UN-Bericht: Kinderarbeit und moderne Sklaverei bleiben verborgen

UN-Entwicklungsziele verfehlt:Millionen Kinder weiter extrem ausgebeutet

von Marcel Burkhardt
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Schwere Arbeit statt Schule, das sollte bis 2025 weltweit passé sein: Doch laut Unicef werden aktuell 138 Millionen Kinderarbeiter ausgebeutet und ihrer Zukunftschancen beraubt.

Ein Junge im Alter von 9 Jahren arbeitet auf einem Weizenfeld am Stadtrand von Herat in Afghanistan.
In den vergangenen Jahren ist Kinderarbeit weltweit zurückgegangen, das ergeben Schätzungen der Vereinten Nationen. Im Jahr 2024 waren trotzdem noch 138 Millionen Kinder betroffen.11.06.2025 | 0:35 min
Vor zehn Jahren hat die Weltgemeinschaft versprochen, alle Formen der Kinderarbeit bis 2025 zu beenden - von dem Ziel ist die Welt heute aber weit entfernt.
Der Kampf gegen Kinderarbeit könnte laut Unicef sogar noch "jahrzehntelang andauern, wenn sich die Fortschritte nicht rasch beschleunigen", erklärte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen anlässlich des "Welttags gegen Kinderarbeit" am 12. Juni.
Kinder auf den Philippinen
Auf den Philippinen müssen Kinder auf Müllkippen schuften, um Geld zu verdienen. Pater Roberto Alda setzt sich für sie ein.07.12.2024 | 5:10 min

138 Millionen Kinder als billige Arbeitskräfte missbraucht

Einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht von Unicef und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge werden derzeit weltweit geschätzt etwa 138 Millionen Mädchen und Jungen zu schwerer Arbeit gedrängt und ausgebeutet.

Rund 54 Millionen von ihnen gehen sogar einer gefährlichen Form von Kinderarbeit nach, die ihre Gesundheit und Sicherheit gefährden.

Unicef und ILO zu ihrem Bericht "Kinderarbeit: Globale Schätzungen 2024"

Aufs Feld statt auf die Schulbank

Kinderarbeit kann die unterschiedlichsten Formen haben. Am häufigsten müssen Minderjährige in den Sektoren Landwirtschaft, Dienstleistungen und Industrie arbeiten:
Weltweite Kinderarbeit nach Wirtschaftszweig

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Es sind Kinder wie die zwölfjährige Adama Sandy, die seit fünf Jahren mit ihren Eltern in einem Steinbruch schuftet. Für einen Tagesverdienst von weniger als umgerechnet zwei Euro. "Das Geld reicht nicht, damit ich zur Schule gehen kann, es reicht nicht für Kleidung und Essen. Wir essen nur eine Mahlzeit am Tag", zitiert der Unicef-Bericht das Mädchen.

Kinderarbeit oft im Verborgenen

Ein anderes Beispiel: "Gerade im Dienstleistungsbereich blüht Kinderarbeit im Verborgenen", sagt Reinhard Heiserer, Geschäftsführer der österreichischen Entwicklungsorganisation Jugend Eine Welt.
Erklärgrafik Kinderarbeit
Wenn Kinder arbeiten müssen, statt in die Schule zu gehen, hat das heftige Folgen für sie. Das kann auch schwere Folgen für das Land haben.27.04.2022 | 1:19 min
Heiserer verschafft sich regelmäßig selbst Eindrücke von den extremen Nöten der Minderjährigen. Zuletzt war er in Nigeria, Indien und Ecuador. Er berichtet etwa von Mädchen, die als "billige Haushaltshilfen" schuften müssen. Kinder, "die mitunter keinen Lohn erhalten, sondern nur mit Kost und Logis bezahlt werden", so Heiserer.

Millionen das "Recht verwehrt, einfach Kind zu sein"

Der neue Kinderarbeitsbericht von Unicef und ILO verdeutliche nun, dass "Millionen Kinder immer noch ihr Recht verwehrt wird, zu lernen, zu spielen und einfach Kind zu sein", sagt Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland.
Anteil der Kinder, die keine Schule besuchen

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Zwar spricht die Organisation auch von Fortschritten im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit: Demnach waren laut vorhergehendem Bericht noch geschätzt 160 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen gewesen. Doch der erhoffte große Durchbruch für Kinderrechte ist nicht eingetreten.
Bolivianisches Mädchen sucht nach Erdwürmern zum Fischfang
Auch in Bolivien gehört Arbeiten für viele Kinder noch immer zum bitteren Alltag.20.11.2024 | 24:06 min

