Studie: Juden in Deutschland verbergen aus Angst ihre Identität

Studie zu Ausgrenzung im Alltag:Juden in Deutschland verbergen aus Angst ihre Identität

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Juden in Deutschland erleben nach dem Hamas-Angriff von 2023 auf Israel Anfeindungen. Das zeigt eine Studie. Der Zentralrat der Juden fordert besseren Schutz.

Ein Mann mit einer Kippa am 19.06.2018 in Dresden

Jüdinnen und Juden in Deutschland fühlen sich einer Studie zufolge zunehmend ausgegrenzt. (Archivfoto)

Quelle: dpa

Nach dem Terrorangriff auf Israel vor zwei Jahren und der Eskalation des Nahost-Konflikts berichten Jüdinnen und Juden auch in Deutschland über massive Anfeindungen, Diskriminierungen und Ausgrenzung. In einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie erzählen Befragte von sozialer Isolation etwa an Hochschulen, am Arbeitsplatz und in Arztpraxen.

Dies geht aus dem Zwischenbericht der Untersuchung hervor, den die Antidiskriminierungsstelle des Bundes am Dienstag in Berlin vorstellte. Nach Angaben der Autorinnen handelt es sich um die bundesweit erste Studie dieser Art.

Ron Dekel, Präsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Bianca Loy, wissenschaftliche Referentin beim Bundesverband RIAS e.V. (Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus), und Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands RIAS e.V., nehmen an der Pressekonferenz des Bundesverband RIAS zum Jahresbericht Antisemitische Vorfälle teil.

Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland ist im vergangenen Jahr erneut stark angestiegen. 2024 wurden 8.627 Fälle erfasst - eine Zunahme um 77 Prozent.

04.06.2025 | 0:25 min

Psychische Gesundheit der Befragten leidet

Generell habe sich in den Einzel- und Gruppenbefragungen ein Vertrauensverlust jüdischer Menschen in ihr bisheriges Umfeld gezeigt, erklärte die Antidiskriminierungsstelle. Einige Befragte verbergen demnach inzwischen ihre jüdische Identität, um sich vor Angriffen und Diskriminierung zu schützen.

Auch auf die psychische Gesundheit der Befragten habe der Hamas-Angriff und seine Folgen erhebliche Auswirkungen. Betroffene berichteten von Depressionen, Schlafstörungen, Angstzuständen und Panikattacken. Betroffene erlebten doppelte Gewalt, heißt es: einerseits durch die Tat des 7. Oktober 2023, andererseits durch die Relativierung und Umdeutung der Gewalt im gesellschaftlichen Umfeld.

Ein Aushang "JUDEN haben hier Hausverbot!!!!" hängt in einem Schaufenster.
Quelle: dpa

Mitte September hatte ein antisemitischer Aushang in einem Flensburger Geschäft für Entsetzen gesorgt und die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Auf dem Zettel hieß es nach Medienberichten: "Juden haben hier Hausverbot! Nichts Persönliches, auch kein Antisemitismus, kann euch nur nicht ausstehen".

Der Zettel wurde mittlerweile entfernt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht, "dass durch das Plakat die Menschenwürde der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden dadurch angegriffen wurde, dass diese wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum böswillig verächtlich gemacht wurden".

Quelle: dpa


Prof. Monika Schwarz-Friesel

Was ist Antisemitismus? Eine Erklärung von Professor Monika Schwarz-Friesel von der Technischen Universität Berlin.

18.09.2018 | 0:32 min

Zentralrat der Juden: Studie zeichnet "bedrückendes Bild"

Die Studie zeichne "ein bedrückendes Bild, das Jüdinnen und Juden aber keinesfalls erstaunt", erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.

Die dramatische Zuspitzung des Antisemitismus in den vergangenen zwei Jahren hat zur Folge, dass Jüdinnen und Juden zunehmend von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Derartige Erfahrungen "bedeuten den Verlust von Freiheit und schüren Angst", erklärte Schuster. "Es ist Zeit, dieser Diskriminierung etwas entgegenzusetzen."

Merz steht am Rednerpult in der Synagoge, sein Gesichtsausdruck ist bewegt.

Merz zeigte sich bei der Wiedereröffnung der Synagoge Reichenbachstraße emotional. Während seiner Rede, in der er an die Verbrechen der Nazis erinnerte, kämpfte er mit den Tränen.

15.09.2025 | 0:43 min

Forderung nach mehr Schutz und Strafverfolgung

Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, mahnte:

Wir müssen die Ängste und Sorgen von Jüdinnen und Juden ernst nehmen. Sie müssen spüren, dass der Rechtsstaat für sie da ist.

Ferda Ataman, Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung

Nötig sei "zum einen eine konsequente Strafverfolgung, zum anderen aber auch einen besseren Schutz vor Diskriminierung im Alltag".

Jüdisches Leben: "Konkrete Bedrohungslage"

"Es gibt jüdische Studierende, die sich nicht mehr an die Uni trauen und das ist ein akuter Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit", so Ron Dekel, Präsident jüdische Studierendenunion Deutschland.

17.09.2025 | 5:15 min

Ataman forderte auch mehr Beratungsangebote und ein "besseres Antidiskriminierungsrecht, das bei Antisemitismus wirkt". Zum Beispiel seien israelische Staatsangehörige in Deutschland wegen einer Rechtslücke im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz momentan nicht ausreichend vor Diskriminierung geschützt.

Forscherinnen werteten Interviews aus

Für das Forschungsprojekt mit dem Titel "Bundesweite Studie zu den Auswirkungen des terroristischen Anschlags am 7. Oktober 2023" nahmen laut den Autorinnen mehr als 110 Jüdinnen und Juden über ein Jahr hinweg an qualitativen Interviews teil. Die Autorinnen Marina Chernivsky vom Kompetenzzentrum für antisemitismuskritische Bildung und Forschung und Friederike Lorenz-Sinai von der Fachhochschule Potsdam forderten "einen umfassenden Diskriminierungsschutz, der die Kategorien der israelischen Herkunft und der hebräischen Muttersprache einschließt und Jüdinnen und Juden wirksam vor Diskriminierung" schütze.

Ein Besucher einer Gedenkveranstaltung trägt eine Kippa mit Davidstern. (Archiv)

Gegründet nur fünf Jahre nach dem Holocaust: Seit 75 Jahren ist der Zentralrat die politische, gesellschaftliche und religiöse Vertretung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.

19.07.2025 | 2:07 min

Ihre Befunde zeigten, "dass jüdische und israelische Communities in Deutschland zunehmend an gleichberechtigter Teilhabe gehindert werden und Exklusion sowie Diskriminierung in nahezu allen öffentlichen Alltagssphären und institutionellen Kontexten erfahren", resümierten die Wissenschaftlerinnen.

Quelle: AFP, KNA

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