Ausschluss von Paralympics: Weitsprung-Klassen gestrichen

Ausschluss statt Inklusion:Paralympisches Komitee streicht Weitsprung-Klassen

von Johannes Fischer

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Die Streichung des T61- und T63-Weitsprungs bei den Paralympics 2028 sorgt für Entrüstung im Parasport. Die Entscheidung hat vor allem für beidseitig Oberschenkelamputierte Folgen.

Ali Lacin

Steht vor dem Ende seiner Weitsprung-Karriere, weil das Paralympische Kommitee seine Disziplin aus dem Programm für die Spiele 2028 streicht: Ali Lacin

Quelle: imago

Als Ali Lacin die Nachricht auf seinem Laptop sah, geriet seine Welt aus den Fugen. "Ich dachte zuerst, das sei ein schlechter Scherz“, sagt der Berliner Para-Leichtathlet. "So etwas passiert einfach nicht - man streicht doch nicht einfach eine ganze Klasse."

Doch genau das ist geschehen. Der Weitsprung der Klassen T61 und T63, bislang eines der spektakulärsten Events der Para-Leichtathletik, wird nicht Teil der Paralympischen Spiele 2028 in Los Angeles sein. Für Lacin bedeutet die Streichung faktisch sein Karriereende. Nicht aus freien Stücken, sondern, wie er sagt, "weil man uns quasi ins Exil schickt“.

Lacin ist beidseitig oberschenkelamputiert, startet in der Klasse T61. Schon nach Tokio 2021, wo er über 200 Meter Bronze gewonnen hatte, musste er umsatteln, weil seine stärkste Disziplin gestrichen wurde. "Ich musste mich komplett auf den Weitsprung konzentrieren, das war eigentlich gar nicht meine Hauptdisziplin“, sagt er.

Sprint-Sieger

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Streichung der Weitsprung-Klassen trifft Athleten aus heiterem Himmel

Nachdem Lacin Paris 2024 knapp verpasst hatte, sollten die Paralympics 2028 in Los Angeles seine Karriere abrunden. Er stürzte sich ins Training, bis die bittere Nachricht kam.

Ich wollte selbst entscheiden, wann Schluss ist. Jetzt nimmt man mir die Möglichkeit, mich selbstbestimmt zu verabschieden.

Ali Lacin

Die Entscheidung des International Paralympic Committee (IPC) und von World Para Athletics (WPA) kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ohne Vorankündigung, ohne Athletenbeteiligung. "Das NPC Germany wurde nicht eingebunden, die Athleten wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“, kritisiert Dr. Karl Quade, DBS-Vizepräsident und langjähriger Chef de Mission. "So darf man mit engagierten Sportlerinnen und Sportlern nicht umgehen."

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Auch Bundestrainerin Marion Peters zeigt sich fassungslos: "Bis heute ist nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien das Ranking erstellt wurde, auf dessen Grundlage der Weitsprung gestrichen wurde. Die Zahlen zeigen, dass die Disziplin international stark besetzt ist - mit Teilnehmern aus zehn Ländern auf vier Kontinenten."

Para-Geschäftsführer: "Klarer Fehler im System"

In Leverkusen spricht Para-Geschäftsführer Jörg Frischmann von einem "klaren Fehler im System“. Das Programm für 2028 sei veröffentlicht worden, ohne vorher die Fachverbände einzubeziehen. "Weder WPA noch IPC legen offen, wie das Ranking zustande kam. Dabei erfüllt der Weitsprung T63 seit Jahren alle geforderten Kriterien."


In der Para-Leichtathletik stehen die Klassen T61 und T63 für Athleten mit Oberschenkelamputationen, die mit Prothesen laufen und springen. T61-Athleten sind beidseitig betroffen, während T63-Athleten eine einseitige Amputation haben. Die Sportler beider Klassen starten im gleichen Weitsprung-Wettkampf. Die T63-Athleten können zumindest noch an den 100 Metern teilnehmen, verlieren jedoch ebenfalls die Möglichkeit, im Weitsprung anzutreten.


Hinter den Kulissen versuchen Athleten und Verbände zu verstehen, was passiert ist, was sich als äußerst schwieriges Unterfangen darstellt. Laut WPA habe das IPC die unteren 13 Disziplinen streichen lassen, basierend auf einer "Prioritätenliste"von 1 bis 177.

Niederlande wohl zu rechtlichen Schritten gegen IPC bereit

"Wir waren genau am Cut-off-Punkt“, sagt der niederländische Weitspringer Joel de Jong, der bei der WM in Neu-Delhi die Goldmedaille holte. "Aber niemand erklärt uns, warum. WPA-Direktor Paul Fitzgerald weigert sich, die Daten zu teilen." Auch eine Mailanfrage von ZDFheute.de an den Verband blieb unbeantwortet.

Für die Paralympics 2028 gibt es ein Ranking, in dem die Disziplinen von World Para Athletics (WPA) bewertet werden. Insgesamt hat die WPA 177 Events vorgeschlagen. Laut Vertrag zwischen dem Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) dürfen jedoch nur 164 Events aufgenommen werden. Das bedeutet, dass die 13 Disziplinen am unteren Ende des Rankings gestrichen werden.

Dass ausgerechnet der Weitsprung der Klassen T61/T63 darunterfällt, hat für große Irritationen gesorgt. Für die Athleten bedeutet dies, dass sie bei den kommenden Spielen keine Chance mehr haben, im Weitsprung an den Start zu gehen. Umstritten ist auch die Streichung des Weitsprungs der Sehbehinderten (T12).


In den Niederlanden ist man offenbar bereit, rechtliche Schritte einzuleiten. Dr. Quade bestätigt: "Soweit uns bekannt ist, hat der niederländische Verband Klage eingereicht, um die Offenlegung der Bewertungskriterien zu erzwingen - und genau das unterstützen wir." Die Athleten hätten ein Recht darauf zu wissen, nach welchen Maßstäben über ihre Zukunft entschieden wird.

Léon Schäfer spricht von Desaster für den Nachwuchs

Sollte die Entscheidung nicht doch noch revidiert werden, würden vor allem Nachwuchsathleten der T61-Klasse darunter leiden. Léon Schäfer, einer der bekanntesten Gesichter im deutschen Para-Sport, bringt es auf den Punkt: "Für junge Doppeloberschenkelamputierte ist das ein Desaster. Wir verlieren ganze Nachwuchsgenerationen."

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Da hilft es nur bedingt, dass Fitzgerald in einem Brief an die betroffenen Sportler versichert, dass "die Athleten der T61-Klasse weiterhin auf höchstem Niveau antreten können, etwa beim World Para Athletics Grand Prix oder bei Weltmeisterschaften." Bei künftigen Paralympics-Veranstaltungen schließt der WPA-Chef eine Rückkehr der T61-Klasse nicht aus. Die nächste Gelegenheit wäre Brisbane 2032, eine halbe Sportlerkarriere entfernt.

Worte, die Ali Lacin dazu bewogen haben, einen Schlussstrich zu ziehen. "Ich hatte gehofft, bei den Paralympics in Los Angeles noch einmal alles zu geben“, sagt er leise. "Aber jetzt bleibt mir nur, mich irgendwie damit abzufinden.“

Sein Traum endet nicht mit einem letzten Sprung, sondern mit einer schnöden E-Mail. Kein Applaus, kein Zielstrich, nur ein Gefühl von Leere. Und der bittere Gedanke, dass im Namen der Inklusion gerade Athleten ausgeschlossen werden.

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