Ukraine-Krieg: BKA untersucht Foltervorwürfe gegen Russland
Exklusiv
Ukraine-Krieg:BKA untersucht Foltervorwürfe gegen Russland
von Joachim Bartz und Dajana Kollig
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Russische Soldaten sollen unzählige Zivilisten verschleppt und gefoltert haben. Experten sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit - auch deutsche Behörden ermitteln.
Das Untersuchungsgefängnis Nr. 2 in Taganrog in Südrussland - hier wurden Gefangene mutmaßlich gefoltert.
Quelle: Yandex
UN-Sonderberichterstatterin Alice Jill Edwards erhebt schwere Vorwürfe gegen Russland: "Ich habe die russischen Behörden mehrfach aufgefordert, öffentliche Erklärungen abzugeben und ihr Militär sowie die anderen für sie tätigen Kräfte anzuweisen, sicherzustellen, dass jeder Einzelne weiß, dass Folter nach internationalem Recht absolut verboten ist und nicht Teil nachrichtendienstlicher oder sonstiger Operationen sein kann und darf. Ich habe keine Antwort erhalten und auch keine entsprechenden Anweisungen gesehen."
Edwards berichtet von zahlreichen dokumentierten Fällen - darunter Elektroschocks, simulierte Erstickungen und Vergewaltigungen. Moskau verwehre internationalen Beobachtern wie dem Roten Kreuz den Zugang zu den Haftanstalten.
Schon wenige Tage nach Kriegsausbruch in der Ukraine lieferten Drohnenvideos erste Belege für ein Kriegsverbrechen auf einer Schnellstraße vor Kiew. Reporter haben Überlebende und Angehörige der Opfer ausfindig gemacht und mutmaßliche Täter identifiziert.07.07.2022 | 44:39 min
Ermittlungen in der Ukraine - und in Deutschland
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von mehr als 183.000 mutmaßlichen Kriegsverbrechen seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Man müsse verhindern, "dass sich das Böse weiter ausbreitet", sagt er. Die Ukraine hat Tausende Ermittlungen eingeleitet, Hunderte mutmaßliche Täter wurden nach ZDF-Informationen bereits identifiziert.
Deutschland spielt offenbar eine Schlüsselrolle: Das Bundeskriminalamt (BKA) sammelt gemeinsam mit internationalen Partnern Beweise - darunter zu den Foltervorwürfen in russischen Gefängnissen.
Die Untersuchungshaftanstalt SIZO 2 im südrussischen Taganrog könnte dabei eine zentrale Rolle spielen. Das Gefängnis gilt als Symbol systematischer Gewalt. Seit Kriegsbeginn hält Russland dort nicht nur ukrainische Soldaten, sondern auch Zivilisten gefangen - ohne Anklage, oft monatelang. Ex-Insassen berichten von Schlägen, Isolationshaft, sexueller Gewalt, psychischer Gewalt. Laut Geheimdienst starben dort mehr als ein Dutzend Menschen - vermutlich an den Folgen der Folter.
Mit großer Brutalität geht die russische Armee in der Ukraine vor. Die Hinrichtung von fast 100 Kriegsgefangenen ist dokumentiert, auch in eigenen Reihen ist Gewalt verbreitet.
von Christian Mölling und András Rácz
Analyse
Kameras bei der Folter, Verstümmelung als Methode
Es soll dort sogar Folterkammern geben - Gefangene berichten davon, dass ihnen Tätowierungen ausgebrannt, Körperteile auf Öfen gedrückt und sie mit Elektroschocks gefoltert worden seien. Verhöre wurden laut Zeugen mit Kameras aufgezeichnet. Eine Frau berichtet, wie einer Mitinsassin mit Holzlatten auf die Finger geschlagen wurde, bis sich die Nägel lösten.
