Wirtschaftssoziologe Daniel Schteingart:"Mileis Erfolg war, die Inflation zu senken"
von Christoph Röckerath
Was hat Milei in seiner bisherigen Amtszeit erreicht? Der argentinische Wirtschaftssoziologe Daniel Schteingart ordnet seine Erfolge ein und wagt einen Blick in die Zukunft.
Der argentinische Präsident Javier Milei (Mitte) bei einer Abschlusskundgebung seiner Partei La Libertad Avanza in Rosario in der Provinz Santa Fe.
Quelle: AFPIn Argentinien wird am 26. Oktober ein Teil des Parlaments neu gewählt. Eine Niederlage für Mileis Partei La Libertad Avanza ist nicht unwahrscheinlich. Diese hatte bereits bei den Regionalwahlen in Buenos Aires im September schlechter abgeschnitten.
Der Wirtschaftssoziologe Daniel Schteingart erklärt, warum Mileis erste Erfolge – Wirtschaftswachstum und Verlangsamung der Inflation – keine langfristige Verbesserung garantieren und wie divers die Gruppen der Verlierer und Profiteure sind.
Argentinien steht vor den Zwischenwahlen. Die Strategie des Präsidenten führt zu Wirtschaftswachstum, doch die Löhne sinken und die Arbeitslosigkeit steigt. Das führt zu Unmut.
25.10.2025 | 2:57 minZDFheute: Was hat Milei seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 erreicht?
Daniel Schteingart: Milei trat sein Amt mit einer monatlichen Inflation von fast 20 Prozent pro Monat an. Nach einer sehr starken Wechselkursanpassung ist es der Regierung gelungen, die Inflation in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 zu senken.
Derzeit liegt die Inflation bei zwei Prozent pro Monat. Im europäischen und lateinamerikanischen Vergleich ist sie immer noch sehr hoch, aber im Vergleich zu den vergangenen Jahren in Argentinien ist das die wichtigste Errungenschaft. Aber Mileis Wirtschaftsstrategie ist aus meiner Sicht nicht nachhaltig.
ZDFheute: Warum? Was sind die größten Fehler, die Milei gemacht hat?
Daniel Schteingart: Milei hat es versäumt, Devisenreserven anzuhäufen, als er im Frühjahr 2025 (nach hohen Einnahmen durch die Agrarexporte – Anm. d. Red.) die Chance dazu hatte. Reserven sind wie die Bildung von Antikörpern in der Wirtschaft.
Wenn Sie unter Druck geraten, Fremdwährungen zu kaufen, haben Sie Reserven, die Sie an Wirtschaftsakteure verkaufen können, um Wechselkursprobleme zu vermeiden.
Hätte er Reserven angehäuft, wären der Wechselkurs und die Inflation etwas höher gewesen. Milei ließ lieber den Wechselkurs stark fallen, um die Inflation so schnell wie möglich zu senken, in der Hoffnung, dass ihm das Kredit bei den Wählern verschafft.
In Argentinien stehen am Sonntag Zwischenwahlen an. Der rechtslibertäre Präsident Milei steht nach Korruptionsskandalen und Niederlagen bei Regionalwahlen unter besonderem Druck.
25.10.2025 | 1:40 minDie Folge ist, dass er so keine ‚Antikörper‘erzeugt hat. Als im September der Druck auf den Peso stieg, musste die Regierung US-Präsident Donald Trump um Hilfe bitten, den Peso zu stützen.
Das zentrale Problem bleibt, dass die argentinische Wirtschaft weiterhin einen hohen Bedarf an US-Dollar hat. Viele Menschen kaufen Dollar, weil sie erwarten, dass der Wechselkurs steigen wird. Das ist jedoch auf Dauer nicht tragbar, denn die Menge an verfügbaren Dollars ist begrenzt.
Wenn die Nachfrage nach Dollar weiter steigt, könnte es zu einer Abwertung der argentinischen Währung und zu einem Anstieg der Inflation kommen. Viele Marktteilnehmer rechnen damit, dass der Wechselkurs nach den Wahlen am 26. Oktober stark steigen könnte. Sollte das passieren, wäre Mileis Strategie zur Inflationsbekämpfung gefährdet.
Erneut sind in Argentinien Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Sparkurs von Präsident Milei zu demonstrieren. Darunter sind vor allem Studenten.
18.09.2025 | 0:20 minZDFheute: Wer sind die Verlierer von Mileis Wirtschaftsmaßnahmen?
Daniel Schteingart: Die Hauptverlierer sind alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Ihre Realgehälter haben auf nationaler Ebene 30 Prozent an Kaufkraft verloren.
Im Privatsektor ist das Baugewerbe von den Kürzungen öffentlicher Ausgaben besonders betroffen, wodurch sich die argentinische Infrastruktur verschlechtert hat.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung ist der argentinische Präsident Milei mit Steinen beworfen worden. Er blieb unverletzt und wurde in Sicherheit gebracht.
28.08.2025 | 0:16 minDer Sparkurs zerstört auch die argentinische Wissenschaft. Die Ausgaben für Wissenschaft schrumpfen um mehr als 30 Prozent. Viele Wissenschaftler, darunter Menschen mit Doktortiteln, verdienen heute etwa tausend Dollar im Monat. Das ist angesichts ihres Qualifikationsniveaus ein sehr schlechtes Gehalt. Viele gehen weg.
Außerdem ist durch die Öffnung der Wirtschaft für Importe die Industrieproduktion im Vergleich zum Jahr 2023 um zehn Prozent gesunken, dabei sind viele Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen.
ZDFheute: Und wie steht es um Profiteure? Gibt es eine Gruppe die von Mileis Agenda besonders profitiert hat?
Daniel Schteingart: Die Gewinner von Mileis Wirtschaftspolitik sind Arbeitnehmer im privaten Sektor. Sie haben um fünf Prozent an Kaufkraft gewonnen. Die Öl- und Bergbauindustrie profitierten mit am meisten.
Die Regierung unter Milei fördert die Ölindustrie, wie es bereits frühere Regierungen Argentiniens getan haben. Allerdings umfasst dieser Sektor nur etwa ein Prozent der Arbeitsplätze in Argentinien.
Wenn man sich die Gruppe der Lohnempfänger ansieht, ist die Kaufkraft heute mehr oder weniger ähnlich wie bei Mileis Amtsantritt, aber viel diverser verteilt.
Angestellte im öffentlichen Sektor, in der Industrieproduktion und im Baugewerbe sind schlechter gestellt und Angestellte im privaten Sektor in der Öl- und Bergbauindustrie profitieren.
Daniel Schteingart arbeitet als Wissenschaftler bei dem argentinischen thinktank "fundar". Dort setzt er sich mit der öffentlichen Politik Argentiniens im Hinblick auf eine nachhaltigen und integrativen Entwicklung auseinander. Schteingart promovierte in Soziologie an der staatlichen Universität San Martín.
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