Wehr- oder Zivildienst:Soziales Jahr für Rentner? Was Experten sagen
Junge Menschen sollen wieder verpflichtet werden Wehrdienst zu leisten und sich für die Gesellschaft zu engagieren. Und was ist mit den Alten?
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher fordert ein verpflichtendes soziales Jahr für Ruheständler. Sozialverbände reagieren empört.
23.08.2025 | 1:27 minFür ein Jahr sollten Rentnerinnen und Rentner in der Pflege, bei der Bundeswehr oder in einer Bildungsstätte arbeiten. Soweit der Vorschlag von Ökonom Marcel Fratzscher. Er fordert ein Umdenken der Babyboomer zugunsten der Jüngeren. Im ZDF führt er aus: "So, dass wir als Gesellschaft als Ganzes funktionieren können."
Soziales Jahr im Ruhestand: Vorschlag erntet viel Kritik
"Respektlos" und "dümmlich" finden diesen Vorschlag Vertreter von Gewerkschaften und Seniorenverbänden. Rentner hätten ihren Ruhestand nach jahrzehntelanger Arbeit mehr als verdient. Viele hätten in jungen Jahren bereits Wehrdienst oder Zivildienst geleistet und würden jetzt Enkelkinder betreuen oder Angehörige pflegen.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW hat vorgeschlagen, dass wohlhabendere Rentner eine Solidaritätsabgabe für ärmere Rentner leisten sollten - um die Rente insgesamt zu stabilisieren.
17.07.2025 | 2:35 minBundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) findet, Fratzschers Vorschlag "radikal" und "falsch". Gegenüber ZDFheute betont sie, dass die junge Generation "enorme Lasten" tragen müsste. Ältere dürften aber nicht nur als Belastung für Pflege- und Rentensystem gesehen werden.
Die Ministerin setzt auf Freiwilligkeit:
Nicht Zwang ist die Antwort, sondern mehr gesellschaftliches Miteinander und eine Republik, in der Seniorinnen und Senioren aktiv mitgestalten.
Familienministerin Karin Prien, CDU
Laut Freiwilligen Survey des Familienministeriums von 2019 engagiert sich bereits ein Drittel der Menschen ab 65-Jährigen ehrenamtlich – häufig organisiert von Vereinen.
Kinderbetreuung ohne familiäre Hilfe ist oft eine Herausforderung. Das Modell der „Leihgroßeltern“ kann hier helfen: Senioren kümmern sich ehrenamtlich um ein Enkelkind, das nicht ihres ist. Und beide Seiten profitieren.
18.06.2025 | 2:01 minSeniorenorganisation: Statt Verpflichtung, Freiwilligkeit stärken
In Heilbronn stemmt "Senioren für Andere" eine Hausaufgabenhilfe, einen Fahrrad-Reparaturtreff oder Patientenbegleitdienst. Rund 100 Menschen zwischen Mitte 50 und 93 Jahren engagieren sich hier freiwillig. Häufig profitieren davon Jüngere.
"Das Interesse [seitens der Senioren] könnte durchaus noch größer sein", sagt der Vorsitzende Wolfgang Arndt. Vor allem, wenn es darum gehe Verantwortung zu übernehmen, sei es schwierig Freiwillige zu finden.
Deswegen ein verpflichtendes soziales Jahr einzuführen, hält Arndt aber nicht für sinnvoll. Vor allem, weil damit vermutlich ein großer organisatorischer Aufwand einhergehe.
Schulen mit großem Betreuungsbedarf und Senioren, die sich auch nach der Rente weiter engagieren wollen – an einer Grundschule in Heilbronn kommen beide Seite auf ihre Kosten.
16.06.2025 | 2:35 minArndts Gegenvorschlag: Das Ehrenamt stärken – mit mehr Aufmerksamkeit und attraktiveren Rahmenbedingungen.
Aufwendungen für das Ehrenamt sollten als Werbungskosten absetzbar sein, beispielsweise Fahrtkosten.
Wolfgang Arndt, "Senioren für Andere" Heilbronn
Soziologe El-Mafaalani: Mehr Anreize für Engagement
Der Soziologe Aladin El-Mafaalani fordert zusätzlich Honorare oder Vergünstigungen. "Wer sich verlässlich engagiert, soll durchaus honoriert werden", sagte er im Interview mit ZDFheute.
Er argumentiert: In der Generation der Baby-Boomer, die als nächstes in Rente gehe, seien viele körperlich und kognitiv fit. Ihr Wissen und ihre Fürsorge sollten vor allem Kindern zu teil werden. Damit das gelinge, brauche es mehr Strukturen, die Haupt- und Ehrenamt verbinden würden.
Zusammen mit den Soziologen Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier machte El-Mafaalani kürzlich einen konkreten Umsetzungsvorschlag: Mit Renteneintritt könnten alle von der Rentenversicherung über die Möglichkeiten, sich vor Ort zu engagieren, informiert werden.
Landesseniorenrat appelliert an Verantwortungsgefühl
"Wir sind in der Pflicht etwas zu tun", sagt Eckard Hammer. Der 71-Jährige ist der Vorsitzende des Landesseniorenrats in Baden-Württemberg. Er ist der Meinung, seine Generation müsse auch nach Renteneintritt gesellschaftlich Verantwortung übernehmen.
Viele von uns sind Zeitmillionäre.
Eckard Hammer, Landesseniorenrat Baden-Württemberg
Wer keine Enkel betreue oder Angehörige pflege, sollte sich für Andere engagieren. In Frage käme auch eine Tätigkeit bei der Bundeswehr. "Es spricht doch nichts dagegen, wenn jemand die entsprechenden Kompetenzen, zum Beispiel im EDV-Bereich, mitbringt."
Rentnerinnen und Rentner zu einem Dienst zu verpflichten, hält er aber für kontraproduktiv: "Unser höchstes Gut nach jahrzehntelanger Arbeit ist die Freiheit." Die dürfe nicht beschnitten werden.
Luisa Houben berichtet für das ZDF aus Baden-Württemberg.
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