Helferin berichtet aus Sudan:"Eine ganz neue Dimension der Gewalt"
von Marie Scholl
Die RSF-Miliz hat nach über einem Jahr Belagerung Ende Oktober die Stadt Al Faschir in Sudan eingenommen. Die Menschen, die von dort fliehen konnten, berichten Grausames.
Im Sudan herrscht seit 2023 ein Bürgerkrieg. Die paramilitärische RSF hat die Stadt Al-Faschir erobert. Hunderttausende fliehen und sind akut in Not.
30.11.2025 | 1:34 minZDF: Was erzählen Ihnen die Menschen, die den RSF entkommen sind?
Myriam Laaroussi: Sie berichteten von den Ereignissen in Al Faschir, wo es zu ethnisch motivierten und wahllosen Morden gekommen ist. Sie erzählten uns, wie sie mit ansehen mussten, wie ihre Ehemänner vor ihren Augen getötet wurden. Ein Mann erzählte uns, dass er mit seiner Familie fliehen wollte.
Seine Nichte konnte nicht mehr laufen. Sie warteten. Sie versuchten, sie wiederzubeleben. Sie mussten sie am Straßenrand begraben und mit den anderen Kindern weitergehen.
Myriam Laaroussi
Sie erzählten uns von sexueller Gewalt. Sie erzählen uns von ihrer Angst, entführt zu werden, denn viele von ihnen werden auf der Straße entführt, und dann wird Lösegeld für ihre Freilassung verlangt. Deshalb bewegen sie sich nachts fort, weil es etwas sicherer ist als tagsüber.
... ist Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Darfur, eine Region im Westen des Sudan. Ihr Team betreut in einem Camp in Tawila, etwa 70 Kilometer westlich von Al Faschir, Menschen, die die Flucht aus der Stadt überlebt haben.
Im Sudan berichten Zivilisten von gezielten Jagden und Hinrichtungen durch die RSF-Milizen in der Stadt Al Faschir. Der Konflikt dreht sich um Rohstoffe wie Erdöl, Gold und Uran.
29.10.2025 | 1:35 minZDF: Was haben die Menschen noch erlebt?
Laaroussi: Wir hören von einer ganz neuen Dimension der Gewalt. Alle Arten von Gewalt. Das spiegelt sich auch in den Patienten wider, die wir aufnehmen. Wir behandeln vor allem Traumata und Schussverletzungen.
Wir nehmen auch viele Menschen auf, die unterernährt sind. Das kommt normalerweise eher bei Kindern vor, aber hier sieht man es auch bei Schwangeren und Erwachsenen im Allgemeinen, weil sie schon während der Belagerung von Al Faschir keinen Zugang zu Nahrungsmitteln hatten.
Irgendwann haben sie sich von Tierfutter ernährt, weil das auf dem Markt immer verfügbar war oder weil sie sich nur das leisten konnten.
Myriam Laaroussi
Das haben sie 500 Tage lang durchgemacht, und dann sind sie aus Al Faschir geflohen - ohne Essen, ohne Wasser. Sie kommen buchstäblich nur mit den Kleidern, die sie am Leib tragen. Es ist schwer, das Ausmaß ihrer Notlage zu beschreiben.
ZDF: Wie gut können Sie die Menschen versorgen?
Laaroussi: Die humanitäre Hilfe ist völlig unterfinanziert. Nach den letzten uns vorliegenden Daten sind bis September 25 Prozent der Mittel gedeckt worden. Ein Beispiel: Es gibt derzeit einen massiven Cholera-Ausbruch. Cholera lässt sich zwar nicht vollständig verhindern, aber man kann das Risiko erheblich senken, wenn man Zugang zu Wasser hat, wenn man über geeignete Latrinen verfügt, wenn man geimpft ist.
Die Mittel reichen aber nicht, um diese Grundversorgung zu gewährleisten. Deshalb kommt es zu einer massiven Choleraepidemie.
Myriam Laaroussi
Wir versuchen, zu helfen. Wir haben ein Krankenhaus. Wir geben Wasser aus. Wir werden mehr Latrinen im Lager bauen. Aber der Bedarf ist so groß, dass es irgendwann nicht mehr ausreicht. Und trotz aller Bemühungen bleibt das Gefühl, dass es nicht genug ist.
Im Sudan hat die RSF-Miliz eine dreimonatige Waffenruhe ausgerufen, welche von der sudanesischen Armee abgelehnt wurde. Es wird von massenhaften Gräueltaten der Miliz berichtet.
25.11.2025 | 0:24 minZDF: Wie gehen Sie persönlich mit all dem Leid um?
Laaroussi: Es ist natürlich schwer, sehr schwer, aber ich bin umgeben von meinen sudanesischen Kollegen. Die haben Familie in Al Faschir. Sie behandeln Menschen, die sie lieben. Wenn man das sieht, verdient das Respekt und gibt natürlich auch Kraft, weiterzumachen.
ZDF: Wie geht es nun weiter?
Laaroussi: Es gibt immer noch etwa 200.000 bis 250.000 Menschen, die in Al Faschir gefangen sind. Und während wir hier sprechen, wissen wir, dass sie Massenmorden ausgesetzt sind. Das ist eine Tatsache. Wir fragen uns im Moment: Werden wir als Hilfsorganisationen irgendwann sicheren Zugang zu Al Faschir bekommen?
Wir brauchen eine politische Lösung, und die Zivilbevölkerung muss geschützt werden.
Was in Al Faschir geschieht, ist bereits in der Vergangenheit im Sudan geschehen und könnte in ein paar Monaten an jedem anderen Ort im Sudan wieder geschehen.
Myriam Laaroussi
Bei den Kämpfen im Sudan gehe es um Macht und Ressourcen. Die Angriffe der RSF in der Darfur-Region haben zudem eine ethnische Dimension, sagt Sudan-Experte Gerrit Kurtz.
29.10.2025 | 3:39 minDas Interview führte Marie Scholl, Redakteurin im heute-journal.
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