Outsourcing bei Lieferando: Lieferdienstjobs werden prekärer

Outsourcing bei Lieferando & Co.:Warum Lieferdienstjobs noch prekärer werden

von Karen Grass und Martin Niessen
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Viele Lieferdienste arbeiten mit Subfirmen, deren Fahrer nicht bei der Bestellplattform selbst angestellt sind. Auch Lieferando lagert Stellen aus. Was steckt hinter dem Trend?

Mitarbeitende von Lieferando protestieren gegen eine geplante Auslagerung.
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Natürlich sei er eine Nummer, einer von Tausenden und nicht immer mit allem zufrieden, sagt Rüdiger Müller. Aber, fährt der Hamburger Lieferando-Fahrer fort: "Wenn man diesen Job machen will, mit Absicherung als normaler Arbeitnehmer, dann gibt es eben nur Lieferando." Sein Arbeitgeber habe immerhin fest angestellt und sei verglichen mit anderen Lieferdiensten "der Gute" gewesen, sagt der passionierte Radfahrer.
Nur: Damit könnte es für Rüdiger Müller und seine über 500 Lieferando-Kolleg*innen in Hamburg bald vorbei sein. Denn der Standort soll dicht gemacht und die Arbeit an "Flottenpartner" genannte Subfirmen ausgelagert werden.
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Stellenabbau bei Lieferando - Betriebsräte besorgt

Deutschlandweit sollen so insgesamt 2.000 Stellen wegfallen. Lieferando Deutschland begründet den Schritt so: "Das gegebene Markt- und Wettbewerbsumfeld macht Optimierungen unausweichlich erforderlich. Die zusätzlichen Flottenpartner stärken die Flexibilität, Effizienz und Skalierbarkeit unseres Lieferservices." Tatsächlich arbeitet die Konkurrenz schon länger mit diesem Modell.

  • Mitte Juli hat Lieferando Deutschland angekündigt, dass seine für die Auslieferung zuständige Schwestergesellschaft Takeaway Express 2.000 Stellen streicht. 45 Standorte sind betroffen, 34 davon werden ganz geschlossen.

  • Zuvor gab es Pilotversuche, Aufträge an Subdienstleister auszulagern - dieses Modell wird jetzt offenbar deutschlandweit ausgerollt.

  • Das Unternehmen will jetzt Sozialpläne und einen Interessenausgleich für betroffene Standorte mit den Betriebsräten aushandeln. Die wiederum versuchen mit Unterstützung der NGG eine Abmilderung des Plans zu erreichen und sicherzustellen, dass es auch für Standorte ohne Betriebsrat Lösungen gibt.

  • Große Bestellplattformen wie Uber Eats oder Wolt lassen die Auslieferung schon seit Jahren über Subfirmen machen. Lieferando gibt an, demgegenüber mit einer festen Flotte nicht mehr wettbewerbsfähig gewesen zu sein.

  • Tatsächlich liefern die meisten Subfirmen für mehrere Plattformen aus - dadurch verringern sich laut der Anbieter die Standzeiten der Beschäftigten und die Flotte werde besser ausgelastet.

Die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) besorgt der Trend. Sie hat in den letzten Jahren mühsam einen Organisationsgrad bei Lieferando erkämpft; Betriebsräte haben sich gegründet und Verbesserungen durchgesetzt. All das sei jetzt gefährdet. Mark Baumeister von der NGG sagt dazu:

Bei den Subfirmen gibt es erstmal keine Betriebsräte, stattdessen wohl Modelle, auf die will man nicht stoßen - das geht dem Anschein nach von Arbeitnehmerüberlassung über Scheinselbstständigkeit bis hin zu Schwarzarbeit.

Mark Baumeister, Gewerkschaft NGG

Lieferando schreibt dazu auf Anfrage: "Wir wählen unsere Logistikdienstleister besonders sorgfältig aus. Dabei setzen wir ausschließlich auf professionelle Anbieter, die in ihrer Region schon länger auch für andere Unternehmen ausliefern." Und:

Sollten uns Verstöße bekannt werden, prüfen wir diese und ergreifen geeignete Maßnahmen, bis hin zur Beendigung der Zusammenarbeit.

