Bundesverfassungsgericht:Altersgrenze für Anwaltsnotare gekippt
Die Altersgrenze von 70 Jahren für Anwaltsnotare ist verfassungswidrig. Damit gibt das Bundesverfassungsgericht am Dienstag dem Kläger Recht. Im Amt bleiben darf er trotzdem nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat über eine Altersgrenze für Notare verhandelt. (Archivfoto)
Quelle: dpaDie Altersgrenze für Anwaltsnotare verletzt die Berufsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigte die Altersgrenze 1992 noch unter anderem damit, dass es freie Stellen für jüngere Berufsbewerber bräuchte. Heute gebe es für Anwaltsnotariate ohnehin zu wenig Bewerber, so die Karlsruher Richter*innen. Deshalb braucht es keine Altersgrenze mehr.
Warum klagte Hülsemann gegen die Altersgrenze?
Dietrich Hülsemann war jahrzehntelang Notar im nordrhein-westfälischen Dinslaken. Notare übernehmen wichtige Aufgaben im Rechtsstaat. Als unabhängiger Teil der Rechtspflege regeln sie vorsorgend rechtliche Angelegenheiten, indem sie beispielsweise Grundstückskaufverträge beurkunden. So auch Hülsemann: Zuletzt beurkundete sein Notariat mehr als 2.000 Fälle pro Jahr.
Obwohl Hülsemann weiter als Notar arbeiten wollte, musste er zum 30. November 2023 mit Vollendung seines 70. Lebensjahres aufhören. Bislang sah die Bundesnotarordnung vor, dass Notare ab Erreichen dieser Altersgrenze automatisch aus dem Amt scheiden.
Die Wahl ans Bundesverfassungsgericht ist streng geregelt. Bundestag und Bundesrat bestimmen die Richter*innen - bisher einigten sich die Parteien ohne großen Streit.
11.07.2025 | 0:50 minDagegen zog Hülsemann bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dort bekam er am Dienstag Recht. Für Anwaltsnotare wie Hülsemann ist die feste Altersgrenze verfassungswidrig. Für Nur-Notare gilt sie jedoch weiterhin.
In Deutschland gibt es zwei Formen des Notariats, das Anwalts- und das Nur-Notariat. Während Nur-Notare keinen weiteren Beruf ausüben dürfen, sollen notarielle Tätigkeiten für Anwaltsnotare nur eine Nebentätigkeit sein. Um Anwaltsnotar zu werden, muss man vorher mehrere Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet haben.
Welches Notarsystem gilt, ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Anwaltsnotariate sind eher im Nordwesten Deutschlands verbreitet. Mit mittlerweile elf Bundesländern nutzt die Mehrheit der deutschen Bundesländer das System des Nur-Notariats. In Nordrhein-Westfalen gibt es weitere regionale Unterschiede. Im großstädtischen Bereich um Köln und Düsseldorf werden Nur-Notare, im Rest des Bundeslandes Anwaltsnotare bestellt.
Wie hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Die Altersgrenze für Anwaltsnotare verletzt die Berufsfreiheit, so das Bundesverfassungsgericht. Die Einschränkung der Berufsfreiheit ist nicht mehr angemessen zu den mit einer Altersgrenze verfolgten Zielen.
Zwar sei es legitim, eine Altersgrenze festzulegen, um eine funktionsfähige Rechtspflege zu gewährleisten. Die Altersgrenze schütze vor einer Überalterung der Notare. Außerdem ermögliche eine Altersgrenze den jüngeren Kandidaten, eine Notariatsstelle zu übernehmen, die durch das erzwungene Ausscheiden eines älteren Notars frei wird.
Das Erstarken der AfD lässt die Sorge wachsen, das Bundesverfassungsgericht könnte an Einfluss verlieren. Der Bundestag stimmte deshalb im letzten Jahr für eine Änderung im Grundgesetz.
19.12.2024 | 2:44 minHeute gibt es im Anwaltsnotariat jedoch genug freie Stellen. Deshalb helfe die Altersgrenze kaum, den Generationenwechsel im Notariat zu ermöglichen. Der Nachwuchsmangel gilt jedoch nicht für das Nur-Notariat - deshalb bleibt die Altersgrenze dort bestehen.
Auch das weitere Ziel der Altersgrenze, vor Notaren mit altersbedingt eingeschränkten Leistungsfähigkeiten zu schützen, trifft nicht mehr zu. Gerontologen zufolge ist das Altern ein stark individueller Prozess. Eine für alle geltende Altersgrenze bringt nur sehr wenig und steht nicht im Verhältnis zur starken Einschränkung, urteilte das Bundesverfassungsgericht.
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Wie geht es jetzt weiter?
Obwohl die Altersgrenze für Anwaltsnotare verfassungswidrig ist, gilt sie für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2026 fort. Der 71-jährige Hülsemann darf also weiterhin nicht als Anwaltsnotar arbeiten, kann sich aber in neun Monaten neu bewerben. Hülsemann findet es zwar richtig, dass die Altersgrenze nicht ab sofort gekippt wurde, weil das Chaos verhindere. Das helfe ihm aber nicht weiter.
Ich bin vollkommen enttäuscht. Die Altersgrenze ist aufgehoben, aber ich bin raus.
Dietrich Hülsemann, Beschwerdeführer und Notar a.D.
Sollte die Gesetzgebung neue Grenzen für Anwaltsnotare festlegen wollen, hat sie viele Möglichkeiten. Sie könnte beispielsweise eine nur regional geltende Altersgrenze oder eine an die individuelle Leistungsfähigkeit geknüpfte Grenze festlegen. Trifft sie keine neue Regelung, können Anwaltsnotare künftig ohne Begrenzung tätig werden.
Altersgrenzen für andere Berufe könnten nun ebenfalls schwerer zu rechtfertigen sein. Nachwuchsmangel gibt es nicht nur im Anwaltsnotariat. Für das Amt des Bundeskanzlers gibt es jedenfalls keine Altershöchstgrenze. Friedrich Merz (CDU) wird in wenigen Wochen 70 Jahre alt.
Louisa Hadadi arbeitet in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF.
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