Unicef-Forderungen an Wirtschaft und Politik

Das bedeutet, dass Kinderrechte noch immer millionenfach missachtet und gebrochen werden. Unicef und ILO fordern deshalb, dass Unternehmen für ihre erwachsenen Beschäftigten menschenwürdige Arbeit inklusive existenzsichernder Löhne ermöglichen.
Zudem müsse die Politik Gesetze für unternehmerische Sorgfaltspflichten durchsetzen, um Kinder effektiv vor Ausbeutung zu schützen.
Kidnerarbeit auf Madagaskar
Weil ihre Eltern arm sind, arbeiten tausende Kinder in afrikanischen Glimmer-Minen unter Tage. Unicef zählt die Arbeit zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit.17.10.2024 | 2:10 min

Kritik: EU-Lieferketten voll "ausbeuterischer Kinderarbeit"

Kritikern zufolge hat allerdings auch die Europäische Union (EU) eine gewichtige Mitschuld an der globalen Misere. Der Politologe und Theologe Benjamin Pütter etwa, der sich seit 38 Jahren gegen ausbeuterische Kinderarbeit einsetzt, sagt im ZDFheute-Gespräch: "Die EU hat ein massives Problem mit ausbeuterischer Kinderarbeit in ihren Lieferketten."

Es gibt seriöse Schätzungen, wonach die EU jährlich Produkte im Wert von 50 Milliarden Euro importiert, in deren Herstellungsprozess Minderjährige massiv ausgebeutet worden sind.

Benjamin Pütter, Politologe und Theologe

Pütter fordert auch mit Blick auf die Debatte um ein mögliches weiteres Aushöhlen des EU-Lieferkettengesetzes, dass sich die Europäer nicht ihrer Mitverantwortung entzögen.
Gefährliche Kinderarbeit in allen Altersklassen

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Das Aufweichen von Gesetzen im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit sei ein "Schlag ins Gesicht von Abermillionen Kindern", sagt Reinhard Heiserer von der Organisation Jugend Eine Welt.

Menschenrechtsaktivist: Deutschland darf nicht wegsehen

"Traurigerweise" werde ausbeuterische Kinderarbeit derzeit jedoch weiter "als äußerst effizientes Mittel zur Kostensenkung und Gewinnsteigerung von Unternehmen auf allen Kontinenten genutzt", sagt der Menschenrechtsaktivist Fernando Morales-de la Cruz aus Guatemala.
Johannes B. Kerner im Gespräch mit dem Mädchen Maria vor Ort in Guatemala
Noch immer schuften Millionen Kinder für Essen, Trinken, fürs Überleben - wie die siebenjährige Maria in einem Steinbruch in Guatemala.09.12.2023 | 4:32 min
Im Gespräch mit ZDFheute nimmt er auch die deutsche Politik und Wirtschaft in die Pflicht, denn, so kritisiert er:

In Deutschland gibt es extrem wohlhabende Familien, deren Vermögen zum Teil auf der Ausbeutung von Hunderttausenden Kinderarbeitern weltweit basiert.

Fernando Morales-de la Cruz, Menschenrechtsaktivist

Morales-de la Cruz fordert von Politik, Wirtschaft und Medien in Deutschland, die Augen nicht zu verschließen vor global weit verbreitetem Unrecht - "aus Respekt vor den Rechten der Kinder". Es müsse alles unternommen werden, "um Geschäftsmodelle zu stoppen, die auf der Ausbeutung von Kindern und Sklaven basieren".

Mit dem Begriff "Kinderarbeit“ wird Arbeit beschrieben, die der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schadet und/oder sie am Schulbesuch und Bildung hindert. Zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit zählen die Vereinten Nationen Tätigkeiten, die unter kriminellen und ausbeuterischen Bedingungen erfolgen und schädlich für die seelische und körperliche Gesundheit und Sicherheit sind.

Dazu zählen Kinderprostitution und Kinderpornografie, der Missbrauch von Kindern als Sklaven und Zwangsarbeiter, Soldaten oder Drogenschmuggler sowie schwer gesundheitsgefährdende Tätigkeiten wie Arbeit in Steinbrüchen oder in Bergwerken, das Tragen schwerer Lasten, der Umgang mit Chemikalien und gefährlichen Werkzeugen sowie Nachtarbeit. Als Hauptgrund für Kinderarbeit gelten extreme Armut und Existenznot von Familien.

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