ME/CFS-Awareness-Day: Mit Liegenddemos Bewusstsein schaffen
ME/CFS-Awareness-Day :ME/CFS: Mit Liegenddemos Bewusstsein schaffen
von Susana Santina
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Obwohl ME/CFS als schwere neuroimmunologische Erkrankung seit Jahrzehnten bekannt ist, gibt es bis heute keine Heilung. Rund 620.000 Betroffene fordern Forschung und Versorgung.
In Berlin wurde bereits am Wochenende mit einer Liegenddemo auf ME/CFS aufmerksam gemacht.
Quelle: ZDF
"Ich möchte leben, nicht einsam sterben." "Wir brauchen endlich Anerkennung, Forschung und Versorgung." Es sind Plakate mit solchen Aussagen, die Hunderte Menschen am Wochenende auf dem Washingtonplatz in Berlin in die Höhe halten - in Solidarität mit mindestens 620.000 ME/CFS-Betroffenen in Deutschland. ME/CFS ist die Abkürzung für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom.
Es ist beeindruckend, den Platz vor dem Berliner Hauptbahnhof so in Stille voller liegender Menschen zu sehen. Vor allem Angehörige und Freunde sind gekommen, denn viele, die an dieser neuroimmunologischen Erkrankung leiden, sind so schwer betroffen, dass sie nicht dabei sein können.
Kalea leidet nach Corona an ME/CFS, einer schweren Immunerkrankung, die ihr jede Kraft raubt. Katja und Andrea sind nach der COVID-Impfung erkrankt. Alle fühlen sich allein gelassen und vergessen.08.03.2025 | 10:50 min
Liegenddemos zum ME/CFS-Awareness-Day
In bundesweit 26 Städten, darunter Frankfurt am Main, Leipzig, Stuttgart oder Augsburg wird mit solchen Liegenddemos der heutige ME/CFS-Awareness-Day begangen.
Die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung. Betroffen sein können das Immun- und Nervensystem, der Kreislauf und der Energiestoffwechsel. Deshalb kommt es auch zu einer Vielzahl von Symptomen. Dazu gehören etwa Erschöpfung, Muskelschmerzen, Konzentrationsstörungen, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit. Manche ertragen auch keine Berührung.
Betroffene leiden oft auch an der sogenannten "Post-Exertionellen Malaise" (PEM) - einer massiven Verschlechterung der Symptome nach geistiger oder körperlicher Belastung. Je nach Schweregrad kann PEM schon nach einer Unterhaltung, nach Lesen oder einem Spaziergang auftreten. Bei sehr schweren Verläufen reicht schon das Anheben des Kopfes.
Auslöser der Erkrankung sind oft Viren, das Epstein-Barr-Virus etwa oder auch das Coronavirus. Es hat sich zudem gezeigt, dass auch die Corona-Impfung zu ME/CFS führen kann.
Gritt Buggenhagen und Evelyn Fay haben als Vorsitzende der Organisation "Liegenddemo" maßgeblich zum Erfolg der bundesweiten Aktion beigetragen. In zahlreichen Städten wurden zudem große Plakate aufgehängt, es wurde auf Social Media mobilisiert.
Ein 28-Jähriger, der nicht mehr selber essen kann
Der Sohn von Evelyn Fay, Paul, ist 28 Jahre alt und durch ME/CFS seit vier Jahren aus seinem Leben gerissen. Ans Bett gefesselt. Mit immer wiederkehrenden Schmerzen.
Seit Dezember letzten Jahres ist es so schlimm, dass er nicht mehr sitzen und auch nicht mehr selber essen kann.
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Evelyn Fay, Muter vom an ME/CFS-erkrankten Paul
Er sei zu schwach und hat Schmerzen beim Kauen, sagt Fay. "Zum Glück können wir ihn wieder berühren. Auch das ging lange nicht." Paul könne mittlerweile auch wieder etwas Licht sehen - was lange auch nicht möglich war.
