Politik-Experte Naeem:Syrien: Warum viele die Wahlen kritisch sehen
Nach Jahren brutaler Diktatur gibt es Wahlen in Syrien. Sie sollen dem In- und Ausland Stabilität beweisen - aber demokratisch sind sie nicht. Experte Naeem erklärt, warum.
Sehen Sie hier das Interview in voller Länge.
05.10.2025 | 14:15 minDas heutige Syrien ist ein Land im Umbruch - zwischen verfassungsrechtlichem Wandel, Sicherheitsängsten in der Bevölkerung und internationalen Erwartungen nach Reformen. Noch läuft alles zusammen beim amtierenden Machthaber Ahmed al-Scharaa. Dieser hat vor den Wahlen ein zentrales Wahlkomitee ernannt. Nur dessen Wahlmänner und -frauen können überhaupt wählen und gewählt werden.
Der größte Teil der Bevölkerung Syriens ist also nicht direkt beteiligt an der Wahl, kann weder die Stimme abgeben, noch sich selbst zur Wahl stellen. Präsident Al-Scharaa sieht Staatsrechtler Nassif Naeem aktuell allein dadurch legitimiert, dass er Ex-Machthaber Assad stürzen konnte.
Das Land sei eine offene Wunde. Die wirtschaftliche Lage sei desaströs - die politische Lage schwierig, so Korrespondentin Atai. Die Regierung bewege sich auf zerbrechlichem Grund.
05.10.2025 | 2:52 minMachtverschiebung durch das Übergangsparlament
Mit der Konstituierung des neuen Übergangsparlaments erhalte dieses im syrischen System weitreichende Machtbefugnisse, erklärt Nassif Naeem. Das bedeute, sobald dieses Parlament sich konstituiere, besitze allein das Übergangsparlament die Macht über den Gesetzgebungsprozess.
Der Präsident hat nicht mehr die Macht, wie in alten syrischen Traditionen, Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen. Die Gesetzgebung liegt künftig ausschließlich beim Parlament.
Nassif Naeem, Syrien-Experte
Diesen Schritt wertet Naeem als "verfassungsrechtlichen Fortschritt" - als Zeichen für institutionellen Wandel. Doch ob dieser Wandel tatsächlich zu mehr Demokratie führen werde, bleibe offen. Die Verfassung spreche weder von Volkssouveränität, noch von demokratischer Teilhabe im klassischen Sinne.
Erstmals seit Assads Sturz wird in Syrien ein Parlament gewählt. Trotz Hoffnungen auf Wandel im Land ist die Wahl umstritten – denn die Abgeordneten werden nicht direkt gewählt.
05.10.2025 | 2:36 minTiefe gesellschaftliche Ängste - besonders unter Minderheiten
Er könne, so Naeem - die Ängste der Menschen in Syrien sehr gut verstehen. In Gesprächen zeige sich: Die Bevölkerung - insbesondere Minderheiten, sorgen sich weniger um politische Repräsentation als um die Sicherheit.
Sie haben Ängste, dass die Regierung die Sicherheitslage im Land nicht unter Kontrolle hat.
Nassif Naeem, Syrien-Experte
Nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch das Assad-Regime gibt es 2011 erstmals Hoffnung auf Demokratie. Stattdessen: Bürgerkrieg und Chaos. Erst Ende 2024 fällt das Regime.
25.09.2025 | 1:45 minHinzu kämen massive wirtschaftliche Probleme, die für viele Menschen derzeit wichtiger seien als Wahlen oder eine parlamentarische Vertretung. In Sachen Sicherheit müsse der Kampf gegen den Islamismus erst auch innerhalb des Verwaltungsapparates geführt werden.
Die Regierung muss ihre eigenen Leute in Schach halten.
Ahmad al-Scharaa, besser bekannt unter seinem Kampfnamen "Abu Mohammad al-Dschulani": Bis vor Kurzem war er einer der meistgesuchten Männer der Welt – Kopfgeld: 10 Mio. US-Dollar.
17.01.2025 | 17:38 minInternationale Anerkennung und das Ringen um Sanktionserleichterungen
Die syrische Regierung hoffe, so Nassif Naeem, durch die Etablierung staatlicher Strukturen, insbesondere der drei klassischen Gewalten (Exekutive, Legislative, Judikative), der internationalen Gemeinschaft ein Zeichen von Stabilität senden zu können. Ziel sei es, die Aufhebung der seit Jahren bestehenden Sanktionen zu erreichen. Zwar seien einige Maßnahmen, etwa im Bankensektor oder im Energiesektor, gelockert beziehungsweise aufgehoben worden, doch die meisten Sanktionen blieben erstmal bestehen.
Nach Naeems Meinung ist ein Grund für die Wahl, eine Gewaltenteilung in Syrien aufzubauen und dann sagen zu können:
Schaut mal her, wir haben hier die drei Staatsgewalten, die stehen jetzt und deshalb, bitte, könnt ihr jetzt mal anfangen, richtig so an Syrien als ein Land zu denken und dann solltet ihr dann anfangen, richtig die Sanktionen komplett aufheben.
Das Interview führte ZDFheute live-Moderato Christian Hoch, zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakeurin Elisabeth Jändl.
Mit Material von dpa, AP
Es ist die erste Wahl in Syrien seit dem Machtwechsel. Wie sie abläuft und was sie für das Land und die Region bedeutet, analysiert ZDFheute live mit dem Nahost-Experten Naeem.
05.10.2025 | 29:24 minMehr Nachrichten zu Syrien
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