Klimawandel: Meeresschildkröte in Kenia gehen die Männchen aus
Klimawandel bedroht Art:Den Meeresschildkröten gehen die Männchen aus
von Carolin Holscher
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Durch die Erderwärmung schlüpfen fast nur noch weibliche Meeresschildkröten in Kenia. Die Folge: Unbefruchtete Eier. Eine Gefahr für ihre Art - wie man versucht, sie zu schützen.
Grüne Meeresschildkröten: Auch ihnen macht der Klimawandel zu schaffen. (Symbolbild)
Quelle: dpa
Es ist sechs Uhr morgens, noch vor dem Frühstück: Touristin Adeila Oussalah läuft barfuß durch den feuchten Sand am Strand von Tiwi an der Südküste Kenias. Sie wird begleitet von Rangern der Turtle Police (zu Deutsch: Schildkrötenpolizei). Adeila ist nicht nur zum Ausspannen hier. Sie will helfen, tierisches Leben zu retten.
Denn unter dem Strand liegt die Zukunft einer bedrohten Tierart: die Eier der Grünen Meeresschildkröte. Ihr gehen die Männchen aus.
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Durch natürliche Feinde, Fischerei und auch Tourismus, etwa weil viel Licht nachts die Jungtiere irritiert, erreicht ohnehin nur etwa eine von 1.000 geschlüpften Schildkröten das Erwachsenenalter. Ein unsichtbares Problem, verborgen im Sand, verschärft die Lage: steigende Temperaturen.
Die Tiwi Turtle Police ist ein Projekt zum Schutz von Schildkröten in Tiwi, Kenia. Regelmäßig kontrollieren Ranger den Strand, sammeln Daten und dokumentieren den Zustand der Schildkrötennester. Das Projekt gehört zur Maisha Madrugada Stiftung, die auch Events wie Strandsäuberungen und Umweltbildungsprogramme für Kinder veranstaltet. Freiwillige wie Adeila Oussalah, die als Touristen vor Ort sind, können sich ebenfalls beteiligen, die Schildkröten vor Ort zu schützen.
Denn das Geschlecht der Meeresschildkröten wird durch die Bruttemperatur bestimmt: Liegt sie über 29 Grad Celsius, schlüpfen fast nur Weibchen. Was einst ein natürlicher Mechanismus war, gerät nun aus dem Gleichgewicht. Denn 2024 war das heißeste Jahr in Kenia seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
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Eier der Meeresschildkröten bleiben unbefruchtet
In einem der Nester zählen die Ranger, die mit Adeila unterwegs sind. Von 125 Eiern sind nur 80 geschlüpft.
Normal sind 85 Prozent oder mehr. Bei diesem Nest liegt die Erfolgsquote nur bei 68 Prozent.
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Elphas Misiani, Ranger
Einer der Gründe: Ein Teil der Eier war unbefruchtet, offenbar gibt es nicht mehr genug Männchen im Meer. Und das hat weitreichende Folgen, denn für die Befruchtung der Eier eines einzigen Weibchens braucht es oft fünf bis sechs Männchen. Fehlen sie, bleiben viele Eier leer.
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"Bei diesem Ei gibt es keinen Embryo, es ist also ein unfruchtbares Ei", sagt Sandra Keter. Sie ist Studentin an der Pwani Universität, ist bei der Feldarbeit der Ranger dabei und untersucht die Eier. Sie denkt: "Das könnte mit dem Klimawandel zusammenhängen und damit, dass es in der freien Natur nicht mehr genug Männchen gibt, die die Meeresschildkröten befruchten können."
Es gebe auch andere, natürliche Ursachen, aber der Klimawandel spiele eine bedeutende Rolle.
Klimawandel: Nester sind bedroht
Nicht nur Hitze bedroht die Nester. Heftige Regenfälle, die durch den Klimawandel zunehmen, spülen Sand und ganze Gelege weg. Übrig bleibt feuchter Boden. Die Nester, die nicht weggeschwemmt werden, leiden unter der hohen Feuchtigkeit. Denn diese ist ein idealer Nährboden für den Schildkröten-Eier-Fusarium, einen Pilz, der Schildkröteneier befällt und weitere Embryonen absterben lässt.
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Mikroplastik verhindert zusätzlich Wärmeaustausch
Adeila Oussalah ist heute außerdem so früh aufgestanden, um Plastikmüll am Strand zu sammeln. Ein stiller Killer für die Meeresschildkröten, wenn er zu Mikroplastik zerfällt. Die feinen Plastikpartikel verdichten den Sand und verhindern den Wärmeaustausch.
"Mikroplastik, das in den Boden gelangt, erhöht die Temperatur oder hält die Wärme im Sand, was sich auf die Eier und das Geschlechterverhältnis auswirkt", erklärt Joey Ngunu, der im Küstenort Watamu Daten zu den Nesttemperaturen sammelt.
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Hoffnung durch Schatten?
Ein Lösungsansatz in Tiwi: Die Ranger bauen über die Nester Holzkisten, die Schatten spenden und so die Temperatur senken sollen, damit nicht nur Weibchen schlüpfen. Denn: Bleibt es so warm oder wird es sogar noch wärmer, schlüpfen auch künftig nur noch Weibchen, fehlen also weiter die Männchen, die es zum Befruchten der Eier braucht.
Ob die Maßnahmen also langfristig wirken, wird sich erst in Jahrzehnten zeigen, wenn die frisch geschlüpften Schildkröten zurückkehren, um selbst Eier zu legen.
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