Kein Platz und Mietzahlungen:Wenn Frauenhäuser Frauen abweisen müssen
von Katja Belousova und Susan Odenthal
Frauenhäuser sollen Schutz bieten vor Gewalt: Doch immer wieder müssen sie betroffene Frauen abweisen. Ein Gesetz soll helfen - doch es gibt mehrere Haken.
Etwa jede vierte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt in der Partnerschaft. Doch das Hilfssystem ist oft überfordert: Häufig müssen Frauenhäuser Betroffene abweisen.
25.11.2025 | 9:00 minAnna S.* lebte jahrelang in einer Ehe geprägt von Partnerschaftsgewalt - und fand Zuflucht in einem Frauenhaus im thüringischen Weimar: Weil sie sich bis heute von ihrem Noch-Ehemann bedroht fühlt, will sie, dass ihr Name anonym bleibt.
"Ich war in so einer Spirale von Gewalt und Stalking. Ich war da einfach gefangen drin", erzählt sie im Interview mit ZDF frontal. An einen Vorfall mit ihrem Mann erinnert sie sich besonders. Es passierte draußen auf der Straße: "Er hat mein Fahrrad genommen, hat es zertrampelt und mich dann geschubst. Und dann hat er halt mit seinem Fuß gegen mein Gesicht getreten."
An dem Tag hat er mich auch dann noch vergewaltigt.
Anna S., Betroffene von Partnerschaftsgewalt
Frauenhäuser sind oft der einzige Zufluchtsort für Frauen, die Opfer von Gewalt werden. Oft arbeiten die Häuser im Verborgenen, zum Schutz der Frauen. In Nördlingen ist das anders.
25.11.2025 | 2:47 minEtwa 12.000 Plätze in Frauenhäusern fehlen
Anna S. kam im Frauenhaus unter - viele andere nicht: Denn überall in Deutschland fehlen Plätze. Schätzungen zufolge sind es 12.000. Helena Eisner ist Beraterin im Frauenhaus Weimar und muss immer wieder Schutzsuchende abweisen. "Es macht mich wütend, dass die Strukturen so sind, wie sie sind", kritisiert sie.
Sie kämpft dafür, dass es mehr Frauenhausplätze gibt - und, dass Frauen dafür nicht mehr bezahlen müssen: Laut Schätzung des Vereins Frauenhauskoordinierung müssen circa 24 Prozent, also jede vierte Frau in Deutschland, teilweise oder ganz für ihre Unterbringung im Frauenhaus zahlen.
Anna S. war eine dieser Frauen. Sie flüchtete mehrfach ins Frauenhaus, konnte aber nie lange bleiben. Denn sie musste den Aufenthalt für sich und ihren Sohn selbst zahlen - etwa 100 Euro pro Tag. "Es hat sehr viel Geld gekostet, hat mich finanziell ziemlich weit zurückgeworfen", erinnert sie sich.
Ich finde es eigentlich sehr schlimm, dass man für Sicherheit bezahlen muss.
Anna S., Betroffene von Partnerschaftsgewalt
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist laut BKA auf einem neuen Höchststand. Der Tag gegen Gewalt an Frauen, der "Orange-Day" soll auf diese schlimmen Umstände aufmerksam machen.
25.11.2025 | 1:50 minGewalthilfegesetz setzt Istanbul-Konvention um
In Thüringen müssen Frauen schon seit diesem Jahr keine Miete mehr im Frauenhaus zahlen. Und auch im Rest Deutschlands soll damit künftig Schluss sein: Anfang des Jahres wurde in Bundestag und Bundesrat das Gewalthilfegesetz verabschiedet.
Es sieht vor, dass Betroffene von häuslicher Gewalt künftig einen bundesweiten Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz haben - und dafür keine Miete mehr zahlen sollen.
Mit dem Gesetz setzt Deutschland die völkerrechtlich bindende Istanbul-Konvention des Europarats um.
In Deutschland gilt seit 2018 die Istanbul-Konvention des Europarats - sie ist völkerrechtlich bindend und fordert unter anderem "Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen."
Um die Istanbul-Konvention zu erfüllen, bräuchte Deutschland etwa 19.900 Frauenhausplätze für Betroffene und ihre Kinder. Laut Schätzung des Vereins Frauenhauskoordinierung gibt es aber nur circa 7.800 Plätze. Es fehlen also mehr als 12.000 Plätze.
Frauenhäuser werden meist von gemeinnützigen Vereinen getragen, die in Wohlfahrtsverbänden wie zum Beispiel dem Paritätischen oder der AWO organisiert sind. Überwiegend kommt das Geld aus öffentlicher Hand - meist von Ländern und Kommunen, teils auch durch den Bund. Hinzu kommen Eigenmittel.
Rechtsanspruch erst ab 2032
Doch es gibt einen Haken: Der Rechtsanspruch soll erst ab 2032 greifen. Genau das kritisiert Martina Evertz, Vorständin des Vereins Frauenhaus Bergstraße. Der Verein ist Träger einer Hilfseinrichtung in Hessen.
