Bestattungskultur im Wandel:Wird der Grabstein bald überflüssig?
von Michael Kniess
Vom Grab mit QR-Code bis zum Avatar: Was bleibt vom Grabstein, wenn Erinnern digital wird? Über die Zukunft des Gedenkens zwischen Stein, Bildschirm und gemeinsamer Erinnerung.
Der Tod eines geliebten Menschen ist immer schwer: Am Grab können Angehörige ihrer Trauer einen Ort geben.
Quelle: APSie sind seit Jahrtausenden ein sichtbares Zeichen des Andenkens an Verstorbene und dienen als Orte der Trauerverarbeitung. Doch die Bestattungskultur ist im Wandel, und mit ihr verändert sich auch die Bedeutung der Grabsteine.
Während das Steinmetzhandwerk anlässlich des heutigen "Tags des Grabsteins" steinerne Grabmäler als einzigartiges Zeichen der Erinnerung an Verstorbene betont, drängen in einer zunehmend digitalen und individualisierten Gesellschaft inzwischen andere Formen des Gedenkens in den Mittelpunkt.
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11.09.2025 | 1:50 minAls Avatar zurück im Leben
Denn der Grabstein hat Konkurrenz bekommen. "Die Zukunft des Totengedenkens und der Trauerarbeit wird delokalisiert und sich im World Wide Web abspielen", betont Thorsten Benkel. Der Soziologe an der Universität Passau, der seit Jahren zu Bestattungskultur forscht, weiter:
Viele Menschen gestalten ihre Trauer heute individueller, persönlicher, manchmal auch unsichtbarer. Sie erinnern online, auf virtuellen Gedenkseiten oder in sozialen Netzwerken.
Thorsten Benkel, Soziologe
Digitale Friedhöfe, QR-Codes auf Grabsteinen oder Apps, die Lebensgeschichten per Augmented Reality sichtbar machen, sind längst keine Zukunftsvision mehr. Schon jetzt können Besucher über das Smartphone am Grab biografische Informationen, Bilder oder Videos von Verstorbenen abrufen.
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Der neueste Schrei in Sachen virtueller Erinnerungskultur: Die "Digital Afterlife"-Industrie arbeitet an mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellten digitalen Simulationen von Verstorbenen, die diese als digitale Avatare virtuell wieder zum Leben erwecken.
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21.04.2025 | 0:43 minLieblingsschuhe als Pendant zum Grabstein
"Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen selbst mitentscheiden wollen, wie man sich erinnert", sagt Thorsten Benkel. Das umfasst auch die Art und Weise, wie eine Grabstätte beschaffen sein soll: Als Pendant zum Grabstein fungieren immer öfter auch mal das Paar Lieblingsschuhe oder die eine Schallplatte, die der Verstorbene immer gerne gehört hat.
Diese Entwicklung geht so weit, dass für viele nicht das Grab mit dem toten Körper der Ort der Trauer ist, sondern andere zu Lebzeiten bedeutsame Stätten.
Thorsten Benkel, Soziologe
Aus Sicht von Gerold Eppler gibt es gute Gründe, warum der Grabstein dennoch eine Zukunft hat. "Der große Vorteil des traditionellen Grabmals besteht darin, dass dieses beständig und dauerhaft ist. Damit steht der Grabstein allein aufgrund seines Materials symbolisch dafür, dass die Erinnerung ewig andauern und der Mensch nicht in Vergessenheit geraten soll", so der Fachmann für Begräbniskultur und stellvertretende Leiter des Kasseler Museums für Sepulkralkultur.
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Der Stein als Ankerpunkt für die Trauerarbeit
Auch Professor Florian Höhne, Inhaber des Lehrstuhls für Medienkommunikation, Medienethik und Digitale Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, sieht im Grabstein mehr als bloß ein Objekt.
Ohne Grabmal fehlt oft ein konkreter Ankerpunkt für die Trauerarbeit, die Fixpunkte braucht.
Florian Höhne, evangelische Theologe
Ein Grabstein sei ein Ort, an dem Verlust Gestalt bekomme, "indem der Körper tatsächlich im Sarg oder zumindest dessen Überreste in Form von Asche in einer Urne vor uns liegt", so der evangelische Theologe. Den Trend zur "Entmaterialisierung" des Gedenkens sieht er allein deshalb kritisch.
Ein weiterer Aspekt in der Diskussion um die Zukunft des Grabsteins betrifft das Material: Viele Grabsteine werden nicht mehr aus heimischem Naturstein hergestellt, sondern importiert, etwa aus Indien oder China. Das bringt ökonomische Vorteile, wie geringere Kosten und eine große Auswahl, aber auch ethische und ökologische Herausforderungen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren die problematischen Arbeitsbedingungen gerade in den Steinbrüchen. Zwar existieren Zertifizierungen, doch die Lieferketten bleiben schwer kontrollierbar.
Manche Steinmetzbetriebe werben damit, bewusst heimische Gesteine zu verwenden, oder auf Importsteine zu setzen, die zertifiziert sind. Es gibt Forderungen, Friedhofsverwaltungen und Kommunen stärker in die Pflicht zu nehmen – etwa durch Regularien und Nachhaltigkeitskriterien bei Ausschreibungen von Grabmalinstallationen. Gerold Eppler, Fachmann für Begräbniskultur und stellvertretender Leiter des Kasseler Museums für Sepulkralkultur, hebt hervor, dass ein Grabmal, das sich als Dauererbe versteht, auch mit Blick auf Umweltbelastungen, Transport, Abbauverhältnisse bewertet werden sollte.
Ein weiteres Argument pro Grabstein liegt zudem allein im deutschen Recht. Denn bis auf wenige Ausnahmen sind Grabmarker, die anzeigen, wo ein toter Mensch liegt, bis dato auf Friedhöfen gesetzlich vorgeschrieben. Doch davon, dass sich die Grabmäler verändern werden, ist auch Florian Höhne überzeugt: "Unsere Gesellschaft ist mobiler geworden und man wohnt bei weitem nicht mehr zwangsläufig an dem Ort, wo die eigenen Eltern oder Großeltern zu Hause waren. Allein deshalb werden natürlich Bestattungsformen attraktiver, die weniger Pflege brauchen."
Aus Granit und Pixel: Wie wir uns künftig erinnern
Mit ihnen wird sich auch der Grabstein verändern. Er wird digitaler, individueller und vielleicht bescheidener. Hybridformen, die Stein und digitale Erinnerung verbinden, könnten zur neuen Normalität werden. Gerold Eppler sieht darin keinen Verlust, sondern eine Verschiebung:
Ob aus Stein oder in Datenform - wichtig ist, dass wir uns erinnern wollen. Das ist das Menschliche.
Gerold Eppler, Fachmann für Begräbniskultur
Doch die Sehnsucht nach einem Ort, an dem Erinnerung sichtbar wird, scheint zu bleiben. Ob aus Granit, Pixel oder Worten.
Wenn Muslime beerdigt werden, sind bestimmte Regeln und Formen zu beachten. Und die müssen auch mit deutschen Vorschriften in Einklang gebracht werden. Weil das nicht so einfach ist, ist der Platz auf deutschen Friedhöfen knapp.
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