Weg mit dem "Unkraut"!:Schädlinge oder Nützlinge? Wie Sprache unser Naturbild prägt
von Andreas Ewels
Was wir "Unkraut" nennen, rettet Bienen - und "Schädlinge" pflegen den Boden. Unsere Sprache unterschätzt die Natur. Zeit für ein Umdenken, sagen Experten.
Löwenzahn wächst fast überall: Unkraut oder nützlich? (Archiv)
Quelle: Colourbox.deSprache formt Wirklichkeit. Sie beeinflusst, wie wir denken, fühlen und handeln. Begriffe wie "Unkraut", "Ungeziefer" oder "Schädlinge" sind tief in unserem Sprachgebrauch verankert - und ebenso tief in unseren Vorurteilen gegenüber bestimmten Pflanzen und Tieren.
Negative Wörter, obwohl unverzichtbar für ökologisches Gleichgewicht
Doch diese negativ konnotierten Wörter verschleiern die ökologische Bedeutung jener Lebewesen, die für das Gleichgewicht unserer Umwelt unverzichtbar sind.
Vieles wurde nicht eingepflanzt, sondern wächst einfach wild. Doch wilde Kräuter sollten nicht einfach als Unkraut abgestempelt werden, denn sie sind wichtig für die Natur.
27.07.2025 | 1:25 minDer Begriff "Unkraut" etwa suggeriert Nutzlosigkeit oder gar Schaden. Dabei sind viele dieser Pflanzen wahre Überlebenskünstler und wichtige Nahrungsquellen für Insekten.
Die Brennnessel - oft als lästiges Unkraut bekämpft - ist Lebensraum und Futterpflanze für über 50 Schmetterlingsarten, darunter das Tagpfauenauge und der Kleine Fuchs. Auch der Löwenzahn bietet früh im Jahr Pollen für Bienen, wenn andere Pflanzen noch nicht blühen.
Wertneutrale Begriffe statt wertender Worte
Matthias Rillig ist Professor für Pflanzenökologie und Mykorrhiza-Forschung an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich intensiv mit der Wirkung von Begriffen in der ökologischen Forschung und meint:
Sprache beeinflusst unser Denken und unser Handeln, und unsere wissenschaftliche Herangehensweise - und natürlich auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit.
Matthias Rillig, Professor für Pflanzenökologie und Mykorrhiza-Forschung
Laut Naturschutzbund sind etwa ein Drittel aller Arten gefährdet oder bedroht. Der Tag der Biodiversität soll dazu beitragen, schon früh für die Folgen zu sensibilisieren.
22.05.2025 | 1:27 min"Es ist immer wichtig, wertneutrale Begriffe zu benutzen", so Rillig. Seine Empfehlung: "Wie wäre es, wenn wir Ackerbegleitkräuter statt Unkräuter sagen?"
Wortwahl: Schädlinge oder Nützlinge?
Diese Sichtweise gilt für ihn nicht nur in der Welt der Pflanzen, sondern auch bei Tieren. Stichwort: "Schädlinge". "Das Wort entstand im Kontext der Landwirtschaft und beschreibt Tiere, die Ernteerträge mindern", erklärt Sprachwissenschaftler Jochen Bär von der Universität Vechta. Doch viele dieser Arten erfüllen essenzielle Funktionen.
Der Maulwurf etwa lockert den Boden und verbessert dessen Durchlüftung - ein natürlicher Gärtner, der das Bodenleben fördert. Auch Blattläuse, oft als Plage betrachtet, sind wichtige Nahrungsquelle für Marienkäfer und andere Nützlinge.
Eingriffe in die Natur verändern das ökologische Gleichgewicht. Warum manche Insektenarten sich vermehren und andere auszusterben drohen.
11.07.2021 | 28:35 min"Ungeziefer" und Teil komplexer Nahrungsketten?