"Ich bin glücklich, dass der Rechtsanspruch kommen wird, und dass das Gewalthilfegesetz den Schutz von Frauen stärken soll. Aber es dauert zu lange", sagt sie im Gespräch mit ZDF frontal. Und es gebe noch ein weiteres Problem: "Das Gewalthilfegesetz verspricht zwar mehr Geld, stellt aber auch mehr Anforderungen an die Frauenhäuser", berichtet sie.
Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin Frauenhaus-Koordinierung, mahnt, Frauenhäuser seien "chronisch unterfinanziert".
25.11.2024 | 4:35 minIhr Frauenhaus sei zum Beispiel frisch saniert worden - aber nicht barrierefrei. Im Zuge des Gewalthilfegesetzes brauche es aber eine entsprechende Zertifizierung. "Es könnte sein, dass wir sie nicht bekommen", befürchtet Evertz. "Wir werden jetzt auch schon in eine neue barrierefreie Geschäftsstelle umziehen - und zahlen dafür dann doppelt so hohe Miete." Zudem müssten Frauenhäuser neue Plätze schaffen und zusätzliches Personal einstellen.
Die Frage ist auch, wie wir eine 24-Stunden-Rufbereitschaft finanzieren sollen - dafür bräuchten wir erheblich mehr Personal.
Martina Evertz, Vorständin Verein Frauenhaus Bergstraße
Bund verspricht 2,6 Milliarden Euro
Der Bund verspricht dafür im Zuge des Gewalthilfegesetzes insgesamt 2,6 Milliarden Euro von 2027 bis 2036. Dabei zeigte eine Kostenstudie: In das Gewalthilfesystem fließen bislang insgesamt etwa 271 Millionen Euro jährlich. Für ein bedarfsgerechtes System bräuchte es aber 1,6 Milliarden Euro - pro Jahr.
Evertz hat daher Zweifel, ob die zusätzlichen 2,6 Milliarden Euro des Bundes, gestaffelt über mehrere Jahre, ausreichend sind. Denn finanziert werden müssen nicht nur der Aus- und Umbau der Häuser, sondern auch laufende Kosten für Hilfetelefon, Prävention und Beratung.
Wird das Geld des Bundes reichen? Bei einer Frauenhaus-Veranstaltung der AWO in Würzburg sagt Katharina Jestaedt, Abteilungsleiterin Gleichstellung im Bundesfamilienministerium, dazu: "Wir sind gerade dabei, dass die Länder jetzt die Bedarfe im Einzelnen ausrechnen müssen, ganz individuell, von Bundesland zu Bundesland. Dabei unterstützen wir als Bund."
Und dann wird man am Ende sehen, was reicht.
Katharina Jestaedt, Abteilungsleiterin Gleichstellung im Bundesfamilienministerium
104 getötete Frauen, drei Geschichten: Angehörige, Kinder und Freunde berichten - die Doku mit Jochen Breyer deckt Muster, Warnsignale und Versäumnisse auf.
25.11.2025 | 43:37 minSorge um künftige Finanzierung der Frauenhäuser
Dass es am Ende nicht reicht und auf Kosten von Prävention und Beratung geht, fürchten viele Frauenhäuser. Dort suchen Frauen wie Anna S. aus Weimar nicht nur Schutz - sondern auch intensive Betreuung - auch bei der Wohnungssuche oder finanziellen Fragen.
Ihr Noch-Ehemann, ein Arzt, wurde zwar zu einer Geldstrafe verurteilt. Trotzdem kam es noch mehrfach zu Gewaltausbrüchen. An Kontaktverbote hielt er sich nicht.
Ihre sichere Anlaufstelle blieb das Frauenhaus. Nur mithilfe der Mitarbeiterinnen vor Ort konnte sie sich Stück für Stück zurück ins Leben kämpfen - und ihre Freiheit zurückerobern.
*Name aus Sicherheitsgründen von der Redaktion geändert.
- Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 116 016, Online-Beratung via Chat oder E-Mail
- Bundesweite Frauenhaussuche
- KI-Hilfe-Chat Maya: ein KI-Chat, der rund um die Uhr auf vielen Sprachen anonym und sicher verfügbar ist und hilft, passende Unterstützungsangebote zu finden.
- Juristische Unterstützung: Die Feminist Law Clinic gibt kostenlose Rechtsberatung für Betroffene von Gewalt oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, auch zum Gewaltschutzgesetz. Die Beratung ist bundesweit online sowie in Köln, München, Hamburg, Tübingen und Göttingen in Person möglich. Weitere Infos via Mail an beratung@feministlawclinic.de erhältlich.
- Weitere Unterstützung: Bundesweit gibt es unterschiedliche Anlaufstellen beispielsweise für Selbsthilfegruppen oder die anonyme Spurensicherung.
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