Spree in Not: Haben Flüsse Rechte?

Wenn die Natur klagt:Spree in Not: Haben Flüsse Rechte?

von Svenja Kantelhardt
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Künstliche Ufer, eingespülte Pestizide und Abwässer - der Spree geht es nicht gut. Aktivisten fordern für sie eine eigene Rechtspersönlichkeit. Doch würde ihr das wirklich helfen?

Das Wort "Klimaschutzgesetz" geht am Ufer der Spree im Regierungsviertel unter
Umweltschüzter wollen im Namen der Spree klagen.
Quelle: dpa

Der Atrato in Kolumbien, der Whanganui in Neuseeland und der Ganges in Indien: Sie alle sind Flüsse, die in den letzten Jahren Rechtspersönlichkeit erlangt haben; und damit Teil einer globalen Bewegung wurden, die sich in unzähligen Initiativen weltweit für die Rechte der Natur einsetzt.
Auch in Deutschland fordern Aktivisten etwa für die Spree eine eigene Rechtspersönlichkeit. Bisher vergeblich. Was steckt hinter dem Konzept?
"planet e: Kleine Flüsse, großer Wert": Karl Schwebel und Torsten Schäfer betreiben Flussinventur in der Modau.
Etwa 15.000 kleine und mittlere Flüsse fließen durch Deutschland. Ihr Zustand ist oftmals erbärmlich. Dabei sind sie unverzichtbare Lebensadern.21.03.2021 | 28:36 min

Mythologie oder schlicht Handlungsdruck

Die Begründungen für Eigenrechte in der Natur sind so vielfältig wie die entsprechenden Initiativen. Ecuador verleiht in Artikel 71 seiner Verfassung "der Natur oder Pacha Mama" eigene Rechte.
"Pacha Mama" ist ein Begriff aus der indigenen Sprache Kichwa und bezeichnet einen Kosmos, der den Menschen und seine ganze Umwelt in einer gleichberechtigten Nähebeziehung umfasst.
Niedrigwasser der Elbe in Dresden
Vor allem im Osten Deutschlands herrscht zunehmender Wassermangel, und das Problem wird sich angesichts von Klimawandel und Dürre weiter verschärfen, warnen Experten. 22.08.2023 | 29:49 min
Viele indigene Völker gehen von einem Weltbild aus, in dem es keine strikte Trennung zwischen Mensch und Natur gibt. Nach der Ubuntu-Philosophie in Kolumbien bewohnt der Fluss Atrato die Körper der Einwohner und manifestiert sich durch sie.
Manchmal wird eine Initiative auch schlicht aus der Not heraus geboren: In Spanien erhofften sich Umweltschützer durch die Anerkennung der Rechtpersönlichkeit einer Lagune besseren Schutz für sie.

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Frühester deutscher Vorstoß: Klagende Seehunde

Das wollten auch Umweltschützer in Deutschland für die Nordsee. Sie klagten 1988 im Namen der Seehunde gegen mehrere Genehmigungen, die verschiedenen Unternehmen erlaubten, Abfälle in die Nordsee einzuleiten oder sogar auf hoher See zu verbrennen.
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Das Verwaltungsgericht Hamburg verwarf die Anträge kurzerhand - Tiere dürften in einem Verwaltungsprozess nicht klagen.

Tragender Grund dafür, dass die Rechtsordnung die Rechtsfähigkeit [...] nur dem Menschen zuordnet, liegt in der Erkenntnis, dass nur ihm die besondere Personenwürde eigen ist, die ihn von allen anderen Lebewesen der Natur abhebt.

Beschluss des VG Hamburg vom 22.09.1988 - AZ 7 VG 2499/88

Tierschutz sei höchstens eine sittliche Pflicht des Menschen, nicht aber als Recht des Tieres selbst zu verstehen. Das Tier bleibe vielmehr "unverändert Sache im Sinne des Bürgerlichen und des Verwaltungsrechts".

Umweltrecht heute "umfassend ausgestaltet" ...

Die Gesetzeslage hat sich in Deutschland seit den 1980ern verändert. Die Diskussion um die Rechte der Natur sei zwar noch philosophisch wichtig, findet Christian Calliess, Professor für Umweltrecht. Rechtlich dürfe man ihre Bedeutung allerdings nicht überschätzen.

Unser Umweltrecht ist inzwischen so umfassend zum Schutz der Natur ausgestaltet, dass wir die Rechte der Natur nicht mehr brauchen, um Zugang zu Gerichten zu bekommen.

Christian Calliess, Professor für Umweltrecht an der FU Berlin

Die "Hilfskonstruktion", die die Rechte der Natur einst waren, brauche es heute nicht mehr, meint Calliess.

… oder auch nicht?

Christine Ax vom Netzwerk "Rechte der Natur" reichen die Umweltschutzgesetze hierzulande hingegen nicht aus. Sie betont, dass sie zwar die Umweltzerstörung regelten, aber nichts an ihr änderten. "Von Verbänden wird dann geklagt, wenn die Natur schon zerstört ist", bemängelt Ax.

Solange nur der Mensch Rechte hat und die Natur gar keine und nur ein Objekt ist, das von ihm benutzt und ausgebeutet werden kann, ist die Natur immer im Nachteil.

Christine Ax, Vorstandsmitglied von Rechte der Natur e.V.

Von den Eigenrechten der Natur erhoffen sich die Umweltschützer, schon vor einer Zerstörung vor Gericht ziehen zu können. Und dort für das betroffene Ökosystem präventiv Schutz- oder etwa Säuberungsmaßnahmen einzufordern.
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Plastik boomt: Mehr als 400 Millionen Tonnen werden weltweit pro Jahr produziert. Und immer mehr Plastikmüll treibt in Flüssen Richtung Ozeane.24.11.2024 | 28:45 min
Ein entsprechendes "ökologisches Grundgesetz" hat das Netzwerk schon ausgearbeitet. Die darin angedachte Gleichstellung von Naturrechten mit der Menschenwürde steht der Rechtsprofessor Callies allerdings kritisch entgegen.

Hilfe für die Spree

Für den Fluss setzt sich mittlerweile auch jenseits der rechtlichen Debatte ein breites Bündnis ein: Ein Pilotprojekt versorgt ihn über Bojen mit Sauerstoff, in der Systemaufstellung "Ich bin die Spree" wird über die Beziehung der Menschen zu ihm diskutiert. Aber auch ein Gesetzesentwurf, der der Spree Rechtspersönlichkeit verleiht, wird derzeit vom Verein Green Legal Impact Germany ausgearbeitet.
Svenja Kantelhardt arbeitet in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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