Wahlen in Argentinien:Mileis Reformkurs spaltet das Land
von Christoph Röckerath
Am Tag der Wahl steht Argentiniens Präsident Milei unter Druck: Die Wirtschaft wächst, doch viele verlieren ihren Job. Wird ihm das zum Verhängnis?
Der argentinische Präsident Javier Milei (Mitte) bei der Abschlusskundgebung der Partei La Libertad Avanza in Rosario.
Quelle: epaWenn es eine Person gibt, an der sich das Dilemma der von Präsident Javier Milei eingeleiteten wirtschaftlichen Kehrtwende Argentiniens zeigen lässt, dann ist es Guilhermo Betantcourt. Der vierfache Familienvater war Stahlarbeiter in einer Fabrik in Campana, gut eine Stunde nördlich von Buenos Aires, bis er kürzlich, im Alter von 57 Jahren, entlassen wurde.
Die Reformen von Präsident Milei haben die Märkte geöffnet, den Peso stabilisiert. Betancourts Arbeitgeber kann jetzt einen Teil des Stahls günstiger importieren, anstatt ihn zu produzieren. Der Firma geht es damit besser, aber Guilhermo wird nicht mehr gebraucht:
Du arbeitest 26 Jahre im Schichtdienst, sieben Tage die Woche. Und dann sagen sie dir von einem Tag auf den anderen: Du bist jetzt nutzlos, wir wollen dich nicht mehr. Das macht mich wütend und verzweifelt.
Stahlarbeiter Guilhermo Betantcourt
Etwas verloren steht er zum Schichtwechsel vor dem Werkstor und wartet auf ein paar ehemalige Kollegen, die mit ihm in der Gewerkschaft sind, um über gemeinsame Protestaktionen zu beraten.
Argentinien steht vor den Zwischenwahlen. Die Strategie des Präsidenten führt zu Wirtschaftswachstum, doch die Löhne sinken und die Arbeitslosigkeit steigt. Das führt zu Unmut.
25.10.2025 | 2:57 minVerlierer der Reformen protestieren gegen Präsidenten
"Dieser Wirtschaftsplan der Regierung ist ein Angriff auf die Industrie", sagt Betancourt. "Die Marktöffnung macht aus Produzenten Importeure, und das bedeutet, dass Kollegen entlassen werden."
So wie ihm geht es Zehntausenden anderen. Im Wochentakt demonstrieren die Verlierer der Reformen in der Hauptstadt gegen den Präsidenten. Es sind Arbeiter, Rentner und ehemalige Staatsbedienstete, die kaum noch über die Runden kommen, weil sie ihre Jobs verloren haben oder Lohn und Rente nach wie vor niedrig, die Preise aber hoch sind.
Das Argentinien dieser Tage ist voller Widersprüche. Dank eines radikalen Sparkurses und weitreichenden Liberalisierungen wächst Argentiniens Wirtschaft erstmals seit 15 Jahren wieder, mit einer für Südamerika beachtlichen Prognose von mehr als vier Prozent.
Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Die Märkte für Rohstoffe und höherwertige Konsumgüter profitieren, auf der anderen Seite halten niedrige Löhne und hohe Preise die Binnenkonjunktur im breiteren mittleren und unteren Segment im Würgegriff.
Die ersten Erfolge von Mileis Reformen sind verblasst. Skandale pflastern den Weg des Kettensägenmanns.
22.10.2025 | 13:26 minImporte lassen Industrieproduktion einbrechen
"Um die Inflation zu senken, hat die Regierung die Wirtschaft für Importe geöffnet. Damit ist aber die Industrieproduktion eingebrochen und Arbeitsplätze sind verloren gegangen", sagt Daniel Schteingart, Wirtschaftssoziologe aus Buenos Aires. Mileis Wirtschaftspolitik sei nicht nachhaltig, weil er es versäumt habe, Devisenreserven anzuhäufen, als er nach den hohen Einnahmen durch die Sojaernte im Frühjahr die Chance dazu hatte.
"Hätte er Reserven angehäuft, wären der Wechselkurs und die Inflation etwas höher gewesen. Milei ließ lieber den Wechselkurs stark fallen, um die Inflation zu senken, in der Hoffnung, dass ihm das Kredit bei den Wählern verschafft." In der Folge sei Mileis zentraler Erfolg, die Verlangsamung der Inflation, weiterhin davon abhängig, dass frische US-Dollar den Peso stützten.
Erneut sind in Argentinien Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Sparkurs von Präsident Milei zu demonstrieren. Darunter sind vor allem Studenten.
18.09.2025 | 0:20 minGespenst der Inflation geht weiter um
Die Währung bleibt die Achillesferse der argentinischen Wirtschaft. Das Gespenst der Inflation geht weiter um im Land. Nach anfänglichem Optimismus scheinen wieder mehr Argentinier dem Peso zu misstrauen. Sie kaufen Dollar. "Das ist auf Dauer nicht tragbar, denn die Menge an verfügbaren Dollars ist begrenzt", sagt Schteingart: "Wenn die Nachfrage nach Dollar weiter steigt, könnte es zu einer Abwertung der argentinischen Währung und zu einem Anstieg der Inflation kommen." Und Mangels Reserven hätte Milei kaum ein Mittel dagegen.
Als wäre das schon nicht genug, hat nun auch Mileis engster ideologischer Verbündeter, US-Präsident Trump, den Druck erhöht. Weitere Hilfe knüpft er an den Erfolg Mileis bei den Parlamentswahlen an diesem Sonntag, bei der knapp die Hälfte der Sitze neu vergeben werden.
In Argentinien stehen am Sonntag Zwischenwahlen an. Der rechtslibertäre Präsident Milei steht nach Korruptionsskandalen und Niederlagen bei Regionalwahlen unter besonderem Druck.
25.10.2025 | 1:40 minMilei regiert per Dekret und fragilen Allianzen
Bisher verfügt Milei über keine Mehrheit in den Kammern, regiert per Dekret oder mit fragilen Allianzen. Auf Dauer geht das nicht, er muss also in jedem Fall gewinnen - nicht nur für das Geld von Trump, sondern, um überhaupt seinen Kurs fortsetzen zu können.
Lag er anfangs vorne, hat er zuletzt stark an Popularität eingebüßt, vor allem, weil Korruptionsvorwürfe aus seinem engsten Umfeld sein Image als unabhängiger Saubermann, der mit der Kettensäge aufräumt, beschädigt haben. Die Opposition liegt in den jüngsten Umfragen wieder fast gleichauf.
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