Intergeschlechtliche Läuferin:Semenyas Rechtsstreit: Das sind die Folgen
von Susanne Rohlfing
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Die intergeschlechtliche Ex-Läuferin Caster Semenya hat vor dem Europäischen Gerichtshof nur teilweise Recht bekommen. Was bedeutet das Urteil, was steht im Hintergund?
Teilerfolg vor Gericht: Caster Semenya.
Quelle: AFP
In der Sache hat Caster Semenya kein Recht bekommen. Intersexuelle Athletinnen wie sie, die von Natur aus einen höheren Testosteronspiegel im Blut haben als andere Frauen, werden in der Leichtathletik auch künftig nicht in der Frauenklasse starten dürfen - es sei denn, sie senken ihren Testosteronspiegel durch eine Hormontherapie.
Diese Regel des Weltverbandes World Athletics hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in ihrem jüngst veröffentlichten Urteil zwar als diskriminierend bewertet, jedoch nicht als Verletzung der Menschenwürde.
"Eine solche Diskriminierung ist ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel, um zu erreichen, was als Unversehrtheit der weiblichen Leichtathletik beschrieben wird und um die 'geschützte Klasse' von Athletinnen zu erhalten." So steht es in dem auf 122 Seiten gefassten Urteil vom 10. Juli.
Semenya passt nicht in die Kategorien
Dass es sich hier um eine ethisch sehr komplizierte Entscheidung handelt, wird mit dieser Aussage klar: Das Gremium habe es mit Regularien zu tun gehabt, "die sich mit der anerkannten binären Aufteilung von Athleten für Wettkämpfe in Männer und Frauen befassen, in einer Welt, die nicht so klar geteilt ist". Der Sport malt sich sein Universum also Schwarz und Weiß, wo die Realität oft doch eher grau ist.
Es geht um Menschenrechte, um den Schutz von Athleten.
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Caster Semenya
Caster Semenya ist eine der Athletinnen, die nicht recht in eine dieser zwei Kategorien passen. Das war so lange kein Problem, bis sie begann, auf der Tartanbahn über 800 Meter allen anderen Athletinnen davon zu rennen. Tests ergaben daraufhin, dass sie als intergeschlechtlich einzustufen ist.
Und weil die heute 34-Jährige schließlich nicht mehr bereit war, die von World Athletics deshalb geforderte und für sie mit heftigen Nebenwirkungen behaftete Hormontherapie zu machen, endete ihre sportliche Karriere 2019 - und ihre Odyssee durch die Sportgerichtsbarkeit begann.
EGMR stellt Verfahrensmängel fest
An der Testosteron-Regel für intergeschlechtliche Athletinnen konnte sie bis zur letzten Instanz vor dem EGMR nun also nicht rütteln, aber die Große Kammer stellte fest, dass Semenyas "Recht auf ein faires Verfahren" vom Schweizer Bundesgericht verletzt worden war. Das dortige Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS habe "nicht das erforderliche Maß an Genauigkeit erreicht".
Caster Semenya wurde nach ihrer Geburt am 7. Januar 1991 im südafrikanischen Pietersburg zum Mädchen erklärt, da sie weibliche äußere Geschlechtsteile hat, also eine Vagina. Sportlich trat sie mit ihrem WM-Sieg über 800 Meter 2009 in Berlin ins internationale Rampenlicht – wegen ihres auffällig muskulösen Körperbaus und ihrer tiefen Stimme begannen allerdings auch direkt die Diskussionen um ihr Geschlecht. Irgendwann bekannte Semenya, dass sie keine Gebärmutter und keine Eileiter habe, dafür aber innenliegende Hoden, die ihre erhöhten Testosteronwerte erklären. Sie selbst sehe und fühle sich aber als Frau.
