Weitsprungklassen-Aus für 2028: Para-Athlet Schäfer entsetzt

Interview

Streichung von Startklassen für 2028:Para-Weitspringer Schäfer: "Für den Nachwuchs verheerend"

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Nach der Streichung der Weitsprungklassen T61/T63 für die Paralympics 2028 in Los Angeles herrscht Entsetzen. Para-Star Léon Schäfer spricht im ZDF-Interview über bittere Folgen.

Para-Weitspringer Leon Schäfer bei den Paralympics in Tokio

Para-Weitspringer Leon Schäfer (Archivbild) ist einer der Besten seines Fachs. Nach der Streichung von Startklassen für die Spiele 2028 befürchtet er bittere Folgen für den Nachwuchs.

Quelle: reuters

Die Entscheidung des International Paralympic Committee (IPC), den Weitsprung der Klassen T61 und T63 aus dem Programm der Paralympics 2028 zu streichen, hat für Entsetzen bei Athleten, Trainern und Verbänden gesorgt. Vize-Weltmeister Léon Schäfer beschreibt im Interview die Hintergründe, die fehlende Transparenz der Verbände und die Auswirkungen auf seine Klasse und den Nachwuchs.

ZDFheute.de: Wie haben Sie von der Streichung Ihrer Klasse bei den Paralympics erfahren - und was waren Ihre ersten Gedanken?

Léon Schäfer: Erfahren habe ich es über Heinrich Popow (mehrfacher deutscher Paralympics-Sieger, Anm. d. Red.). Dann hat es bei uns Betroffenen aus der Klasse schnell die Runde gemacht und wir haben auf Instagram eine Gruppe mit allen Athleten erstellt. Meine erste Reaktion war, dass ich das nicht ernst nehmen konnte. Es war so fernab jeder Realität - und ist es irgendwo immer noch. Ich weiß, sobald das Programm offiziell draußen ist, gilt es. Aber ich verstehe die Gründe einfach nicht, sie ergeben für mich überhaupt keinen Sinn.

Para-Sprinter

Weitspringer Leon Schäfer hat bei der Para-Leichtathletik-WM in Neu Delhi die erste deutsche Medaille geholt. Mit persönlicher Bestleistung von 7,45 Meter sicherte er sich Silber.

30.09.2025 | 0:54 min

ZDFheute.de: Wie ist die Stimmung unter den Athleten?

Schäfer: Da herrschen Frust, Wut und Enttäuschung. Wir hatten bei der WM in Neu-Delhi ein Gespräch mit dem Präsidenten der WPA (Paul Fitzgerald, Anm. d. Red.), aber auch das war sehr unbefriedigend. Wir sind uns alle einig, dass wir uns jetzt mit voller Kraft dafür einsetzen müssen, diese Entscheidung rückgängig zu machen.

ZDFheute.de: Wie wird die Streichung begründet?

Schäfer: Begründet wird sie wohl damit, dass wir in Paris im Weitsprungfinale nur sieben Teilnehmer waren. Aber das reicht als Argument einfach nicht. Das war der einzige Wettkampf, bei dem wir so wenige waren. Wir haben Listen aus den letzten Jahren vorgelegt, da waren wir immer ausreichend, oft über zehn Starter. Neulich bei der WM waren wir mit 13 Mann am Start. Das ist weit mehr als in vielen anderen Klassen.


In der Para-Leichtathletik stehen die Klassen T61 und T63 für Athleten mit Oberschenkelamputationen, die mit Prothesen laufen und springen. T61-Athleten sind beidseitig betroffen, während T63-Athleten eine einseitige Amputation haben. Die Sportler beider Klassen starten im gleichen Weitsprung-Wettkampf. Die T63-Athleten können zumindest noch an den 100 Metern teilnehmen, verlieren jedoch ebenfalls die Möglichkeit, im Weitsprung anzutreten.


ZDFheute.de: Wie lief der Kontakt mit den Verbänden?

Schäfer: Vor etwa zweieinhalb Monaten hatten wir einen Zoom-Call mit Vertretern beider Verbände. Da wurde viel um den heißen Brei geredet, es gab keine klaren Aussagen und keine klare Begründung. Dieses Ranking (s. Faktenbox) wird uns nicht offengelegt - angeblich, weil sie erst rechtlich prüfen müssen, ob sie das dürfen. Das ist Quatsch, ganz ehrlich. Es gibt viele Aussagen in diesem Prozess, die für mich klar machen, dass da irgendwas nicht korrekt läuft oder gelaufen ist.

ZDFheute.de: Was bedeutet diese Entscheidung für die Athleten, die von der Streichung direkt betroffen sind?

Schäfer: Am schlimmsten trifft es die Doppeloberschenkelamputierten, die bei uns ja auch mitspringen. Wenn der Weitsprung gestrichen wird, haben sie gar kein Event mehr in der Leichtathletik. Das heißt: Es lohnt sich für sie nicht mehr, mit Leichtathletik anzufangen oder weiterzumachen, weil es keine offizielle Wettkampfdisziplin mehr für sie gibt. Das wird auch eines unserer stärksten Argumente sein, falls wir vor Gericht ziehen müssen.

Ausschluss statt Inklusion
:Paralympisches Komitee streicht Weitsprung-Klassen

Die Streichung des T61- und T63-Weitsprungs bei den Paralympics 2028 sorgt für Entrüstung im Parasport. Die Entscheidung hat vor allem für beidseitig Oberschenkelamputierte Folgen.
von Johannes Fischer
Ali Lacin
mit Video

ZDFheute.de: Sie hatten im Vorfeld schon angekündigt, notfalls rechtliche Schritte zu prüfen. Wie weit sind Sie damit?

Schäfer: Ich persönlich bin da noch nicht sehr weit, aber die Niederländer, die in Paris Gold und Bronze gewonnen haben, sind da deutlich aktiver als unser deutscher Verband. Sie sind sehr gewillt, vor Gericht zu ziehen, was gut ist, weil wir Athleten das nicht allein stemmen müssen. Jetzt geht es darum, alle betroffenen Nationen auf einen Nenner zu bringen, damit wir geschlossen auftreten können.

ZDFheute.de: Welche Folgen hat die Streichung für junge Athleten?

Schäfer: Für den Nachwuchs insgesamt ist das verheerend. Bei uns in Leverkusen haben wir sechs, sieben Jungs mit Oberschenkelamputation. Denen musst du jetzt erklären, dass es sich nicht mehr lohnt, Weitsprung zu trainieren, weil es die Disziplin vielleicht nicht mehr gibt. Das nimmt vielen die sportliche Grundlage. Gerade international, z. B. in Südafrika, gibt es viele Projekte, bei denen Kinder mit Prothesen versorgt werden. Denen nimmst du mit dieser Entscheidung jede Perspektive.

ZDFheute.de: Gab es so etwas in der Geschichte der Paralympics schon einmal?

Schäfer: Nein, so etwas gab es noch nie. Früher sind die Doppeloberschenkelamputierten bei uns auch die 100 Meter mitgelaufen, und bis vor einigen Jahren gab es auch noch die 200 Meter. Dann wurde das getrennt. Sie hatten nur noch die 200, wir nur noch die 100. Man sieht also: Stück für Stück werden die Doppeloberschenkelamputierten immer weiter rausgedrängt. Und jetzt das - das ist wirklich Wahnsinn.

Das Interview führte Johannes Fischer

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Quelle: Reuters

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