Missbrauch: Kinderschutz in Schulen - eine Schwachstelle
Sexuellen Missbrauch erkennen:Kinderschutz in Schulen - eine Schwachstelle
von Steffi Moritz-Möller
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Noah Dejanović wurde als Kind sexuell missbraucht. Obwohl er sich in der Schule stark veränderte, sprach ihn kein Lehrer darauf an. Das hat Gründe, die der Student ändern will.
Das Thema Kinderschutz ist bis heute im Lehramtsstudium nicht verpflichtend vorgesehen. (Symbolbild)
Quelle: dpa
Noah Dejanović wollte oft nach dem Unterricht nicht nach Hause, die Schule war für ihn eine Art Schutzraum, denn daheim wartete seine Mutter auf ihn, die ihn missbrauchte.
"Ich sah sie im Schlafzimmer auf dem Bett liegen und einen Porno schauen, daneben die Weinflasche, und wollte mich schnell vorbeischleichen. Aber sie sah mich und rief mich zu sich. Dann musste ich mich auf ihren Schoß setzen und zuschauen. Dabei würgte sie mich und fragte, ob ich so was auch mit meinen Freunden schaue."
Noah Dejanović war elf Jahre alt, als er sich seinem Vater anvertraute. Seine Eltern trennten sich, als er drei Jahre alt war. Die Wochenenden bei ihm und seiner neuen Familie zeigten ihm: Ein normales Leben sieht anders aus. Zusammen zeigten sie seine Mutter an und er konnte dann bei seinem Vater leben.
Die meisten Kindern kennen ja gar kein anderes Leben als das gewalttätige zu Hause, sie empfinden es deshalb als normal und vertrauen sich auch keinem an.
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Noah Dejanović
Kinder verändern sich meist, wenn sie sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. "Manche werden still und ängstlich, andere eher aggressiv", sagt der 22-Jährige, der selbst Lehramt studiert. "Aber das müssten eigentlich auch Lehrer mitkriegen." Dejanović hätte sich gewünscht, dass ihn mal ein Lehrer anspricht, ihn fragt, was los ist. "Das hätte mir sehr geholfen", sagt er.
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Kinderschutz steht nicht auf dem Lehrplan
Aber das Thema Kinderschutz ist bis heute im Lehramtsstudium nicht verpflichtend vorgesehen. Dejanović setzt sich dafür ein, dass sich das ändert und gibt Seminare, wie Pädagogen Anzeichen für Kindesmissbrauch besser erkennen und darauf reagieren können.
"Wichtig ist vor allem das Bauchgefühl: hat sich das Kind so verändert, dass man sexualisierte Gewalt vermuten könnte?", so Dejanović.
Oft sind Lehrer ja die einzige Bezugsperson außerhalb der Familie. Und bloß kein Elterngespräch suchen, solange man nicht weiß, wer der Täter ist.
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Noah Dejanović
Seminare für angehende Lehrer - für mehr Kinderschutz
Kraft findet Dejanović durch seine Therapie, die ihm noch immer hilft. Jahrelang litt er unter Panikattacken und Selbsthass, lange haben ihn Angstzustände und Suizidgedanken begleitet.
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Seine Seminare helfen zwar auch, Erlebtes zu verarbeiten, aber heilen wird diese Wunde nie, sagt er. "Das würde ja bedeuten, dass es nichts mehr in mir auslöst. Das wird nie so sein, im Gegenteil."
Es reißt jedes Mal alte Wunden wieder auf. Aber es wird dadurch aufgewogen, dass ich damit Gutes bewirken und helfen kann, Kinder zu schützen.
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Noah Dejanović
Seine Seminare und Vorlesungen sind freiwillig, aber sehr gut besucht, denn es ist gerade die Sicht eines Betroffenen, die bei den angehenden Lehrern viel auslöst. Auch sie verstehen nicht, dass Kinderschutz keine Rolle in ihrem Studium spielt, und das in keinem Bundesland.
Auszeichnung zum "Studenten des Jahres"
Für sein Engagement ist Dejanović zum Studenten des Jahres ausgezeichnet worden. Darüber ist er vor allem deshalb froh, weil dieses Thema damit mehr in die Öffentlichkeit rückt.
Noah Dejanović und Gundula Gause.
Quelle: ZDF
Dass irgendwann auch seine Mutter davon erfahren wird, ist ihm klar. Damit will und muss er zurechtkommen, denn er hat ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihr, sieht sie kaum.
"Meine Mutter hatte psychische Probleme, es war eine Art Hilflosigkeit, weshalb es dazu kam, dass sie mich misshandelt und missbraucht hat. Das soll keine Entschuldigung sein, aber es wird gesellschaftlich immer noch nicht wahrgenommen, dass eine Mutter so etwas tun kann."
Das Hilfe-Telefon ist unter 0800 22 55 530 montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr und dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr erreichbar. Es berät anonym, kostenfrei,mehrsprachig und in Gebärdensprache. Es kann auch eine Nachricht geschrieben werden.