Der Fall der Journalistin Wiktorija Roschtschyna ist besonders erschütternd. Im August 2023 bei Recherchen festgenommen, wurde offenbar auch sie in Taganrog gefangen gehalten und mutmaßlich misshandelt - sie starb in Gefangenschaft. Ihr Name fehlte zwar auf einer Liste von Toten, die im Februar 2025 der Ukraine übergeben wurden, ihr Leichnam war allerdings darunter - wenn auch als männlich gekennzeichnet.
Erste Untersuchungen deuten nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft auf Folter hin. Es wurden Anzeichen von Elektroschocks gefunden sowie Blutergüsse, eine Nackenverletzung und eine gebrochene Rippe. Wie aus Ermittlerkreisen zu hören ist, fehlten dem Leichnam beide Augäpfel, Teile des Kehlkopfs und das Gehirn. Eine ausführliche forensische Begutachtung läuft - der unvollständige Zustand des Leichnams wird diese allerdings erschweren.
Diese Recherche ist Teil des "Viktoriia-Projekts", initiiert und koordiniert von Forbidden Stories, einem gemeinnützigen Recherchenetzwerk mit Sitz in Paris. Die Organisation setzt sich zum Ziel, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten fortzusetzen, die wegen ihrer Recherchen bedroht, inhaftiert oder getötet wurden. Nach dem Tod der ukrainischen Journalistin Wiktorija Roschtschyna im September 2024 startete Forbidden Stories gemeinsam mit dem ZDF, dem "Spiegel" sowie zehn weiteren internationalen Partnern eine mehrmonatige Recherche. Das Viktoriia-Projekt verfolgt die letzten Recherchen der Journalistin weiter - unter anderem zu jenen russischen Foltergefängnissen, in denen seit Russlands Angriff auf die Ukraine Tausende Zivilisten verschwunden sind.
Ein System der Repression
Das Gefängnis, in dem Roschtschyna mutmaßlich starb, ist Teil eines Netzwerks von Haftanstalten, Lagern, Kellern, umfunktionierten Hallen und Schulen. Die UN spricht von mindestens 34 dokumentierten Einrichtungen, ukrainische Behörden und Nichtregierungsorganisationen gar von 186. Russland betreibe eine regelrechte "Folter-Maschinerie", sagt UN-Sonderberichterstatterin Edwards. Der Kreml wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.
International wächst der Druck. Eine UN-Kommission unter dem norwegischen Richter Erik Møse bestätigte im März 2025 systematische Folter in russischer Gefangenschaft - von Stromschlägen über Erstickung bis hin zu sexualisierter Gewalt. Schon 2022 hatte der Generalbundesanwalt in Deutschland Ermittlungen eingeleitet, unter anderem zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen wie dem Massaker in Butscha. Seit Ende 2024 rücken russische Gefängnisse verstärkt in den Fokus.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges ist die Zivilbevölkerung Ziel russischer Angriffe. Ein Kriegsverbrechen? ZDFheute live spricht mit Ermittlern über die Spurensuche.14.04.2022 | 37:04 min
Experten des BKA haben Ermittlungen aufgenommen
In Meckenheim bei Bonn arbeitet die "Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen", die eng mit internationalen Partnern kooperiert. Ziel ist es, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die deutschen Beamten haben bislang mehr als zwei Dutzend Zeuginnen und Zeugen befragt - auch um zu prüfen, ob es sich um systematische Kriegsverbrechen handele. Das inoffizielle Motto der Einheit: "No safe haven for the perpetrators and no impunity." Kein sicherer Hafen für Täter, keine Straffreiheit.
Internationale Partner setzen große Hoffnungen auf die deutschen Behörden, darunter die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft. Der Grund liegt auf der Hand: Deutschland gehört zu den Ländern, die das sogenannte Weltrechtsprinzip konsequent anwenden - also Völkerrechtsverbrechen verfolgen, auch wenn weder Täter noch Opfer aus Deutschland stammen. 2022 etwa wurde etwa ein syrischer Geheimdienstoffizier zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Hoffnung vieler: Dass bald auch russische Kriegsverbrecher in der Bundesrepublik auf der Anklagebank sitzen werden.
Quelle: dpa
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