Wiesbaden setzt auf "stille Stunden" - wenig Reize in Geschäften

Weniger Reize beim Einkaufen:Wiesbadener City setzt auf "stille Stunden"

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Gedimmtes Licht, keine Musik - einmal die Woche werden in Wiesbadener Geschäften die Reize für Kunden auf ein Minimum reduziert. Damit will man sensiblen Menschen entgegenkommen.

Plakate der Initiative "Stille Stunde" sind vor einer Kassenzone des Kaufhauses Galeria in Wiesbaden aufgestellt.
Die "Stille Stunde" in der Wiesbadener City soll reizsensiblen Menschen entgegenkommen.
Quelle: dpa

Werbung und Musik in Dauerschleife aus mehreren Boxen - in vielen Geschäften in Deutschland gehört das dazu. Mitunter jedoch mit nicht beabsichtigten Folgen: Nicht alle Kunden fühlen sich davon angesprochen - manche werden dadurch sogar ausgeschlossen. Für sie sind die vielen Reize zu nervenzehrend, bisweilen gesundheitsgefährdend.

Laute und grelle Läden für viele "große Belastung"

Menschen mit Long Covid oder mit Autismus sowie reizsensible Krebspatienten nach einer Chemotherapie empfinden laute und lichtintensive Geschäfte oft als große Belastung, sagt Karin Mültin, Projektleiterin beim Citymanagement von Wiesbaden, Hessens Landeshauptstadt.
"Wir wollen eine Stadt, die gesellschaftliche Teilhabe für alle ermöglicht", erläutert sie im Einkaufszentrum Luisenforum in der Innenstadt. Unter anderem dort haben zahlreiche Unternehmen im Juli eine neue Initiative gestartet. "Weniger Reiz. Mehr Inklusion." So lautet das Motto der "Stillen Stunde" für ein entspannteres Einkaufen in der Stadt.
Stille Stunde
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Einmal die Woche wird es ruhig im Einkaufszentrum

Jeden Donnerstagnachmittag ab 15 Uhr schalten inzwischen mindestens 25 Geschäfte für zwei Stunden die Beschallung weitgehend aus, verzichten auf Lautsprecher-Ansagen oder dimmen die Beleuchtung. Für betroffene Kunden gibt es auf Wunsch besondere Ausweise, die individuelle Auskünfte enthalten.
"Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland hat eine sensorische Beeinträchtigung - und das sieht man den Menschen jedoch nicht an", erklärt Mültin. Deshalb sei eine stille Stunde eine Form der entgegenkommenden Rücksichtnahme.

Ein bisschen mehr Ruhe, das tut doch auch allen Menschen gut.

Karin Mültin, Citymanagement Wiesbaden

Auch gebe es dafür reizreduzierte Kassenbereiche und eine dezentere Verkaufsstrategie beim Personal. Neben dem Luisenforum nehmen weitere Wiesbadener Geschäfte an der Aktion teil, etwa das Warenhaus Galeria.
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Ruhezonen für die Kunden

"Wir haben Schulungen für alle Mitarbeiter angeboten, um sie zu sensibilisieren", berichtet Betriebswirtin Janine Marz, die das Shopping-Center Luisenforum leitet. So wüssten die Verkäuferinnen und Verkäufer nun etwa, wo sich die Zone der Ruhe befindet. Dorthin können sich Menschen bei akuter Reizüberflutung zurückziehen und zur Ruhe kommen.
Mit zwei Vorhängen lässt sich dieser Bereich abschirmen - und er steht Betroffenen jederzeit zur Verfügung. Während der Aktionsstunden am Donnerstag gibt es auch im Saturn-Geschäft eine zweite Zone der Ruhe. Janine Marz betont, dass diese Form gesellschaftlicher Rücksichtnahme weitgehend kostenneutral ist und dennoch eine große Wirkung erziele.
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Es gibt auch ein Geschäft der Ruhe, das eigentlich gar kein Geschäft ist. In einer konsumfreien Work-and-Relax-Lounge können sich etwa Familien oder Einzelpersonen hinsetzen, müssen nichts kaufen oder bestellen. Und wer spontan ungestört ein Telefonat führen muss, kann sich in eine sogenannte Mutebox zurückziehen.
Die Aktion einer stillen Stunde verfolgen verschiedene Initiativen deutschlandweit. Wiesbaden ist laut Mültin dabei die erste Stadt, die das Konzept so groß und koordiniert aufzieht.
Quelle: KNA
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