Krankmeldungen: Ist Deutschland eine Blaumacher-Nation?
Krankmeldungen als Kostenfaktor:Ist Deutschland eine Blaumacher-Nation?
von Kim Uhlich und Daniel Hawiger
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Angefacht von der Wirtschaftskrise, fordern einige Konzernchefs die Streichung der Lohnfortzahlung und mahnen vor zu vielen Blaumachern. Was ist dran an den Vorwürfen?
Sind Blaumacher ein Problem für die deutsche Wirtschaft? (Symbolfoto)
Quelle: Imago
Burladingen auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg. Im Textilunternehmen Trigema beobachtet Senior-Chef Wolfgang Grupp die steigenden Krankmeldungen in seinem Unternehmen mit Sorge. Zwar sind die rund 1.200 Mitarbeiter sogar etwas weniger krank als im bundesdeutschen Durchschnitt von 15 Tagen - trotzdem kritisiert der 82-Jährige, dass es einige Ärzte gäbe, die zu leichtfertig krankschrieben:
Ich habe nicht einem Arzt, ich habe mehreren Ärzten geschrieben. Kaum ein Arzt in unserem Umfeld, dem ich deshalb nicht einen satten Brief geschrieben habe.
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Wolfgang Grupp, Senior-Chef Trigema
Ein zu hoher Krankenstand macht dem Unternehmer nach eigenen Angaben Probleme - zum einen, weil die Kosten der Lohnfortzahlung am Ende bei den Arbeitgebern hängen blieben, zum anderen, weil Personal fehle, um bestimmte Maschinen zu bedienen. Um gegenzusteuern, bietet das Unternehmen bewegungsfördernde "Gesundheitspausen" an - und belohnt die, die sich nicht krankmelden: Alle zwei Monate gibt es einen 50 Euro Tankgutschein.
Quelle: ZDF/Florian Lengert
Die Zahl der Krankmeldungen in Deutschland ist hoch: Pro Jahr melden sich Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt rund 15 Tage krank - damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich weit vorne. Woran liegt das? Sind die Deutschen überlastet, ist der hohe Krankenstand ein echtes Alarmsignal? Oder sind wir Deutschen tatsächlich ein Volk der Blaumacher? ZDF-Moderator Mitri Sirin macht sich auf die Suche nach Antworten. Der Film von Kim Uhlich und Daniel Hawiger ist an Christi Himmelfahrt, 29. Mai, ab 10 Uhr im Streamingportal des ZDF und ab 22.15 Uhr im TV zu sehen.
Und trotz allem habe man die, die sich einfach häufiger krankmeldeten als andere, sagt auch Betriebsrat Karl-Josef Schoser: "Natürlich weiß man nicht genau, ob jemand krank ist oder nicht. Aber es sind so zwei, drei Personen, die öfters krank sind, sich wegen jeder Kleinigkeit krankschreiben lassen. Wenn einer sechs-, siebenmal im Jahr ein paar Tage krank ist, gehen die Kollegen schon davon aus, der simuliert. Da kommen die Kollegen schon und sagen: "Mensch, da sind wir doch blöd - der macht schon wieder krank."
Wege zu niedrigem Krankenstand in den Niederlanden.28.03.2025 | 2:01 min
Steigende Belastung bei vielen
Melden sich manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einfach zu schnell krank oder macht die moderne Arbeitswelt krank? In der Praxis von Jenifer Blythe in Frankfurt am Main klagen Patientinnen und Patienten seit ein paar Jahren immer häufiger über eine zu hohe Arbeitsbelastung - Erschöpfungssymptome und Schlafstörungen sind mittlerweile gängige Diagnosen.
Unternehmen müssten immer mehr zahlen für den hohen Krankenstand, sagt ZDF-Wirtschaftsexperte Florian Neuhann.07.01.2025 | 1:25 min
Der Blaumacher - "Schlechtes Immunsystem"
Für die Doku "Am Puls Deutschlands" hat Moderator Mitri Sirin anonym mit einem Angestellten darüber gesprochen, wie es ist, sich jedes Jahr mehrfach ohne Symptome krankzumelden:
Ohne Attest kann ich mich bis zu drei Tage jederzeit einfach krank melden. Ich sag' einfach, ich bin krank und dann traut sich auch keiner mich zu fragen, was ich denn gehabt habe oder so.
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Anonymer Angestellter
Für den Fall, dass es seinen Vorgesetzten doch mal auffallen sollte, hat er schon eine Ausrede parat: "Dann habe ich halt ein schlechtes Immunsystem, was soll man da machen?" Ein schlechtes Gewissen habe er dabei nicht.
In einer repräsentativen Umfrage hat die Forschungsgruppe Wahlen im Mai 2025 für das ZDF untersucht, wie akzeptiert Blaumachen in Deutschland ist. 79 Prozent der Befragten gaben an, kein Verständnis für Blaumacher zu haben. Nur 17 Prozent äußern Verständnis.
Karenztag bei Krankmeldungen wieder einführen? An der Forderung des Allianz-Chefs hat sich eine politische Debatte entfacht. Der Vorschlag stößt auf Kritik, aber auch Zustimmung.07.01.2025 | 2:42 min
Mehr Support für weniger Krankschreibungen
Auch wenn es Blaumacher gibt: Sie sind die Ausnahme und die steigenden Krankmeldungen in Deutschland für viele Experten ein Alarmsignal. Einige Arbeitgeber suchen nach Lösungen.
Etwa Bauunternehmer Markus Buchhorn. Seit der Corona-Pandemie bemerkte er in seiner Belegschaft ein erhöhtes Stresslevel. "Wir haben schon gemerkt, dass die persönlichen Herausforderungen für jeden deutlich größer geworden sind. Wir hatten Corona, die Inflation, alles wurde teuer, dann Krieg in Europa. Die Menschen sind überhaupt nicht zur Ruhe gekommen. Und ihre Probleme, will ich mal sagen, im Alltag, im Privaten, mit der Familie und auch im Beruflichen sind ja auch noch da. Und so sind wir auf dieses Angebot gekommen."
Buchhorn hat ein psychologisches Betreuungsangebot eingeführt. Jederzeit können sich die Angestellten telefonisch bei den externen Psychologinnen und Psychologen melden und erhalten unkompliziert Hilfe. Für Polier Sönke Witt hat das Präventionsangebot einiges in der Firma und im Umgang miteinander verändert:
Ich habe das Gefühl, es wird offen drüber gesprochen. Die Kollegen erzählen hinterher davon, dass ihnen das auch geholfen hat. Zum Teil auch, wie denen das geholfen hat. Ich glaube, es ist für die Kollegen wichtig.