Mord an der Jagdhütte bei Wismar:Deckte die Stasi einen mutmaßlichen Mörder?
von Andreas Singler
Statt einen verdächtigen Volkspolizisten zu verfolgen, brachte die DDR-Justiz den nachweislich unschuldigen Werner Engler ins Gefängnis. Er blieb danach ein gebrochener Mann.
Vertuscht, verschleppt, verschleiert: Weil das DDR-Regime die Wahrheit fürchtet, sterben Säuglinge in einer Klinik, landet ein Unschuldiger im Gefängnis, und ein Mordfall bleibt ungeklärt.
27.12.2025 | 44:58 minEnde April 1979 machte sich die 20-jährige Karin G. aus Grevesmühlen bei Wismar zu Fuß auf den Weg ins benachbarte Bernstorf. Die junge Krankenschwester wollte zum Maifest. Dort trat ihr Freund Werner Engler mit seiner Band auf. Um 19 Uhr wurde sie an der Bahnhofschranke ihres Wohnortes zuletzt gesehen. Danach verlor sich ihre Spur.
Acht Tage später wurde die Leiche von Karin G. in einem Kiefernwäldchen zwischen Grevesmühlen und Wismar gefunden. Schnell wurde klar, dass die Leiche hier nur abgelegt worden war. Erdanalysen verwiesen auf einen anderen Tatort. Die Ermittler vermuteten, die Tat musste entlang des Weges, den das Opfer gegangen war, geschehen sein - in der Nähe einer Jagdhütte. Örtliche Polit- und Stasi-Funktionäre pflegten dort zu feiern.
Auf jeden Fall bin ich überzeugt, dass das, was sich in dieser Jagdhütte abspielte, durchaus mit dem Fall Karin G. etwas zu tun haben muss.
Michael Prochnow, Journalist, recherchierte viele Jahre in dem Fall
Der Mauerfall hat das Leben vieler DDR-Bürger auf den Kopf gestellt. So auch das von Maik Reinhardt: Er saß damals wegen eines Fluchtversuchs hinter Gittern.
09.11.2025 | 1:32 minNicht alle Spuren im Fall Karin G. wurden verfolgt
Auf der Jacke der Toten wurden Haare sichergestellt. Sie wurden mit dem mutmaßlich wahren Täter aber nie abgeglichen. Der Volkspolizist Horst K. stand damals zwar auch im Fokus der Mordkommission. Er wurde am fraglichen Abend in der Nähe des mutmaßlichen Tatorts gesehen. Und als örtlicher Jagdleiter gehörte er zu der Jäger- und Feiergruppe um einen örtlichen Oberst der Staatssicherheit.
Wie die ZDFinfo-Dokumentation "Mysteriöse Kriminalfälle der DDR - Gefährliche Geheimnisse" zeigt, hat der zuständige Leiter der örtlichen Stasi-Dienststelle die Spuren zu Horst K. wohl nicht weiterverfolgt, obwohl Horst K. die Tote kannte und er sich bei Vernehmungen in Widersprüche verstrickte. Weil er Angehöriger der Volkspolizei war, musste das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) informiert werden. Der Leiter sicherte dem Ermittler zu, dass das MfS sich kümmern würde.
Die Ermittlungen zu Horst K. endeten im Januar 1980. Horst K. war nicht nur Volkspolizist, er war auch inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi.
Es gab im Herbst 1979 bereits ganz konkrete Hinweise auf einen Verdacht auf diesen Horst K. Ganz konkret!
Olaf Claus, ehemaliger Kriminaloberkommissar in Schwerin
In der DDR soll es keine Gewaltverbrechen geben, das passt nicht zum sozialistischen Menschenbild. Als in Berlin mehrere Kinder ermordet werden, steht die Volkspolizei unter enormem Druck.
27.12.2025 | 44:59 minWerner Engler trotz Alibi verurteilt
Dreieinhalb Jahre nach dem Mord an Karin G. geriet der Musiker Werner Engler - trotz eines wasserdichten Alibis - noch einmal ins Fadenkreuz der Ermittler. Eine enttäuschte Ex-Freundin hatte ihn plötzlich schwer belastet. Sie selbst habe geholfen, die Leiche zu entsorgen, schrieb sie den Behörden.
Die Polizei verdächtigte Werner Engler im Mordfall Karin G., obwohl er ein perfektes Alibi hatte.
Quelle: Daniel BiskupAllerdings hatten Englers Bandkollegen und hunderte Festbesucher den Musiker am Abend des Mordes über Stunden auf der Bühne gesehen. "Es war klar, dass dieser Brief und die Anschuldigungen völlig aus der Luft gegriffen waren", sagt der Lokaljournalist Michael Prochnow, der viele Jahre zu dem Fall recherchierte.
35 Jahre nach der Wiedervereinigung hebt der Bundestag die Entschädigung für SED-Opfer an. Eine späte Anerkennung für diejenigen, die die Hölle der DDR-Heime überlebt haben.
02.07.2025 | 1:31 minVerurteilung wohl auch durch falsche Geständnisse
Trotzdem wurde Werner Engler angeklagt und verurteilt. Zur Verurteilung hatten auch drei offensichtlich unter Folter abgelegte und jeweils widerrufene falsche Geständnisse geführt.
Zwar wurde Engler in zweiter Instanz wegen gravierender Mängel in der Beweisführung freigesprochen, nachdem er zuvor zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war. Er kam nach einem Jahr und sieben Monaten aus dem Gefängnis. Bis zu seiner Rehabilitierung blieb Engler in seiner Heimatstadt dennoch eine Persona non grata - und auch danach ein gebrochener Mann. Engler starb 2005 im Alter von 53 Jahren.
Im Frauengefängnis Burg Hoheneck im sächsischen Stollberg waren zu DDR-Zeiten rund 24.000 Häftlinge inhaftiert. Heute wird das Frauengefängnis als Gedenkstätte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eröffnet.
11.07.2024 | 1:41 minFall wurde 1996 neu aufgerollt
Der Kriminalbeamte Olaf Claus arbeitete sich seit 1996 nochmals durch die 5.000 Seiten Ermittlungsakten. Viele alte Kriminalfälle der DDR wurden nach der Wende neu aufgerollt. Claus vermutete, dass gegenseitige Abhängigkeiten im Stasi-Milieu dazu geführt haben dürften, dass die Spur zu dem verdächtigen Polizisten und IM nicht weiterverfolgt wurde.
Sehen Sie die Dokuserie "Mysteriöse Kriminalfälle der DDR" am 31. Dezember 2025 ab 19:30 Uhr bei ZDFinfo oder jederzeit im ZDF-Streaming-Portal.
DNA weist auf Horst K. als Täter hin
Horst K. scheint in den Mordfall Karin G. zumindest verwickelt gewesen zu sein. Das ergaben Vergleiche der an der Toten gefundenen Haare mit der DNA seiner Kinder, über 20 Jahre nach der Tat, im Herbst 1999. War Horst K. der Täter oder hatte er einem anderen geholfen, die Leiche beiseite zu schaffen? Horst K. selbst konnten die Ermittler nicht mehr mit den Beweisen konfrontieren. Zwei Wochen, bevor sie an seiner Tür klingelten, war er verstorben.
Es ist ein dunkles Kapitel der Vergangenheit: Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen, oftmals unter menschenunwürdigen Bedingungen. "Terra X History" begleitet ehemalige Häftlinge.
23.11.2025 | 44:09 minMehr zur DDR
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