Genozid von Srebrenica: Überlebende kämpfen für Sichtbarkeit
Völkermord von Srebrenica:"22 meiner Verwandten wurden ermordet"
von Emina Mujagić
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Das Trauma des Genozid von Srebrenica prägt das Leben von Kadefa Rizvanović. Sie verlor ihren Ehemann. 30 Jahre danach kämpft sie weiter für Sichtbarkeit und gegen das Vergessen.
Das Grafikvideo blickt 30 Jahre zurück: Nachdem bosnisch-serbische Truppen die Stadt am 11.7.1995 eingenommen hatten, ermordeten sie etwa 8000 bosnische Muslime.11.07.2025 | 1:27 min
Ohne Nahrungsmittel, ohne Strom und Wasser - Kadefa lebt im Juli 1995 unter schweren Bedingungen in Srebrenica. Es herrscht seit über drei Jahren Krieg im Land. Sie bringt in dieser Zeit eine Tochter und einen Sohn zur Welt. Ununterbrochen seien sie unter Beschuss gewesen, erzählt Kadefa. Sie ist Überlebende des Völkermords von Srebrenica.
Wir hätten lieber weiter in diesem Elend gelebt, ohne Essen, gemeinsam - nur dass sie uns nicht unsere Liebsten ermordet hätten.
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Kadefa Rizvanović, Überlebende des Völkermords von Srebrenica
Im Bosnienkrieg kämpften auf der einen Seite bosnische Serben - unterstützt von paramilitärischen Gruppen und weiten Teilen der Jugoslawischen Armee (JVA). Die Gegenseite bestand zunächst sowohl aus muslimischen Bosniaken als auch aus bosnischen Kroaten. Die bewaffneten Auseinandersetzungen wurden von ethnischen Säuberungen und Kriegsverbrechen begleitet.
Als Reaktion auf die sich verschlechternde humanitäre Lage verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 16. April 1993 die Resolution 819, mit der Srebrenica und seine Umgebung zur "Sicherheitszone" erklärt wurden. Es folgt eine Entmilitarisierung der Enklave unter Aufsicht der UN-Schutztruppe. Es wurde eine Kommandozentrale in Potočari eingerichtet - etwa fünf Kilometer nördlich der Stadt Srebrenica.
Quelle: Servicestelle Friedensbildung Baden-Württemberg, bpb & Vereinte Nationen
Das Massaker von Srebrenica ist ein Weckruf für die internationale Gemeinschaft, die sich nach vier Jahren Krieg auf dem Balkan entschließt einzugreifen.23.07.2020 | 44:55 min
Frauen und Männer werden getrennt
Srebrenica ist zu diesem Zeitpunkt eine offizielle UN-Schutzzone, hier soll die Zivilbevölkerung geschützt werden. Doch die bosnisch-serbischen Einheiten unter der Führung von General Ratko Mladić rücken immer weiter vor. Sie beginnen, Frauen und Männer zu trennen. Tausende versuchen, über die umliegenden Wälder das bosniakisch kontrollierte Gebiet zu erreichen - so auch der Mann von Kadefa.
Mein Mann hat mich nur umarmt und gesagt: 'Pass bitte auf die Kinder auf.’ Und er ist in Richtung der Wälder gelaufen und ich nach Potočari.
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Kadefa Rizvanović, Überlebende des Völkermords von Srebrenica
Vor 30 Jahren nahmen bosnisch-serbische Truppen Srebrenica ein und ermordeten dort mehr als achttausend Muslime. Die Aufarbeitung dauert bis heute an.11.07.2025 | 1:30 min
Verfolgte suchten Schutz in UN-Basis Potočari
Kadefa sieht ihren Mann danach nie wieder. Sie selbst schafft es zur UN-Basis in Potočari. Ab 11. Juli drängen sich etwa 25.000 Menschen auf einem Fabrikgelände. Die meisten von ihnen Frauen, Kinder und Alte.