2011 führte der Leichtathletik-Weltverband World Athletics (damals noch IAAF) die Regel ein, dass Frauen mit natürlich erhöhten Testosteronwerten diese durch eine Hormontherapie senken müssen. Semenya beugte sich dieser Regel zunächst, litt nach eigener Aussage aber unter extremen Nebenwirkungen wie Panikattacken. Ihre sportlichen Leistungen verschlechterten sich, bei der WM 2011 und bei den Olympischen Spielen 2012 wurde sie Zweite hinter der Russin Marija Sawinowa. Diese wurde im Nachhinein des Dopings überführt und Semenya rückte jeweils auf Rang eins. 2015 verbot der Internationale Sportgerichtshof CAS die Testosteron-Regel des Welt-Leichtathletik-Verbandes für intergeschlechtliche Frauen.
Semenya holte 2016 ihre zweite olympische Goldmedaille und 2017 ihren dritten WM-Sieg. Seit Ende 2018 ist die Testosteron-Regel wieder in Kraft. Sie betraf zunächst nur die Lauf-Distanzen von 400 Metern bis eine Meile. Inzwischen gilt aber in der gesamten Leichtathletik, dass der Testosteronspiegel von Athletinnen, die in der Frauenklasse antreten wollen, nicht über 2,5 Nanomol pro Liter liegen darf. Männer haben einen natürlichen Wert von zwölf bis 35 Nanomol pro Liter. Künftig soll ein DNA-Test eingeführt werden, um intergeschlechtliche Frauen unter den Athletinnen zu erkennen. Deren Chromosomensatz gleicht dem männlichen (46 XY) und unterschiedet sich damit klar vom weiblichen (46 XX).
Semenya zog 2019 gegen die Testosteron-Regel vor den CAS - ohne Erfolg. Die Läuferin legte daraufhin beim Schweizer Bundesgericht Beschwerde ein. Das ist der vorgegebene Weg in der Sportgerichtsbarkeit, da der CAS in der Schweiz sitzt. Auch das Schweizer Bundesgericht lehnte eine Aussetzung der Testosteron-Regel ab. Gegen dieses Urteil reichte Semenya Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein, zunächst mit Erfolg. Mit einer 4:3-Mehrheit urteilten die Richter, Semenya sei diskriminiert worden - die Testosteron-Regel blieb allerdings in Kraft.
Wegen der knappen Mehrheit wurde der Fall auf Antrag der Schweiz an die Große Kammer des EGMR mit 17 Richterinnen und Richtern verwiesen. Diese urteilte nun letztinstanzlich, dass die Regel zwar diskriminierend, aber eben auch notwendig, angemessen und verhältnismäßig sei, um die Integrität des Frauensports zu schützen und jene Athletinnen mit 46 XX-Chromosomensatz nicht zu benachteiligen.
Die 17 Straßburger Richterinnen und Richter sprachen Semenya Schadenersatz in Höhe von 80.000 Euro für ihre Auslagen zu, zahlen muss das die Schweiz. Es herrsche ein "strukturelles Ungleichgewicht" zwischen Sportlerinnen sowie Sportlern und den Institutionen, die ihren jeweiligen Sport regeln, befand das EGMR.
Deshalb müsse das Schweizer Bundesgericht als jene Instanz, die bei Beschwerden gegen Urteile des CAS über die Bürgerrechte der Athletinnen und Athleten wacht, aus Respekt vor dem Recht jedes einzelnen auf ein faires Verfahren, eine besonders genaue Untersuchung des jeweiligen Falls vornehmen. Und das sei bei Caster Semenya nicht geschehen.
Die Folgen für die Zukunft
Damit könnte das Urteil in Zukunft deutliche Auswirkungen auf die internationale Sportgerichtsbarkeit haben. "Künftig kommt der Überprüfbarkeit von CAS-Schiedssprüchen mit Blick auf die Einhaltung eines fairen Verfahrens eine erheblich größere Bedeutung zu, was überfällig ist", sagt Rainer Tarek Cherkeh, Fachanwalt für Sportrecht und Professor an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften.
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Das Schweizer Bundesgericht habe nun "einen deutlich breiteren Überprüfungsmaßstab bei der Konstellation Verband gegen Athlet anzuwenden", so Cherkeh.
Nach dem Urteil EGMR sagte Caster Semenya der BBC: "Das ist größer als wir jemals dachten. Es geht nicht mehr um den Wettkampf. Es geht um Menschenrechte, um den Schutz von Athleten."