30 Jahre nach Christo:Lichtinstallation "verhüllt" den Reichstag
von Stephanie Gargosch
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Vor 30 Jahren verhüllten Christo und Jeanne-Claude das Reichstagsgebäude in Berlin. Eine Lichtinstallation lässt diesen Moment wieder aufleben.
Als sein Onkel und seine Tante den Reichstag verhüllen, ist Vladimir Yavachev 22 Jahre alt. Heute verwaltet er das Erbe von Christo und Jeanne-Claude.
Eine Lichtinstallation erinnert nun abends bis zum 20. Juni an die Kunstaktion des Ehepaares vor 30 Jahren in Berlin. Yavachev ist vor Ort: "Wir wollen keine eigene Kunst schaffen, sondern nur zeigen, wie der Reichstag damals ausgesehen hat", erklärt der Direktor der Christo Foundation.
Damit auch jüngere Generationen dies erleben können.
Vladimir Yavachev, Neffe von Christo und Jeanne-Claude
24 Projektoren legen der Westseite des Reichstages für zwölf Nächte ein Gewand aus Licht an, das an den verhüllten Reichstag erinnert.
Original-Verhüllung war 110.000 Quadratmeter groß
Anfang Juni 1995 geht es damals los, rücken in Berlin die Laster mit Gerüsten an. Webereien in ganz Deutschland weben den Polyprophylen-Stoff, der mit Aluminium beschichtet worden war und sich um das Reichstagsgebäude legen soll - ein silbern schimmerndes Kleid aus 110.000 Quadratmetern.
Kostenpunkt der Aktion: Etwa 15 Millionen Dollar. Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude finanziert dies allein durch den Verkauf ihrer Kunst. "Dies", so sagt Jeanne-Claude damals, "sichert uns die Freiheit, das Projekt so umzusetzen, wie wir es wollen".
Heftige Debatte im Bonner Bundestag über Verhüllung
Vorausgegangen war der Aktion eine heftige Debatte im Deutschen Bundestag, damals noch in Bonn. Am 25. Februar 1994 sitzt der Künstler Christo gespannt auf der Besuchertribüne. Fast dreiundzwanzig Jahre hat der Bulgare für die Idee des verhüllten Reichstages geworben. Nun ist es so weit, die Parlamentarier werden darüber abstimmen, ob der Traum des Künstlerehepaares wahr wird.
Der Historiker Michael Cullen, der damals mit Christo auf der Besuchertribüne wartet, erinnert sich: "Es war sehr spannend. Christo war nervös, aber auch gelassen."
Er sagte: "Was kann uns schon passieren?" Eigentlich waren wir sicher, dass wir eine Mehrheit bekommen.
Michael Cullen, Historiker
Cullen kennt den Objektkünstler zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten. Er ist es, der 1971 dem damals schon berühmten Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude eine Postkarte schickt mit dem Satz: Den könnte man doch auch einmal verhüllen.
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Die Idee war geboren, aber erst die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth unterstützt ab 1991, ein Jahr nach der Wiedervereinigung, das Projekt. Andere in ihrer Fraktion, der CDU/CSU, sind strikte Gegner, etwa der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der damalige Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble.
Umbauarbeiten beginnen nach der Verhüllung
Am Ende der emotionalen und hitzigen Aussprache steht eine knappe Mehrheit für die Kunst. 295 Abgeordnete stimmen für, 226 gegen das Vorhaben, zehn Abgeordnete enthalten sich.
Nach der Verhüllung wird der Architekt Sir Norman Foster mit Umbauarbeiten beginnen. Vier Jahre später, am 19. April 1999, bezieht der Deutsche Bundestag den neuen Parlamentssitz.
Schon bald verstummen die Skeptiker der Kunstaktion. Denn die Verhüllung des Reichstages schenkt der schweren Geschichte des Gebäudes Leichtigkeit.
200 Tonnen Stahl werden für die Unterkonstruktion verschweißt, die sich schützend um die filigrane Struktur des Reichstages legt. 90 Kletterer verhüllen das Gebäude, alle kommen aus der ehemaligen DDR. Im Westen gibt es damals keine Industriekletterer. Holger Nawrocki ist einer von ihnen: "Es war schon eine Ehre, dabei gewesen zu sein."
Erstens waren es Christo und Jeanne-Claude und zweitens ja ein Kunstprojekt für ganz Berlin und das wiedervereinigte Deutschland und es war toll, dass wir Ostler in Gesamtdeutschland gleich an so einer tollen Kunstaktion teilnehmen durften.
Holger Nawrocki, früherer Industriekletterer
Kunstaktion lockt Millionen Besucher an
Millionen Menschen kommen im Sommer 1995 nach Berlin, feiern Christo und Jeanne-Claude. "Man wird nie mehr den Reichstag so sehen, wie man den gewöhnlicherweise gesehen hat", schwärmt 1995 eine Besucherin im ZDF.
Es hat sich so was Starkes verändert und man ist so mit Emotionen voll.
Besucherin
Bilder, welche die Botschaft eines offenen, fröhlichen Deutschlands in die Welt senden. "Im Ausland sagen wir manchmal, die Deutschen, die sind so humorlos", erklärt damals Clive Freemann, Reporter bei der "Sunday Express". "Man muss das ein bisschen, unsere Meinung, ein bisschen ändern jetzt. Die Deutschen sind mehr entspannt und locker."
Nur 14 Tage verhüllt
Am Ende bleibt der Reichstag nur 14 Tage verhüllt. Doch gerade die Vergänglichkeit des Kunstwerkes macht es unvergesslich. Christo selbst schwärmt in einem seiner letzten Interviews im Jahr 2020 von den Tagen in Berlin: "Wir waren damals sehr glücklich und aufgeregt. Welches Parlament der Welt würde so etwas schon zustimmen, es war toll. Das Projekt war dann viel größer als wir es uns vorgestellt haben."
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