Interview
Nationalpark Göreme:Bedrohte Schönheit im Herzen der Türkei
von Andreas Singler
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Der Nationalpark Göreme bietet faszinierende Landschaften und Geschichte. Er ist Unesco-Natur- und -Kulturerbe zugleich. Doch Overtourism gefährdet den Erhalt dieses Schatzes.
Aus einem Heißluftballon in 600 Metern Höhe betrachtet bietet der Nationalpark Göreme in der Türkei einen besonders spektakulären Ausblick auf die durch Wind und Wasser geformten Felsennadeln mit ihren zahllosen Höhlenwohnungen und -kirchen. Immer mehr Reisende setzen deshalb Göreme auf ihre "Bucket List", auf die Liste von Orten, die man unbedingt gesehen haben muss.
Noch vor Tagesanbruch beginnt der Tourismusbetrieb in dem Nationalpark, der zugleich Natur- und Kulturerbe der Unesco ist. Hunderte dieser Ballons erheben sich jeden Morgen in den Himmel über den märchenhaften Landschaften der Region Kappadokien im zentralen Hochland von Anatolien.
Jeden Morgen erheben sich Hunderte Heißluftballons in den Himmel, um das Naturwunder der "Feenkamine" im Nationalpark Göreme von oben zu betrachten.
Quelle: ZDF
Kegelförmige Felsen aus Tuff und Basalt
Doch geht es bei diesem touristischen Massenüberflug der kegelförmigen Felsen aus Tuff und Basalt, die von den Einheimischen "Feenkamine" genannt werden, wirklich nur noch um Natur und Kultur? Die ZDFinfo-Dokumentation "Göreme - Die Felsen der Türkei" lässt daran Zweifel aufkommen.
Die "Feenkamine" im Nationalpark Göreme
Die Ursprünge reichen zwei bis elf Millionen Jahre zurück. Tektonische Verschiebungen verursachten zahlreiche Vulkanausbrüche, die das Land mit bis zu 150 Meter starken Schichten aus Tuff und Asche überzogen. Beim Erkalten bildeten sich Risse in diesen Schichten. Wasser sickerte darin ein und wusch im Laufe der Zeit immer tiefere Rinnen und Täler aus.
Die typischen Felskegel - poetisch "Feenkamine" genannt - entstehen dabei nur, wenn härteres Material punktuell den darunter liegenden weichen Tuff vor Erosion schützt, also eine Art Deckel oder Hut auf dem Turm aus Tuff bildet.
Dank der einzigartigen Kombination aus Geologie und Höhlenarchitektur erhielt das Gebiet 1985 den Status als Unesco-Welterbestätte. Wohnhöhlen und Gotteshäuser finden sich im weichen Tuff vieler Klippen und Felswände rund um Göreme. Schon seit der Antike wird von ihnen berichtet. Die meisten wurden ab dem vierten Jahrhundert von frühchristlichen Gemeinschaften gebaut.
Der poröse Tuff ließ sich leicht aushöhlen. Die so entstandenen Tunnel konnten die Bewohner gut verteidigen. Während der byzantinischen Herrschaft bis zum 11. Jahrhundert entstanden immer mehr unterirdische Klöster, Kirchen und ganze Siedlungen. Später gerieten sie in Vergessenheit und verfielen. Ihre systematische Erforschung setzte erst 1920 mit dem französischen Priester und Archäologen Guillaume de Jerphanion ein. Vieles ist noch immer unerforscht.
Der poröse Tuff ließ sich leicht aushöhlen. Die so entstandenen Tunnel konnten die Bewohner gut verteidigen. Während der byzantinischen Herrschaft bis zum 11. Jahrhundert entstanden immer mehr unterirdische Klöster, Kirchen und ganze Siedlungen. Später gerieten sie in Vergessenheit und verfielen. Ihre systematische Erforschung setzte erst 1920 mit dem französischen Priester und Archäologen Guillaume de Jerphanion ein. Vieles ist noch immer unerforscht.
Wenn der Tourismus zum Problem wird
Längst sind es nicht mehr allein die Bilder der Naturwunder und Kulturschätze, die besonders über die Sozialen Medien mittlerweile bis zu vier Millionen Gäste im Jahr in den Nationalpark locken. Inzwischen bilden die ursprünglichen Attraktionen im Verbund mit den Bildern der über sie hinwegfliegenden Ballons eine ikonographische Einheit - der Tourismus selbst wird zum Star.
Das Spektakel der Ballonfahrten lässt sich in den in Tuff gehauenen Hotels, in denen sogar Spa-Urlaub angeboten wird, bequem schon beim Frühstück beobachten.
Naturschutzorganisation IUCN äußert Besorgnis
Der wachsende Tourismus gab schon vor dem rasanten Anstieg der Besucherzahlen in den vergangenen Jahren Anlass zur Sorge. In einer Erhebung 2020 kommt der Bericht der IUCN (Entscheidungsgremium für Stätten unter Denkmalschutz) zwar noch zu einem insgesamt guten Gesamtergebnis für Göreme. Dabei ging man aber noch von einem Besucherstrom von etwa einer halben Million Menschen aus - und nicht von den aktuell geschätzten vier Millionen. Nichtsdestotrotz gab es auch schon damals die Erkenntnis:
Baumaßnahmen zur Aufnahme der wachsenden Zahl von Touristen haben den landschaftlichen Wert beeinträchtigt.
IUCN zum Nationalpark Göreme
Hoffnung auf Besserung in Göreme?
Aber ohne den Schutz durch den Nationalpark- und Welterbe-Status wären die meisten Höhlen längst zerstört, sagt der Geologe Vedat Toprak. "Das zeigen Beispiele in anderen Teilen der Türkei. Viele Kulturgüter sind leider völlig vernichtet worden."
Sehen Sie die Doku-Serie "Nationalparks - Geschützte Naturwunder" mit insgesamt sechs Folgen am 20. August ab 8:15 Uhr bei ZDFinfo oder streamen Sie sie jederzeit im ZDF-Streaming-Portal.
Professionelle Beratung soll für mehr Nachhaltigkeit sorgen
Renovierungen und Neubauten wurden lange Zeit meist dilettantisch und häufig illegal vorgenommen. Viele Höhlenwohnungen im Nationalpark Göreme drohen zu verfallen oder ihren ursprünglichen Charakter einzubüßen.
Die Stadtplanerin Müge Akkar Ercan berät in Göreme deshalb nun Bauherren. Sie soll sicherstellen, dass traditionelle und lokal hergestellte Materialien zum Einsatz kommen, und verhindern, dass alte Bausubstanz verändert wird.
All das ist unersetzbar. Wenn wir es verlieren, dann für immer.
Prof. Müge Akkar Ercan, Stadtplanerin in Göreme
Quelle: dpa
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