Über eine Million Gamer fordern von der EU einen besseren Erhalt von Online-Spielen. Warum es aktuell schwieriger wird, Videospiele langfristig als Kulturerbe zu erhalten.
Server down - Spiel gestorben: Die Initiative "Stop Killing Games" fordert mehr Verbraucherschutz, um Videospiele vor dem Verschwinden zu bewahren. (Symbolbild)
Quelle: imago
Millionen Menschen spielen jeden Tag. Videospiele sind gleichzeitig Kunst und milliardenschwere Kulturindustrie. Doch verglichen mit Film und Büchern ist Gaming ein vergleichsweise junges Medium, dass sich alle paar Jahre grundlegend wandelt.
Für Spieler und Forscher ist es deshalb besonders wichtig, diese ersten Jahrzehnte des Mediums gut für die Nachwelt zu erhalten. Was das immer schwieriger macht: Spiele haben zunehmend Online-Inhalte, die abgeschaltet werden, sobald es sich für den Hersteller finanziell nicht mehr rentiert. Teils heißt das, dass Spiele gänzlich verschwinden.
Initiative fordert Maßnahmen von der EU-Kommission
Gaming-Aktivisten kritisieren diese Entwicklung seit Jahren. Nun findet ihr Anliegen so viel öffentliche Unterstützung wie nie zuvor: Die Initiative "Stop Killing Games" fordert die EU-Kommission auf, Maßnahmen zum Verbraucherschutz zu ergreifen.
Unsere Bewegung zielt darauf ab, neue EU-Gesetze einzuführen, die diese Praxis unterbinden. (…) Videospiele müssen auch nach Ende des Supports weiterhin funktionieren.
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Webseite von "Stop Killing Games"
Inzwischen haben über 1,3 Millionen EU-Bürger die Petition unterschrieben. Damit wurde Anfang Juli die Schwelle überschritten, ab der sich die Kommission mit dem Anliegen befassen muss.
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Online-Inhalte besonders schwer zu bewahren
Die Games-Frühgeschichte der 1960er bis 1990er ist dank engagierter Sammler und der zunehmenden Verbreitung von Emulatoren relativ gut dokumentiert und verfügbar - zumindest mit Blick auf die großen Märkte USA und Japan. Ab den 2000er Jahren gewinnen digitale Vertriebsplattformen massiv an Bedeutung. "Weil physische Datenträger verschwinden und viele Spiele heute mit einer digitalen Rechteverwaltung [DRM] versehen und dadurch geschützt sind, wird es immer schwieriger ein Spiel wirklich zu besitzen", sagt Laura Schmidt, Kuratorin für Games am Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM).
Der Großteil aller Videospiele wird heute über digitale Plattformen verkauft. Dort erwirbt man lediglich eine Nutzungslizenz für die Software. In den meisten Fällen ist das Spiel auch fest an die jeweilige Plattform gebunden, etwa den PlayStation Store oder Steam. Anbieter, die auf sogenannte DRM-Lösungen verzichten, gibt es kaum; am bekanntesten ist hier der polnische Anbieter GOG. Das bedeutet in der Folge auch, dass die meisten online erworbenen Spiele nicht weiterverkauft werden dürfen, sobald die zugehörige Lizenz einmal aktiviert wurde. Auch ein Vererben im Todesfall sehen die Nutzungsbedingungen etwa von Steam eigentlich nicht vor. Falls ein Account trotzdem weitergegeben wird, kann er gesperrt werden. Bei Hunderten bis Tausenden Euro, die viele Spieler über Jahre in diese Konten investiert haben, eine große Einschränkung.
"Computerspiele sind interaktive Medien, das heißt Spieler*innen müssen eine aktive Rolle in diesen Welten einnehmen, an der Geschichte teilnehmen und Entscheidungen treffen", sagt Laura Schmidt. Zwar seien auch Let’s Plays oder Videoaufnahmen nicht wegzudenken, wenn es um Erhalt und Dokumentation von Spielen gehe - gleichwertig mit dem echten Spiel als sozialer Raum seien sie aber nicht.
