Rudolf Hess: Wer war der Stellvertreter von Hitler wirklich?

Stellvertreter von Hitler:Rudolf Hess - der gefährliche Fanatiker

von Bettina Blaß
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Rudolf Hess: kein Friedensflieger, nicht Hitlers Co-Autor, kein Wahnsinniger - sondern ein überzeugter Nazi ohne Reue. Der Historiker Manfred Görtemaker räumt mit Hess-Mythen auf.

Montage: Hess steht bei einer Parade vor anderen Soldaten, ein rotes Hakenkreuz überblendet ihn.
Rudolf Hess - Hitlers Stellvertreter. Viele halten ihn für verrückt, als er 1941 nach Schottland fliegt und in britischer Haft landet. Neue Forschungen zeichnen ein verblüffend anderes Bild.11.04.2025 | 43:58 min
Verrückt sei Rudolf Hess gewesen, sagten die Nationalsozialisten spätestens nach seinem Flug 1941 allein im Dunkeln nach Schottland. Der Mit-Autor oder Ghostwriter von "Mein Kampf" soll er ebenfalls gewesen sein. Und weil seine Ehe lange kinderlos blieb, wurde auch über seine Sexualität spekuliert.
Der Historiker und emeritierte Professor Manfred Görtemaker zeichnet in seiner Biografie ein anderes Bild des Nationalsozialisten und kommt zu dem Schluss: Weder verrückt noch schwul oder Buchautor sei Hess gewesen, sondern ein ergebener Anhänger von Adolf Hitler, der selbst vor Gericht keine Reue zeigte.
Adolf Hitler zusammen mit Angela Raubal und dem Ehepaar Goebbels, 1933.
Lange hielt sich das Gerücht, Hitler sei bindungsunfähig gewesen. Neueste Studien offenbaren ein anderes Bild: Der Diktator pflegte eine Vielzahl von Beziehungen und Freundschaften.23.02.2021 | 42:59 min

Hess ein Sohn aus gutem Hause

Rudolf Hess kam 1894 in Alexandria in Ägypten zur Welt. Seine Eltern, reiche Kaufleute, ließen ihn mehrere Sprachen erlernen. Mit 14 Jahren besuchte er in Deutschland ein Internat. Als der Erste Weltkrieg 1914 begann, meldete sich Hess freiwillig an die Front. Später ließ er sich zum Piloten ausbilden.
Die deutsche Niederlage 1918 traf Hess hart. Für ihn und viele Zeitgenossen stand fest: Diese junge Demokratie in Deutschland mit all ihren Kompromissen ist machtlos und handlungsunfähig.

Radikalisierung in München

Nach dem Krieg studierte Hess in München. Dort schloss er sich rechtsradikalen Schlägertrupps an und sympathisierte mit völkischen und esoterischen Gruppierungen. Hess machte Juden und Linke für den verlorenen Krieg verantwortlich.
Dieser fanatische Antisemitismus prägte ihn für den Rest seines Lebens. 1920 hörte Rudolf Hess eine Rede von Adolf Hitler in einer Münchener Brauerei. Von da an folgte Hess ihm blind.
Er trat in die NSDAP ein, wollte mit Hitler und anderen 1923 die Regierung stürzen. Beide landeten dafür im Gefängnis. Dort - so hieß es lange - habe er Hitler geholfen, "Mein Kampf" zu schreiben. Doch das widerlegt sein Nachlass, auf den sich die 2023 erschiene Hess-Biografie von Manfred Görtemaker bezieht, eindeutig.
 Adolf Hitler, Gruppenfoto an seinem Geburtstag, 1942.
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Treu an Hitlers Seite

Hitler machte Hess nach der Haft zu seinem Sekretär und 1933 zu seinem Stellvertreter. Er war zu dem Zeitpunkt einer der mächtigsten Männer in Deutschland. Jeder Gesetzesentwurf ging über seinen Schreibtisch.
Am 1. September 1939 überfielen deutsche Truppen Polen. An der Front und in den Städten begann das große Sterben, hinter der Front der Massenmord an den Juden.

Hess kann man von diesen Gräueltaten, die im Osten verübt wurden, in keiner Weise trennen. Das heißt also, er vertritt diesen Antisemitismus auch in seiner grauenvollsten Weise.

Manfred Görtemaker, Historiker und Buchautor

Hess wollte keinen Zweifrontenkrieg

1939 erklärte Großbritannien Deutschland den Krieg. Hess setzte auf Friedensverhandlungen und signalisierte Gesprächsbereitschaft. Es kam zur Luftschlacht über England, in der die Royal Air Force den Deutschen standhielt. Als Hitler auch gegen die Sowjetunion in den Krieg ziehen wollte wusste Hess: Ein Zweifrontenkrieg würde wie im Ersten Weltkrieg das Ende Deutschlands besiegeln.
Deswegen flog Rudolf Hess 1941 allein im Dunkeln und ohne Hitlers Wissen nach Schottland, um einen Friedensschluss mit Großbritannien zu erreichen. Die Mission ging schief, er wurde festgenommen.
Die Nationalsozialisten erklärten ihn für verrückt - eine Einschätzung, die bis heute von vielen geteilt wird. Doch Hess wollte keinen Frieden. Er wollte Hitlers Wahn zum Sieg verhelfen. Dazu stellt Manfred Görtemaker fest:

Er war eben nicht verrückt. Wenn jemand verrückt war, dann war es Hitler in seinem Wahn, diesen Krieg anzuzetteln.

Manfred Görtemaker, Historiker und Buchautor

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Selbstmord im hohen Alter

Nach dem Krieg wurde Rudolf Hess in den Nürnberger Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt, Reue zeigte er nicht. 1987, im Alter von 93 Jahren, erhängte er sich schließlich in einem Gartenhäuschen auf dem Gelände des Gefängnisses in Spandau. Neonazis verklären ihn bis heute.

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Quelle: dpa

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