Deutsches Lieferkettengesetz bald wertlos? Aufweichung befürchtet

Faire Herstellung von Produkten:Ist das deutsche Lieferkettengesetz bald wertlos?

von Arta Ramadani

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Produkte fair und umweltfreundlich herstellen - das ist die Idee des deutschen Lieferkettengesetzes. Bald könnten ihm aber die "Zähne gezogen werden", fürchten Menschenrechtler.

Arbeiter in einem Sweatshop

Das Lieferkettengesetz soll durch Nachverfolgung von Produktionsketten die Menschenrechte vor Ort schützen. Der Bundesrat berät über eine mögliche Abschaffung der Dokumentationspflicht.

17.10.2025 | 4:20 min

Hin und wieder Kleidung kaufen, ein neues Outfit gibt ja auch ein gutes Gefühl. Selten machen sich Verbraucher Gedanken darüber, woher die Produkte stammen oder unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden.

In Deutschland sorgt immerhin seit Anfang 2023 das so genannte Lieferkettengesetz für Standards. Die könnten nach dem Wunsch der Bundesregierung aber bald aufgeweicht werden.

  • Ziel des "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes" ist der Schutz von grundlegenden Menschenrechten
  • Insbesondere soll damit das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit durchgesetzt werden
  • Die Bundesregierung betrachtet das Gesetz als "schlagkräftig", Menschenrechtsorganisationen greifen die Regeln zu kurz


Nachweispflicht von Arbeitsbedingungen für Unternehmen

Allein im Jahr 2023 wurden Textilien und Bekleidung im Wert von 27,8 Milliarden Euro nach Deutschland geliefert. Doch nicht nur Kleidung, auch Kinderspielzeuge und viele Alltagsprodukte haben oft lange und komplizierte Lieferwege.

Das meiste Glas und 85 Prozent des Spielzeugs in der EU kommen aus China. Dort oder etwa auch in Bangladesch oder in der Türkei müssen Arbeiter und Arbeiterinnen teils unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Oft müssen zum Beispiel Näherinnen in China zwölf oder mehr Stunden am Tag arbeiten.

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Dagegen soll das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - kurz Lieferkettengesetz - wirken. Es verpflichtet Unternehmen, die Arbeitsbedingungen zu achten, also eine faire Bezahlung zu bieten und ihre Mitarbeiter respektvoll zu behandeln. Sie sind auch dazu verpflichtet, Klima und Natur zu schützen sowie die Gesundheit der Mitarbeiter nicht zu gefährden.

Berichtspflicht bald vor dem Aus?

Eine Grundlage des deutschen Lieferkettengesetzes ist die Dokumentations- beziehungsweise Berichtspflicht. Das bedeutet, dass die Unternehmen einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr erstellen und vorlegen müssen.

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Genau diese soll nach Plänen der Bundesregierung nun abgeschwächt beziehungsweise abgeschafft werden. Das hat das Kabinett bereits beschlossen. Heute befasste sich damit auch der Bundesrat.

Für die Verbraucherschutzorganisation "Initiative Lieferkettengesetz" ist dies ein Rückschritt: "Wir sehen ja heute schon, dass das Lieferkettengesetz bereits nach zwei Jahren wirkt", sagt Heike Drillisch von der Initiative.

Wenn man jetzt die Berichtspflichten abschafft und vor allem auch die Sanktionen, dann zieht man dem Gesetz praktisch die Zähne.

Heike Drillisch, Initiative Lieferkettengesetz

Man lade Unternehmen dazu ein, nicht mehr so genau hinzuschauen, kritisiert sie. Die Berichtspflicht sei eines der zentralen Kernelemente der Sorgfaltspflichten. Sie sei essenziell, um Transparenz und Vertrauen herzustellen, so die Initiative Lieferkettengesetz.

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Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie

Viele mittelständische Unternehmen verbinden mit den Berichtspflichten allerdings eine übermäßige Bürokratie, die viel zu viel Zeit kostet und abgeschafft gehört, so Achim Dercks von der Deutschen Industrie- und Handelskammer:

Es ist richtig, dass die Berichtspflichten wegfallen. Berichte allein helfen den Menschenrechten und dem Umweltschutz nicht.

Achim Dercks, Deutsche Industrie- und Handelskammer

Julia Hartmann, Professorin für Management und Nachhaltigkeit an der EBS Universität Oestrich-Winkel, überzeugt das nicht. Sie weist darauf hin, dass technologische Entwicklungen den Unternehmen und ihren Berichtspflichten durchaus in die Hände spielen könnten.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und Stéphane Sejourne, Vizepräsident, sprechen am Hauptsitz der EU über den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit der EU-Kommission.

Die europäische Wirtschaft lahmt, auch aufgrund von Überregulierung. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat nun Pläne für Bürokratieabbau vorgelegt.

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"Das Internet, Smartphones und KI sind heute bis in die entlegensten Winkel der Erde verbreitet", betont Hartmann, "und Unternehmen nutzen diese Technologien, um ihre Lieferketten weniger störanfällig zu machen. Warum diese nicht auch für die Berichte nutzen?"

EU-weite Lieferketten-Richtlinie: Umsetzung ab 2028

Im Moment stellt das deutsche Lieferkettengesetz eine Sonderbelastung für deutsche Unternehmen dar, so die Deutsche Industrie- und Handelskammer. Es gilt derzeit für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern. Die EU-Nachbarn, mit Ausnahme von Frankreich, hätten so ein Gesetz nicht.

Allerdings gibt es bereits eine EU-Richtlinie, die ab Juli 2028 in nationales Recht umgesetzt werden soll. Das würde für das deutsche Lieferkettengesetz bedeuten, es würde an die EU-Regelung angepasst oder ersetzt werden.

Wir müssen perspektivisch das deutsche Lieferkettengesetz abschaffen, weil wir keine Doppelregulierung zusätzlich zur EU-Lieferkettenrichtlinie haben dürfen.

Achim Dercks, Deutsche Industrie- und Handelskammer

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Initiative: EU-Regelung ohne Abschwächung des deutschen Gesetzes

Die Initiative Lieferkettengesetz befürwortet zwar ebenfalls eine europäische Regelung. Diese dürfe das bisherige deutsche Gesetz aber nicht abschwächen. Deutschland sei intensiv in die weltweite Arbeitsteilung eingebunden; dafür müsse es Verantwortung tragen.

Wenn man sich anschaue, "wie an vielen Orten der Welt produziert wird für die Güter, die wir in Deutschland konsumieren, wie schlimm die Arbeitsbedingungen sind, dass es Kinderarbeit gibt, dass es massive Gesundheitsschäden gibt, dass die Umwelt zerstört wird, wenn man das in Verhältnis zueinander setzt, würde ich sagen, das muss es einem wert sein darüber zu berichten", so Heike Drillisch mit Blick auf den geplanten Wegfall der Berichtspflicht.

Arta Ramadani ist Redakteurin in der Redaktion Volle Kanne.

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