Prozess nach Solingen-Attentat: Was trieb Issa Al Hasan an?
Prozess nach Solingen-Attentat:Was trieb Issa Al Hasan an?
von Charlotte Greipl
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Prozessauftakt gegen den mutmaßlichen Attentäter von Solingen: Die Opfer wollen verstehen, wie es zu der Tat kam. Der Angeklagte gestand die Tat direkt am ersten Prozesstag.
Im vergangenen August hat ein 27-jähriger Syrer offenbar im Namen des IS bei einem Stadtfest in Solingen drei Menschen umgebracht. Der Prozess startete mit einem Geständnis.27.05.2025 | 2:22 min
Die ganze Zeit sitzt er da mit gebeugtem Kopf. Selbst als die fünf Richter eintreten und sich der Saal erhebt, lässt Issa Al Hasan seinen Kopf hängen. Nur einmal, als ein Richter seine Personalien aufnimmt, schaut der Angeklagte auf und nickt.
Am Dienstagmorgen beginnt vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Solingen. Der 27-jährige Syrer ist wegen dreifachen Mordes sowie zehnfachen versuchten Mordes angeklagt. Dem Angeklagten wird zudem vorgeworfen, Anhänger des "Islamischen Staats" zu sein, einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
Solingen ist ein Dorf, hier kennt jeder jemanden, der von dem Attentat in der einen oder anderen Weise betroffen war.
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Rechtsanwalt Simon Rampp aus Solingen
Rechtsanwalt Simon Rampp ist einer von vier Anwälten, die die Nebenkläger vertreten. Er ist ein erfahrener Anwalt, er vertritt regelmäßig Opfer und Nebenkläger vor Gericht. "Aber so ein Verfahren hatte ich noch nie. Ich finde es bis heute unbegreiflich."
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Nebenkläger wollen eine "aktive Rolle" haben
Den Nebenklägern gehe es auch darum, eine "aktive Rolle" in dem Prozess zu haben, sagt Rampp. Fünf seiner Mandanten wurden bei dem Attentat verletzt, drei haben ihnen nahestehende Personen verloren. "Für die Angehörige ist das alles noch schwerer als für die, die überlebt haben", sagt er. Rampp rät seinen Mandanten davon ab, zum Prozess zu kommen. Zu belastend könnte es sein.
Doch drei der Nebenkläger erscheinen am Dienstag trotzdem vor Gericht. Der Arm von Bärbel Varoquier liegt in einer Schlinge. Sie war das fünfte Opfer, auf das Issa Al Hasan, am 23. August 2024 auf dem Solinger Stadtfest eingestochen haben soll. Varoquier erlitt eine Stichverletzung im vorderen Halsbereich, ihre rechte Drosselvene wurde durchtrennt.
Regungslos verfolgen Varoquier und ihre Tochter Lea, die ebenfalls bei dem Attentat verletzt wurde und seitdem an Gleichgewichtsstörungen leidet, das Verfahren. Die insgesamt zwölf Nebenkläger suchen nach Antworten: Was hat den mutmaßlichen Täter angetrieben? Und warum haben sie überlebt?
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Laut Anklage soll Issa Al Hasan im August 2024 über einen Messenger-Dienst Kontakt zu IS-Anhängern aufgenommen haben. Mit einer Kontaktperson soll er das Attentat besprochen haben. In Videos soll er dem IS die Treue geschworen und seine Tat angekündigt haben. Der IS reklamierte die Tat anschließend für sich.
Rückführungsversuch gescheitert
Issa Al Hasan hätte zu dem Zeitpunkt eigentlich gar nicht mehr in Deutschland sein sollen. Denn er war 2022 über Bulgarien nach Deutschland eingereist, sodass nach den Dublin-Regeln Bulgarien für sein Asylverfahren zuständig gewesen wäre. Doch ein Rückführungsversuch scheiterte, weil die Behörden ihn nicht in seiner Unterkunft angetroffen hatten.
Zu Beginn des Verfahrens verliest Bundesanwalt Weingarten die Anklage. Detailliert schildert er, wie Issa Al Hasan auf dem Solinger Stadtfest auf seine Opfer losgegangen sein soll, wie er sein erstes Opfer von hinten in die rechte Halsseite gestochen, die Halsschlagader seines zweiten Opfers durchgetrennt, dem dritten Opfer eine 13 Zentimeter lange Schnittverletzung im Nacken zugefügt haben soll. Die Schilderungen der 13 versuchten Morde und Mordversuche sind kaum zu ertragen. Nur eine Minute soll das Attentat gedauert haben.
Ein überraschendes Geständnis
Doch für das Gericht spielt weniger die konkrete Tatausführung eine Rolle, als vielmehr die Gesinnung von Issa Al Hasan. Überraschend verliest dessen Verteidiger eine Erklärung: Al Hasan legt ein Geständnis in Bezug auf die Tötungen und die Verletzungen ab - zum Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung aber möchte er schweigen.
"Ich habe schwere Schuld auf mich geladen", zitiert der Verteidiger seinen Mandanten. Er habe Unschuldige verletzt, keine Ungläubigen, und er erwarte eine lebenslange Freiheitsstrafe.
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Anschließend hat ein Psychiater das Wort, der Issa Al Hasan zweimal getroffen hat. Er erzählt vom Aufwachsen Al Hasans in Syrien, von seiner Flucht über die Türkei, Bulgarien und Ungarn nach Deutschland. Al Hasan sieht sich als gefühlvoller Mensch, der öfter bei Filmen weinen müsse, erzählt der Psychiater.
Aber die Bilder von toten Kindern in Gaza hätten ihn im Traum und tagsüber beschäftigt. Al Hasan habe zu ihm gesagt, er sei das Opfer einer religiösen Indoktrination.
22 Prozesstage angesetzt
Der vorsitzende Richter spricht Al Hasan auf seine Körperhaltung an, fragt nach, ob er den Prozess überhaupt verfolge. "Sie sitzen hier mit hängendem Kopf", sagt der Richter. "Ich bin halt schuldig", erwidert Al Hasan. "Ich fühle mich so."
Für das Verfahren sind 22 Prozesstage angesetzt. Für das Gericht geht es nun vor allem um die Frage, ob Al Hasan Anhänger des "Islamischen Staates" und seine Tat mit der Terrororganisation abgesprochen war. Antworten wird es frühestens Ende September geben.
Charlotte Greipl arbeitet in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.