Kommunalwahl in NRW:Verliert die SPD die Arbeiterschaft?
Im Ruhrgebiet verliert die SPD an Bindung. Zugleich gewinnt die AfD hinzu. Politologe Stefan Marschall ordnet Ursachen, betroffene Milieus und mögliche Folgen für den Bund ein.
Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Universität Düsseldorf beobachtet eine Wählerwanderung von der SPD hin zur AfD.
05.09.2025 | 0:25 minZDFheute: Im Ruhrgebiet verzeichnet die SPD in Umfragen Verluste, die AfD Zuwächse. Ist das Revier tatsächlich Schauplatz eines Duells der SPD gegen die AfD?
Stefan Marschall: Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass es der AfD gelingt, in Gebieten, in denen die SPD früher erfolgreich war, heute Erfolge einzufahren. Das geschieht genau bei der Zielgruppe, die die SPD eigentlich anspricht: bei Erwerbstätigen, aber insgesamt auch bei Menschen aus sozial benachteiligten und bildungsfernen Milieus.
Dort gibt es tatsächlich eine Wählerwanderung von der SPD zur AfD.
Stefan Marschall
Stefan Marschall ist Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er leitet seit 2010 den Lehrstuhl Politikwissenschaft II mit dem Schwerpunkt "Politisches System Deutschlands". Zuvor war er unter anderem Prorektor für Internationales und Wissenschaftskommunikation.
Im aktuellen ZDF-Politbarometer beurteilt eine Mehrheit die Arbeit der Bundesregierung als eher schlecht. Weiteres zu den Zahlen mit Stefan Leifert.
05.09.2025 | 1:44 minZDFheute: Warum hat die SPD vor Ort den Kontakt verloren?
Marschall: Insgesamt spiegelt sich im Erfolg der AfD eine Unzufriedenheit mit der Politik - auch der SPD - wider. Viele Menschen fühlen sich abgehängt und nicht gesehen.
Sie erleben, dass Probleme vor Ort nicht gelöst werden. Besonders stark ist die AfD dort, wo es soziale Brennpunkte gibt und Armut vorherrscht - teilweise verstärkt durch Armutsmigration. Das führt zu einer eskalierenden Situation und zu einem Abwenden von demokratischen Parteien.
Mehr zum Thema sehen Sie am Sonntag um 19:10 Uhr bei "Berlin direkt".
ZDFheute: Füllt die AfD dieses Vakuum? Welche Botschaften tragen in diesen Regionen und warum greifen klassische SPD-Angebote dort nicht mehr?
Marschall: Die AfD profitiert zum einen davon, Stimmung gegen diejenigen zu machen, die regieren und die allgemeine Unzufriedenheit zu kanalisieren. Zum anderen profitiert sie vom Thema Migration, das viele Menschen beschäftigt und mit dem die AfD im Ruhrgebiet, aber auch darüber hinaus, sehr gut mobilisieren kann.
Kommunalwahl in Gelsenkirchen: Viel Migration, wenig Arbeit. Ein Heimspiel für die AfD. Sozialdemokraten kämpfen mit dem Rücken zur Wand.
03.09.2025 | 2:10 minZDFheute: Gibt es denn für die Bundes-SPD einen glaubwürdigen Weg zurück zur Arbeiterpartei?
Marschall: Die früheren Hochburgen und klaren Milieus gibt es in dieser Form nicht mehr. Milieus lösen sich auf. Wir haben mehr freischwebende Wählerinnen und Wähler, die sich von Wahl zu Wahl neu entscheiden. Klassische Milieuparteien funktionieren so nicht mehr.
Parteien müssen bei jeder Wahl neu überzeugen - und wenn Probleme nicht gelöst erscheinen, fällt das auf sie zurück.
Stafen Marschall
Steht die SPD noch für das Thema soziale Gerechtigkeit? Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Uni Düsseldorf sagt, es sei schwer geworden für die SPD, ein Profil zu entwickeln.
05.09.2025 | 0:46 minZDFheute: Stichwort "SPD pur": Wofür steht die SPD im Jahr 2025 eigentlich?
Marschall:
Es ist für die SPD schwer geworden, ein klares Profil zu entwickeln.
Stefan Marschall
Sie versucht, sich als Arbeiterpartei darzustellen. Sie erreicht Arbeiterinnen und Arbeiter aber zunehmend nicht mehr. Gleichzeitig steht sie in Konkurrenz - nicht nur mit der AfD, etwa im Ruhrgebiet, sondern auch mit der Partei Die Linke beim Thema der sozialen Gerechtigkeit.
Diesen Markenkern zu besetzen ist schwierig. Ebenso schwierig ist es, einen neuen zu finden. Parteien haben eine gewisse DNA. Eine als Arbeiterpartei gegründete SPD wird sich nicht komplett neu erfinden können. Darin liegen die Grenzen ihrer Reaktionsmöglichkeiten.
Das Interview führten Britta Spiekermann und Jordan Grawenhoff aus dem ZDF-Hauptstadtstudio.
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