Digitaler Kopierschutz im Zentrum der Kritik
Dabei setzen selbst Offline-Spiele immer häufiger voraus, dass Software eine Verbindung zu Servern des Herstellers hat, damit sie funktioniert. Diese spezielle Form des Kopierschutzes sei darum Fokus der "Stop Killing Games"-Kampagne, erklärt Andreas Lange von der Organisation EFGAMP, in der sich europaweit Spiele-Archivare und Museen zusammengeschlossen haben. "Tatsächlich haben die Hersteller so die Möglichkeit, ein Spiel aus der Ferne 'abzustellen', was früher so nicht möglich war", kritisiert Lange gegenüber ZDFheute.
Die Gründe fürs Abschalten der Server sind vielfältig: laufende Kosten für ihren Betrieb, auslaufende Lizenz-Vereinbarungen oder die Pleite eines Entwicklers.
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Gaming-Kulturen sind größer als die Spiele selbst
Noch aufwändiger ist das Bewahren von reinen Online-Spielen wie MMOs oder Live-Service-Games. "Vor allem im Bereich der Mehrspieler-Onlinespiele, die auf Internetservern betrieben werden, wird es in Zukunft nur noch mit sehr hohem Aufwand möglich sein, ein Spiel in einem lauffähigen Zustand zu bewahren", sagt Lange. Dafür brauche es den Code des Spiels, aber ein Hersteller könne rechtlich nicht dazu verpflichtet werden, diesen nach dem Abschalten der Server offenzulegen.
Wenn solche Spiele offline gehen, können über Jahre gewachsene Gamer-Kulturen verloren gehen. Die Einstellung des Online-Rennspiels "The Crew" am 1. April 2024 war einer der Auslöser der "Stop Killing Games"-Kampagne.
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Fans werden selbst aktiv - im rechtlichen Graubereich
Angesichts des drohenden Endes ihrer digitalen Heimat werden manche Spieler aktiv, um die Software auf eigenen Servern im rechtlichen Graubereich weiterzubetreiben. Solche Hobbyprojekte müssen jederzeit mit Gegenwehr der Rechteinhaber rechnen.
Obwohl die Bewahrung von Computerspielen eine der größten Herausforderungen im Bereich digitaler Kultur darstellt, ist bisher Dank der großen Spielercommunity fast nichts verloren gegangen.
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Andreas Lange, European Federation of Game Archives Museums and Preservation Projects (EFGAMP)
"In einer idealen Welt würde nicht nur das Computerspiel selbst bewahrt werden, sondern man müsste auch die Geschichte um die Spiele herum erhalten. Vom Erschaffungsprozess bis zur Fan-Gemeinschaft. All das sind Komponenten, die die Spielerfahrung ausgemacht haben", sagt Kuratorin Schmidt. Dafür brauche man Institutionen und Infrastruktur.
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Industrie warnt vor negativen Folgen für Hersteller
Der Herstellerverband Video Games Europe äußerte sich ablehnend zu "Stop Killing Games": Strengere Vorgaben für Hersteller würden die Spieleentwicklung "untragbar teuer" machen und die Spiele in die Hände der Community und privater Server zu geben, sei nicht immer eine machbare Lösung. Man würde Spieler frühzeitig informieren und örtliche Rechte zum Verbraucherschutz achten, so der Verband, hinter dem viele der größten Spiele-Firmen stehen.
Was einen Schritt zu mehr Games-Bewahrung und dem Bewusstsein ihrer Wichtigkeit darstellen könnte: "In Dänemark und Schweden muss jeder lokale Hersteller eine Kopie ihres Spiels an die Nationalbibliothek abgeben. Bei Filmen und Büchern ist das in Deutschland auch so - aber nicht bei Videospielen", sagt Expertin Schmidt.
In Berlin entsteht mit der Internationalen Computerspielesammlung (ICS) derzeit das weltweit größte Spielearchiv. Es besteht zu großen Teilen aus privaten Spenden. Und bei abgeschalteten Servern ist man auch dort machtlos. Vom jüngst eingestellten Rennspiel "The Crew" liegen mehrere Exemplare in der ICS-Sammlung. Spielbar sind sie nicht.
Hinter der Videospielbranche steckt ein Milliardengeschäft. Sie ist ein globaler Player, der sich in den letzten 20 Jahren massiv verändert hat - teils auch auf Kosten der Gamer.