Wie Hochsensibilität wertvoll sein kann| Terra-X-Kolumne
Kolumne
Terra X - die Wissens-Kolumne:Hochsensibilität erkennen - und positiv sehen
von Corina Greven
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Ein klingelndes Handy, Gespräche im Büro, Kaffeegeruch: für manche nur Alltagskulisse, für andere Reizüberflutung. Doch wie erkennt man Hochsensibilität, und wie geht man damit um?
Ihr Kollege wirkt nach Meetings erschöpft, Ihr Kind bemerkt kleinste Veränderungen, oder Sie selbst sind nach sozialen Kontakten schnell ausgelaugt. Könnte Hochsensibilität eine Erklärung sein?
In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
Hochsensibilität erkennen und verstehen
Hochsensibilität ist eine wissenschaftlich erforschte Persönlichkeitseigenschaft, die sich durch eine ausgeprägte Wahrnehmung und Verarbeitung von Umweltreizen und eine stärkere emotionale Reaktivität auszeichnet. Diese Eigenschaft an sich ist weder gut noch schlecht - sie bringt sowohl Herausforderungen als auch Stärken mit sich.
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Hochsensibilität: Herausforderung oder Stärke?
Am Arbeitsplatz kann Hochsensibilität unterschiedliche Auswirkungen haben. Sensible Menschen sind oft empathische Kollegen, die sich gut in andere hineinversetzen und soziale Nuancen präzise erfassen. Zudem zeigen Studien, dass Hochsensibilität mit gesteigerter Kreativität - etwa durch originelle Ideen oder gestalterische Aktivitäten - einhergehen kann.
Genau solche Fähigkeiten - Empathie und kreatives Denken - zählen laut gesellschaftlichem Diskurs (z. B. World Economic Forum) zu den zentralen Zukunftskompetenzen der kommenden Jahre. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Hochsensibilität auch mit Naturverbundenheit und Bewusstsein für zukünftige Konsequenzen einhergeht - oft verbunden mit umweltbewusstem Verhalten.
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Unterschiedliche Ausprägungen von Hochsensibilität
Dennoch gibt es Unterschiede innerhalb der Gruppe. Hochsensibilität ist keine feste Kategorie, sondern ein Kontinuum mit individuell unterschiedlichen Ausprägungen: Manche Menschen erleben vor allem Vorteile, andere kämpfen mit Überforderung.
Die erhöhte Reizwahrnehmung und -verarbeitung kann schneller zu Überstimulierung und Erschöpfung führen. Studien mit Lehrkräften, Pflegepersonal und anderen Berufsgruppen zeigen, dass Hochsensibilität mit erhöhten Burnout-Symptomen einhergehen kann, insbesondere dann, wenn das Arbeitsumfeld nicht ausreichend unterstützend gestaltet ist.
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Wie kann man Hochsensibilität besser managen?
Ein erster Schritt, um Hochsensibilität zu managen, ist Bewusstsein - sowohl für sich selbst als auch für Kolleg*innen, Kinder oder Partner. Sensible Menschen profitieren oft von kurzen Pausen, der Reduktion von Reizen und der Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Auch Arbeitgeber können ein förderliches Umfeld schaffen - etwa mit reizarmen Rückzugsorten, flexiblen Homeoffice-Regelungen oder Schulungen, die Führungskräfte für die Stärken und Herausforderungen hochsensibler Teammitglieder sensibilisieren.
Hochsensibilität ist keine Diagnose
Ein häufiger Irrtum ist, dass Hochsensibilität eine Diagnose sei. Sie ist jedoch keine psychische Störung, sondern wird in der Wissenschaft als Persönlichkeitseigenschaft erforscht. Eine therapeutische Unterstützung ist nur sinnvoll, wenn die Eigenschaft mit Belastungen wie Burnout oder Depressionen einhergeht.
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Wie kann man Hochsensibilität messen?
Hochsensibilität wird meist mit Selbstauskunftsfragebögen erfasst - ähnlich wie andere Persönlichkeitseigenschaften. Falls Sie neugierig sind, wie stark Ihre eigene Sensibilität ausgeprägt ist: Dieser wissenschaftlich fundierte Fragebogen gibt einen ersten Hinweis.
In der Forschung werden mittlerweile auch objektivere Methoden entwickelt: Speziell geschulte Interviewer analysieren zum Beispiel Aussagen, und bei Vorschulkindern kann Hochsensibilität durch Verhaltensbeobachtung erfasst werden. Die Wissenschaft steht hier erst am Anfang, aber die Erkenntnisse helfen, Hochsensibilität differenzierter zu verstehen.
Sollte ich am Arbeitsplatz darüber sprechen?
Ob Sie Ihre Hochsensibilität thematisieren, bleibt eine persönliche Entscheidung. Wenn das direkte Arbeitsumfeld wenig Verständnis für das Thema hat, kann es hilfreich sein, sich einem Netzwerk anzuschließen, um dort Unterstützung zu finden.
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Kein Hindernis, sondern eine Ressource
Hochsensibilität ist kein Hindernis - im Gegenteil, sie kann eine wertvolle Ressource sein. Entscheidend ist, die eigenen Bedürfnisse zu kennen, passende Strategien zu entwickeln und ein Umfeld zu finden, in dem das eigene Potenzial voll entfaltet werden kann.
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... ist eine international anerkannte Expertin für Hochsensibilität. Sie leitet den Lehrstuhl für Umweltsensibilität in der Gesundheit am Radboud university medical center in den Niederlanden. In ihrer Forschung betont sie die Bedeutung wissenschaftlicher Strenge und kritischer Reflexion, um Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal besser zu verstehen und fundierte Erkenntnisse für hochsensible Personen und die Gesellschaft zu gewinnen. Sie wuchs in Nürnberg auf, liebt Meditation und Hunde. Sie sagt: "Hochsensibilität sichtbar zu machen und ihr Potenzial zu fördern, ist eine gesellschaftliche Chance."
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