Es sei ein Albtraum gewesen, die Menschenmenge habe einen einfach mitgerissen und wenn jemand hingefallen ist, habe man gar keine Möglichkeit gehabt, demjenigen zu helfen, erzählt Kadefa weiter.
Viele muslimische Bosniaken versuchten damals vor den serbischen Truppen zur UN zu flüchten.
Quelle: AP
An die erste Nacht in der alten Fabrik könne sie sich noch sehr gut erinnern:
Wir hörten schreckliche Schreie. Um das zu übertönen, ließen sie (die bosnisch-serbischen Soldaten) Bohrmaschinen laut aufheulen. Man sagte uns später, die Männer wurden enthauptet.
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Kadefa Rizvanović, Überlebende des Völkermords von Srebrenica
Mladićs Truppen rücken auch nach Potočari vor. Sie ermordeten allein in den Tagen um den 11. Juli 1995 in Srebrenica systematisch mehr als 8.000 bosnische Muslime (Bosniaken). Um den Völkermord zu verschleiern, hoben die Täter einige Gräber später wieder aus und verteilten die menschlichen Überreste auf andere Gebiete. Das Umbetten der Leichen fand auch nach Ende des Krieges noch statt.
Das Leben nach Srebrenica für Überlebende
Kadefa schafft es, in die bosnisch-muslimische Stadt Tuzla zu gelangen. Für sie fängt die Zeit der Trauer an. Sie habe tagelang weinend am Balkon gesessen und auf neue Informationen gewartet über ihren Mann und ihre restlichen männlichen Familienmitglieder.
Ich habe immer gehofft, dass er wiederkommen wird. Unabhängig davon, wie viele Jahre vergangen sind.
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Kadefa Rizvanović, Überlebende des Genozids von Srebrenica
Als sie 2003 die Benachrichtigung bekommt, dass die sterblichen Überreste ihres Mannes gefunden wurden, bricht ihre Welt zusammen. Im gleichen Jahr werden ihr Mann und sein Bruder im Massengrab in Potočari begraben.
Den Opfern des Massakers wurde eine Gedenkstätte errichtet, wo die sterblichen Überreste der identifizierten Opfer von Srebrenica am beigesetzt worden sind.
Quelle: dpa
Kadefa sei psychisch am Ende gewesen, versucht aber trotzdem, für ihre zwei Kinder da zu sein. Sie habe diese so erzogen, dass sie niemanden hassen sollen, erzählt sie weiter.
Vor einigen Jahren erkrankt sie an Schilddrüsenkrebs - muss um ihr Leben kämpfen. Die Ärzte rieten ihr den Stress in ihrem Leben zu reduzieren. Denn Kadefa engagiert sich in einem lokalen Frauenverein, will für Aufklärung gegen das Vergessen sorgen. Deswegen käme Aufgeben gar nicht in Frage.
Wenn wir (die Mütter von Srebrenica) nicht aufgestanden wären, dann wären viele Dinge in Vergessenheit geraten. [...] Aber solange wir am Leben sind, werden wir nicht zulassen, dass man Srebrenica vergisst.
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Kadefa Rizvanović, Überlebende des Genozids von Srebrenica
Kadefa Rizvanović hat den Völkermord von Srebrenica überlebt. Es ist ihr wichtig davon zu berichten, welche Gräueltaten sie erleben musste.
Quelle: Privat
22 meiner Verwandten wurden ermordet.
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Kadefa Rizvanović, Überlebende des Genozids von Srebrenica
Insgesamt werden neben ihrem Mann und Schwager 20 weitere Familienmitglieder ermordet. Sie seien auf brutalste Art und Weise getötet worden, sagt Kadefa.
Sie werde auch weiterhin darüber sprechen und darauf aufmerksam machen. Das ist sie auch vor allem jenen schuldig, die auch 30 Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica vermisst werden.
In Bosnien und Herzegowina haben Tausende Menschen am 29. Jahrestag des Genozids von Srebrenica der Opfer gedacht. Es ist der erste offizielle internationale Gedenktag.
Quelle: dpa
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