Es seien "ganz dringend Forschungsmittel" nötig, um "die Grundlagen dieser Erkrankung" im Detail zu erforschen, so Prof. Bernhard Schieffer, Klinikdirektor der Kardiologie am Universitätsklinikum Marburg.
08.08.2023 | 5:31 min
ME/CFS: Konsequente Forschung gefordert
Viele ME/CFS-Erkrankte fühlen sich nach wie vor massiv im Stich gelassen. Heilende Medikamente gibt es für ME/CFS bis heute nicht, auch wenn diese Krankheit seit Jahrzehnten bekannt ist. Und die, die Symptome lindern könnten, müssen die Betroffenen meistens selbst zahlen.
"Viel schlimmer kann es eigentlich nicht werden", sagt Evelyn Fay, "Wir hoffen, dass es bald Medikamente gibt, die wirklich helfen." Wie alle bei der Liegenddemo in Berlin fordert sie auch konsequente Forschung.
Einige Menschen leiden seit ihrer Corona-Infektion oder -Impfung an ME/CFS - eine neuro-immunologische Erkrankung, die Betroffene ans Bett fesselt und licht- sowie geräuschempfindlich macht. 15.05.2023
Hilfe auch mit Diagnose nicht gewährleistet
Gritt Buggenhagen ist selbst an ME/CFS erkrankt, nach einer Virusinfektion vor vielen Jahren. Sie hat in der Vergangenheit oftmals von ihrem Bett aus per Videocall solche Liegenddemos verfolgt, die sie selbst unter großer Kraftanstrengung organisiert hatte.
An ME/CFS zu leiden, bedeutet bei ihr, wie bei vielen Erkrankten, dass kleinste Anstrengungen zur einer massiven Verschlechterung führen. Trotzdem nimmt sie das für ihr Herzensprojekt in Kauf:
Selbst wer eine Diagnose hat, hat noch lange keine Hilfe.
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Gritt Buggenhagen, ist an ME/CFS erkrankt
Das sei die traurige Wahrheit, sagt Gritt Buggenhagen. "Es gibt keine zugelassene Therapie, keine spezialisierten Strukturen. Wir fordern Pflegeleistungen sofort."
Seit Corona ist die Zahl der an ME/CFS erkrankten Patienten stark gestiegen. Häufige Symptome: Schmerzen und Erschöpfung. Die Betroffenen fühlen sich alleine gelassen, fordern mehr Unterstützung.09.03.2024 | 17:51 min
Gefühl, das Leben zu verpassen
Familie Stein aus Berlin ist nicht zur Liegenddemo gekommen. "Das ist für uns zu emotional", sagt Anna Stein. Die ganze Familie leidet sehr unter der ME/CFS-Erkankung von Tochter Lori. Die 13-Jährige verlässt seit zwei Jahren kaum noch ihr Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses, ist reizempfindlich, hat immer wieder heftige Schmerzen. Zur Schule kann sie seit zwei Jahren nicht gehen.
Hält Lori ihre Belastungsgrenze nicht ein, kommt es zu einem Crash mit unerträglichen Schmerzen.
Quelle: ZDF
"Es ist traurig zu sehen, was andere in meinem Alter machen oder was in der Schule passiert, und das selber nicht erleben zu können", sagt Lori.
Das Gefühl zu haben, mein Leben zu verpassen, das war vor allem am Anfang schlimm, mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.
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Lori Stein, an ME/CFS erkrankt
Hoffnung auf ein heilendes Medikament
Ihre Eltern versuchen strikt auf Loris Belastungsgrenzen zu achten, damit sie keinen Crash erleben muss. Diese Schmerzen wünsche sie niemanden, sagt Lori.
Die Hoffnung auf ein heilendes Medikament will sie nicht aufgeben. "Es wäre schon sehr krass, wenn ich mein gesamtes Leben so verbringen müsste. Es gibt noch viele Jahre, in denen was passieren kann." Man kann es ihr und allen ME/CFS-Erkrankten nur wünschen.
Quelle: dpa
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