"Ungeziefer" ist ein besonders abwertender Ausdruck, meint Bär: "Er bezeichnete ursprünglich Tiere, die nicht zum "Ziehen" - also zur Arbeit - taugten." Heute wird er pauschal für alles verwendet, was krabbelt und stört. Dabei sind selbst Fliegen und Wespen Teil komplexer Nahrungsketten und tragen zur Zersetzung organischer Stoffe bei.
Auch die Tierrechtsorganisation PETA setzt sich gegen die Einordnung von Tieren nach ihrem Nutzen für den Menschen ein und fordert eine "respektvolle Sprache". PETA-Pressereferentin Judith Stich erklärt dazu:
In der deutschen Sprache finden sich zahlreiche Formulierungen und Redewendungen, die Tiere kategorisieren, stereotype Zuschreibungen fördern und Gewalt gegen sie verharmlosen.
Judith Stich, Pressereferentin PETA
Wissenschaft als Vorreiter beim Umdenken?
Die Entstehung solcher Begriffe ist historisch nachvollziehbar: In Zeiten knapper Ressourcen und agrarischer Abhängigkeit wurden Pflanzen und Tiere vor allem nach ihrem Nutzen für den Menschen bewertet. Was keine direkte Funktion erfüllte, wurde als störend empfunden - und sprachlich aussortiert.
Das Schwein: Dummer Allesfresser oder intelligenter und liebenswerter Freund des Menschen? Hannes Jaenicke klärt auf.
31.05.2022 | 43:28 minDoch in Zeiten des Artensterbens und ökologischer Krisen ist ein Umdenken nötig. Da sieht Matthias Rillig besonders die Wissenschaft als wichtige Vorreiter: "Es muss auch bei uns Wissenschaftlern eine Auseinandersetzung über die Nutzung bestimmter Fachbegriffe geben".
Meiner Meinung nach muss sich diese Diskussion auch um die immer wichtiger werdende Kommunikation mit der Öffentlichkeit drehen, nicht nur strikt fachintern bleiben.
Matthias Rillig, Professor für Pflanzenökologie und Mykorrhiza-Forschung
Die Wissenschaft ist sich da weitgehend einig, denn Sprache sollte die Vielfalt und Bedeutung aller Lebewesen widerspiegeln.
So sieht es auch Judith Stich. Für sie ist klar, dass Tiere ebenso fühlen und leiden wie Menschen. "Sie kümmern sich liebevoll um ihren Nachwuchs, bilden stabile soziale Bindungen, empfinden Angst und Schmerz".
Je häufiger Medien, Bildungseinrichtungen und auch wir selbst eine Sprache wählen, die das sichtbar macht, desto eher verändert sich das gesellschaftliche Bewusstsein.
Judith Stich, Tierrechtsorganisation PETA
Der Wolf vermehrt sich immer weiter in Deutschland. Zunehmend verlieren die Tiere die Scheu vor Menschen und Ortschaften. Viehhalter und Jäger fordern die Jagd auf Wölfe. Zurecht?
25.04.2025 | 4:51 minNaturfilmer für mehr Achtung gegenüber Natur
Statt von "Unkraut" könnten wir von "Wildpflanzen" sprechen, statt "Schädlingen" von "ökologischen Mitspielern". Der bekannte Tierfilmer Robin Jähne ist jeden Tag in der Natur unterwegs und weiß:
Jedes Lebewesen hat seinen Platz in der Natur - auch wenn wir ihn nicht sofort erkennen.
Robin Jähne, Tierfilmer
Wie viele Umwelt- und Naturfilmer wählt er seine Worte mit Bedacht und wirbt für mehr Achtung gegenüber der Natur: "Indem wir unsere Begriffe hinterfragen, öffnen wir den Blick für die Schönheit und Funktionalität der Natur - und erkennen zugleich unseren eigenen Platz darin."
Andreas Ewels ist Redakteur im ZDF-Programmbereich reporter/reportage.
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