüssel
In Lüttich betreibt das "Resto du Cœur" eine Medikamentenausgabe für Menschen, die sich diese nicht leisten können oder nicht krankenversichert sind. Sie ist einzigartig in Belgien.
In Belgien gibt es immer mehr Menschen ohne Arbeitserlaubnis und Krankenversicherung.
23.12.2025 | 2:11 minEs ist Dienstag, 9 Uhr morgens in Lüttich. Vor dem "Resto du Cœur", dem "Restaurant des Herzens", bildet sich langsam eine Schlange. Einige Menschen tragen Einkaufstaschen, andere Rucksäcke. Sie warten geduldig. Wer hier ansteht, hofft auf eine warme Mahlzeit. Doch viele brauchen auch medizinische Hilfe und haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem.
Keine Krankenversicherung - und krank
Einer von ihnen ist Dorum Mihai Dorneau. Vor zwei Monaten kam er aus Rumänien nach Belgien, um Arbeit zu finden. Ohne gültige Papiere bleibt ihm der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt und damit auch zur Krankenversicherung. Derzeit lebt er in seinem Auto und kann sich Medikamente nicht leisten: "Ich hatte eine Erkältung und kann jetzt auf einem Ohr nicht mehr hören", erzählt er. Bei der Untersuchung stellten die Ärztinnen außerdem Bluthochdruck fest. "Sie haben mir Medikamente gegeben", sagt Dorneau.
Zahl der Bedürftigen wächst
Anne Destiné ist Allgemeinmedizinerin im Ruhestand und arbeitet seit drei Jahren ehrenamtlich bei "Resto du Cœur". Einmal pro Woche behandelt sie hier bis zu 20 Patientinnen und Patienten.
Experten gehen davon aus, dass Hunderttausende Menschen in Deutschland keine Krankenversicherung haben könnten. Die Gründe sind vielfältig. In Praxen wie "Caya" finden sie Hilfe.
22.12.2025 | 2:07 minSie beobachtet, dass sich die Zielgruppe verändert hat. Früher seien vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen gekommen, erklärt Destiné. Viele von ihnen seien zwar versichert gewesen, aber finanziell nicht in der Lage, die Eigenanteile für Medikamente zu bezahlen.
Heute kämen immer mehr Menschen ohne Aufenthaltspapiere, ohne Krankenversicherung, ohne Hausarzt oder festen Wohnsitz. "Sie haben praktisch nichts", sagt Ärztin Destiné.
Helfer erleben Frust und Aggression
Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer stehen dabei auch vor Herausforderungen. Es gebe Menschen, die unzufrieden seien, weil sie warten müssten oder nicht alles bekämen, was sie erwarteten. Hinzu kämen häufig psychische Belastungen. "Manchmal erleben wir Aggressivität", erklärt Anne-Marie Meurice, die den medizinischen Dienst leitet und seit rund 30 Jahren für die Organisation arbeitet.
Apotheken spenden Medikamente
Die Medikamente für den Service stammen teilweise aus Spenden von rund 30 Apotheken aus der Region. In Belgien müssen nicht benötigte Medikamente in Apotheken zurückgegeben werden und dürfen, anders als in Deutschland, nicht im Müll landen. So prüfen die Ehrenamtlichen die Spenden, sortieren abgelaufene Präparate aus und bereiten sie auf.
Ehrenamt schließt Versorgungslücken
Dennoch reicht das lange nicht aus. Jährlich müssen Medikamente im Wert von 10.000 bis 20.000 Euro zugekauft werden. Neben dem Medikamentenservice und der Essensausgabe bietet die soziale Einrichtung in Lüttich darüber hinaus auch noch vieles andere an, um Menschen in Armut zu unterstützen: "Es gibt einen Eltern-Kind-Dienst für Mütter und Babys, einen Sozialdienst und einen Duschservice", erklärt die medizinische Leiterin Meurice.
Die Armut in Deutschland betrifft vor allem alte Menschen und ganz junge Menschen: Knapp ein Drittel der Tafel-Kunden sind Kinder.
23.12.2025 | 0:28 minSteigende Nachfrage, begrenzte Mittel
Gleichzeitig wächst die Nachfrage immer weiter. Hilfsorganisationen berichten, dass im Jahr 2025 rund 2.500 Asylsuchende ohne Unterkunft auf Belgiens Straßen leben. Auch das Resto du Cœur in Lüttich stößt an seine Grenzen. Rund 90 Ehrenamtliche und Mitarbeitende halten den Betrieb aufrecht. Der Leiter der Einrichtung, Bob Balbourg, warnt jedoch, dass Ehrenamt die staatliche Verantwortung in der Zukunft nicht dauerhaft ersetzen könnten.
Mehr als 100 neue Fälle pro Woche
So führten gesellschaftliche Entscheidungen dazu, dass Menschen in Armut immer weniger Unterstützung erhielten: "Wie in einem Trichter müssen die Menschen dann zu uns kommen, um Nahrung und medizinische Hilfe zu bekommen, die sie draußen nicht mehr bezahlen können", erklärt Balbourg.
Allein in Lüttich werden derzeit mehr als 100 neue Fälle pro Woche registriert - ein enormer Anstieg im Vergleich zu 2024. Und die Zukunft des Angebots sei unsicher.
Immer mehr Rentner brauchen finanzielle Hilfe vom Staat. Seit 2021 ist die Zahl der Menschen, die Grundsicherung im Alter beziehen, um mehr als 30 Prozent gestiegen.
08.07.2025 | 3:14 minBei jährlichen Betriebskosten von rund einer Million Euro deckten staatliche Zuschüsse nur einen Bruchteil ab.
Zwischen Notlösung und strukturellem Problem
Das medizinische Angebot der Restos du Cœur zeigt, wie Versorgungslücken kurzfristig geschlossen werden können. Zugleich macht es ein strukturelles Problem sichtbar, denn für viele Menschen hängt der Zugang zu medizinischer Hilfe inzwischen vom Engagement Freiwilliger ab.
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