Stellungnahme von Lieferando

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  • Eine der Subfirmen, die seit dem Outsourcing-Pilotversuch im Fokus der Gewerkschaften steht, ist die Fleetlery GmbH. Das Hamburger Startup betont auf seiner Website, Beschäftigte erhielten bei Fleetlery eine Festanstellung.
  • Unter dem Namen Fleetlery oder Fleetlery-Flottenpartner war zuletzt jedoch in Anzeigen teils auch die Rede davon, dass man für die Arbeit einen Gewerbeschein brauche, nach ausgelieferten Bestellungen bezahlt werde und davon einen gewissen Prozentsatz als Provision an den Flottenpartner zahlen solle.

Außerdem wurden der NGG Chatverläufe zugespielt, in denen es wohl um Folgendes geht:

  • Beschäftigte werden unter dem Fleetlery Logo unter Druck gesetzt, sich zu bestimmten Uhrzeiten in die Lieferapp einzuloggen und auszufahren, offenbar ohne dass es konkrete Dienstpläne und geregelte Zeiten gibt.
  • Beschäftigte werden unter Druck gesetzt, schneller auszufahren, sonst werde die versprochene Bezahlung gekürzt.
  • Beschäftigte werden zu bestimmten Uhrzeiten an bestimmte Orte gelotst, wo sie ihr Geld abholen könnten - offenbar in bar, was die Frage nach Schwarzarbeit aufwirft.

Die Stellungnahme von Fleetlery dazu:

  • "Wir arbeiten sowohl mit festangestellten KurierInnen als auch mit regionalen Partnerunternehmen zusammen, die ihrerseits ausschließlich festangestellte FahrerInnen beschäftigen." Löhne zahle man niemals in bar aus.
  • Zu den verbreiteten Nachrichten schreibt das Startup: "Uns sind Fälle bekannt, in denen Dritte den Namen oder das Logo von Fleetlery ohne unsere Autorisierung verwenden, um über Online-Portale, soziale Netzwerke oder Chatgruppen irreführende Aussagen zu verbreiten (...). Diese Inhalte stehen in keinem Zusammenhang mit Fleetlery."
  • Man überprüfe Partnerunternehmen regelmäßig und habe sich nun rechtliche Unterstützung zum Schutz vor Identitätsmissbrauch besorgt.

Die Staatliche Arbeitsschutzaufsicht hat im Mai eine Kontrolle bei Fleetlery durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass das Unternehmen über keine geeignete Arbeitsschutzorganisation verfügt.

Experte sieht Gefahr der "Verantwortungsdiffusion"

Fest steht jedoch: Der Markt wird durch Subfirmen, die wiederum Subfirmen anheuern, immer unübersichtlicher. Fabian Hoose, Experte für Plattformökonomie an der Ruhr Universität Bochum erklärt: "Dahinter könnte schon der Versuch stehen, so eine Art Verantwortungsdiffusion herzustellen." Akut wird das gerade, weil die EU eine Plattformarbeitsrichtlinie verabschiedet hat, die nun in deutsches Recht umgesetzt werden muss.

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Die Idee: Scheinselbstständigkeit und ausbeuterische Beschäftigung in der Plattformökonomie einzudämmen. Ein Artikel der Richtlinie verlangt explizit, auch Beschäftigte bei Vermittlern davor zu schützen.
Nur: Ob das klappt, hänge jetzt von der deutschen Richtlinienumsetzung ab, so Fabian Hoose:

Die Mitgliedstaaten müssen prüfen, wie man mit solchen Vermittlern umgeht und ob es so etwas wie eine gesetzlich geregelte Generalhaftung der Plattform für ihre Subfirmen geben sollte.

Fabian Hoose, Plattformökonom, Ruhr Universität Bochum

Oder ganz banal: "Wer muss eigentlich zeigen, dass die Fahrer beispielsweise nicht scheinselbstständig angestellt sind? Muss das das Subunternehmen machen, oder die Plattform? All das muss geklärt werden."

Arbeitsministerium bestätigt Auslagerungstrend

Wie also will das Bundesarbeitsministerium (BMAS) das handhaben? Auf Anfrage gibt es an, den Trend zu Subfirmen zu beobachten und: "Die Erfahrungen aus der Praxis, beispielsweise aus der Lieferdienst-Branche, und die Hinweise der Akteure zu rechtlichen Fragestellungen bezieht das BMAS in die Ausgestaltung der nationalen Umsetzung ein." Wie genau und wann, sagt das Ministerium nicht.
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