Wahl eines neuen Präsidenten:Rumänien: Zerreißprobe für die Demokratie
von Michael Sommer, Wien
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Rumänien wählt einen neuen Präsidenten - mal wieder. Die Wahl zeigt tiefe Risse in der Demokratie auf. Es drohen ein Rechtsruck und damit weitreichende Folgen für EU und Nato.
Am 4. Mai wählen die Rumänen im zweiten Anlauf einen neuen Präsidenten. Die Abstimmung ist nötig geworden, nachdem der erste Wahlgang im November 2024 vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt wurde. Die Hintergründe und die neuen Kräfteverhältnisse offenbaren eine tiefe Demokratie-Krise - mit potenziell weitreichenden Folgen für EU und Nato.
Die Abstimmung am 4. Mai ist nur der erste Wahlgang. Am 18. Mai folgt die Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten.
Ein Wahlsieg aus dem Nichts
Im Herbst 2024 hatte der rechtsextreme, russlandfreundliche Außenseiter Călin Georgescu überraschend die erste Runde der Wahl gewonnen. Die etablierten Parteien gingen leer aus. In einem beispiellosen Schritt erklärte das Verfassungsgericht das Ergebnis für ungültig - angeblich wegen ausländischer Einflussnahme, mutmaßlich durch russische Netzwerke. Beweise konnten aber nie erbracht werden.
Ohne Georgescus Namen zu nennen, befand das Verfassungsgericht außerdem, dass es im gesamten Wahlprozess Gesetzesverstöße gegeben habe. Der Wahlkampf und dessen Finanzierung seien intransparent verlaufen. Dazu ermittelt inzwischen auch die Staatsanwaltschaft.
Georgescu wurde von einer erneuten Kandidatur ausgeschlossen.
Für zusätzliche Unsicherheit sorgte das völlige Versagen sämtlicher Meinungsforschungsinstitute: Keines hatte den Aufstieg Georgescus auch nur annähernd vorhergesehen. Die Diskrepanz zwischen Prognosen und Realität erschütterte das Vertrauen in politische Vorhersagen und verstärkte den Eindruck, dass etablierte Institutionen - Medien, Politik, Forschung - den Kontakt zur Bevölkerung verloren haben.
Der Politologe Remus Ștefureac vom Thinktank Strategic betont:
Das Trauma, das unsere Demokratie durch die Annullierung der Präsidentschaftswahlen erlitten hat, ist nicht überwunden. Es hat das Vertrauen der Bürger in unsere Demokratie nachhaltig beschädigt.
Remus Ștefureac, Politologe
Ein neuer Favorit: George Simion
In das politische Vakuum stößt nun George Simion, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei AUR ("Allianz für die Vereinigung der Rumänen"). Der 38-Jährige liegt mit über 30 Prozent in den Umfragen vorne. Er ist EU-skeptisch, russlandfreundlich, fordert ein Ende der Militärhilfe für die Ukraine, setzt auf christlich-konservative Werte und lehnt LGBTQ+-Rechte strikt ab.
Sein radikaler Ton trifft den Nerv vieler, die sich von der politischen Elite und der EU entfremdet fühlen. Doch es ist keineswegs sicher, dass er in einer möglichen Stichwahl auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich vereinen kann - vielen Rumänen könnte sein Kurs zu extrem sein.
Zersplittertes pro-europäisches Lager
Während George Simion mobilisiert, zeigt sich das pro-europäische Lager zerstritten. Mehrere Kandidaten mit ähnlichen politischen Inhalten teilen sich potenzielle Gegenstimmen:
- Crin Antonescu, ehemaliger Interims-Präsident, setzt auf Erfahrung und republikanische Stabilität. Vor allem ältere Wähler trauen ihm zu, das Land zu einen.
- Nicușor Dan, parteiloser Bürgermeister von Bukarest, steht für Transparenz, Stadtentwicklung und Antikorruption - seine Basis ist das urbane, gebildete Milieu.
- Elena Lasconi, die im ersten Wahlgang überraschend auf Platz zwei landete, verdankt ihren Erfolg vor allem ihrer starken Präsenz in sozialen Medien. Doch ohne verlässliche Strukturen außerhalb ihrer Hochburgen wird es für sie schwer, diesen Erfolg zu wiederholen.
- Victor Ponta, Ex-Premierminister, tritt mit einem nationalpopulistischen Kurs à la Trump an. Er fordert "Rumänien zuerst", unterstützt Nato und EU, lehnt aber ukrainische Getreideexporte über Rumänien ab und setzt auf klassische Familienwerte.
Die Fragmentierung im Zentrum spielt faktisch dem rechtsextremen George Simion in die Hände - zumindest im ersten Wahlgang.
Regionale und geopolitische Brisanz
Für die Europäische Union und die Nato steht viel auf dem Spiel. Rumänien grenzt an die Ukraine und bei der Hafenstadt Constanta wird zur Zeit der größte europäische Nato-Stützpunkt gebaut. Ein Sieg Simions könnte die europäische Geschlossenheit schwächen - sowohl in Bezug auf die Unterstützung für die Ukraine als auch in der Verteidigung liberal-demokratischer Grundwerte.
Die Wahl des rumänischen Präsidenten ist weit mehr als ein nationales Votum. Sie ist eine Bewährungsprobe für Rumäniens Demokratie - und für die Fähigkeit Europas, seine Werte und seinen Zusammenhalt an der östlichen Grenze zu verteidigen.
Michael Sommer ist Korrespondent im ZDF-Auslandsstudio Wien.
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