Uiguren im Ausland im Visier von Chinas Cyber-Agenten

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Westliche Geheimdienste warnen:Uiguren im Visier von Chinas Cyber-Agenten

von Maria Christoph, Sophia Stahl und Niklas Pfeiffer
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Morddrohungen, Cyberattacken und Nötigung. In Deutschland lebende Demokratieaktivisten werden vom chinesischen Staat verfolgt und fühlen sich hierzulande schlecht geschützt.

Uighur Software
Der lange Arm des chinesischen Überwachungsstaats: Uiguren in der Diaspora berichten von Morddrohungen und Online-Attacken.
Quelle: ICIJ

"Ramadan Mubarak!" - "Einen gesegneten Ramadan": Was mit dem Gruß zum islamischen Fastenmonat beginnt, ist keine normale Nachricht, sondern ein Hackerangriff. Im Frühjahr 2025 erhielten Mitglieder des Weltkongresses der Uiguren (WUC) in München eine E-Mail. Wer auf den Link im Text klickte, ließ unbemerkt einen Trojaner auf sein Gerät, der Sicherheitseinstellungen aushebelt - und damit lokale Dateien, IP-Adressen und Identifikationsnummern an die Angreifer übermitteln konnte.
Das "Citizen Lab", eine renommierte Forschungsgruppe an der Universität Toronto, bestätigt: Der gesamte Angriff, einschließlich aller beobachteten Methoden und Taktiken, stimmt mit bekannten Attacken staatlicher chinesischer Hackergruppen überein.
Kompromittierte Mail an den Weltkongress der Uiguren
Mail an den Weltkongress der Uiguren, die sich als Hackerangriff erweist.
Quelle: Weltkongress der Uiguren

Warnung von Google und Geheimdiensten

Der Angriff war kein Einzelfall. Allein in den vergangenen vier Jahren erhielten WUC-Mitglieder fünf Sicherheitswarnungen von Google: Ein "staatlich unterstützter Akteur" versuche, Zugriff auf ihre Konten zu erhalten - zuletzt am 1. April 2025.
Auch westliche Geheimdienste schlagen Alarm. Anfang April warnen deutsche, US-amerikanische, britische, kanadische und australische Behörden vor gezielten Cyberangriffen aus China. Ziel sei laut Analyse: die digitale Überwachung chinesischer Minderheiten im Ausland - insbesondere Uiguren, Tibeter, Menschen aus Hongkong und Taiwan.

Drohungen, Verhaftungen, digitale Repression

Im Rahmen des internationalen Rechercheprojekts "China Targets", an dem auch das ZDF beteiligt ist, haben Reporter über 100 Fälle aus mehr als 20 Ländern dokumentiert, in denen China gezielt Uiguren, Tibeter, Menschen aus Hongkong und Taiwan, Kritikerinnen und Aktivisten im Ausland mit Morddrohungen, Nötigung und Cyberattacken angegriffen hat.
Allein in Deutschland haben ZDF-Reporter mehr als ein Dutzend dieser Fälle recherchiert. Die Betroffenen berichten von Morddrohungen und Online-Attacken - und davon, dass ihre Familien in China unter Druck gesetzt wurden.

"China Targets" ist ein internationales Projekt von Journalisten aus Asien, Europa und Nordamerika: Das ZDF hat - unter der Leitung des International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) - gemeinsam mit Reportern von "Spiegel", "Washington Post", "Guardian" und weiteren Medien, Fälle sogenannter "transnationaler Repression" erstmals in umfassenden Ausmaß untersucht.

Die Reporter sind den Bedrohungen gegenüber Uiguren sowie Menschen aus Tibet, Hongkong und Taiwan nachgegangen, die mutmaßlich aus China koordiniert werden.

Betroffene fühlen sich nicht ausreichend geschützt

Westliche Geheimdienste gehen laut interner Unterlagen davon aus, dass der chinesische Staat in der Lage ist, "jeden überall auf der Welt rechtswidrig verhaften zu lassen". Das EU-Parlament fordert die EU-Staaten auf, jene Personen zu schützen, die durch die Volksrepublik "schikaniert und verfolgt werden". Dieser Schutz aber bleibe oft lückenhaft, klagen Betroffene.
Aus Regierungskreisen heißt es, "die besorgniserregende Menschenrechtslage" werde von der Bundesregierung "regelmäßig und auf allen Ebenen" angesprochen. Außerdem protestiere die Bundesregierung "in schärfster Weise" gegen "Versuche der illegitimen Einflussnahme auf deutschem Staatsgebiet". Alle zur Verfügung stehenden nachrichtendienstlichen Mittel würden zur "Aufklärung und Abwehr von Repressionsaktivitäten fremdstaatlicher Akteure gegen in Deutschland lebende Dissidenten" angewandt.

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Trotz der wachsenden Bedrohung erfassen deutsche Behörden die Fälle nicht systematisch. Das Bundeskriminalamt (BKA) führt keine gesonderte Statistik zur Verfolgung chinesischer Dissidenten.
Der Verfassungsschutz bleibt zurückhaltend - teilt jedoch auf ZDF-Anfrage mit: "Alle Ausprägungen der Transnationalen Repression (TNR), von (digitaler) Einschüchterung bis hin zu Akten des Staatsterrorismus, verletzen grundlegende Menschenrechte und stellen einen Eingriff in die Souveränität und Sicherheit Deutschlands dar."
Die chinesische Botschaft reagiert auf Anfrage des ZDF bis Redaktionsschluss nicht.

Die Kritiker verstummen - aus Angst

Gleichzeitig pflegt die Bundesregierung ihre Beziehungen zu Peking: China ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Sogar auf militärischer Ebene arbeiten die Staaten zusammen.
Laut als Verschlusssache eingestuften Bundestagsunterlagen, die dem ZDF vorliegen, fanden im Zeitraum 2014 bis 2024 insgesamt 122 Delegationsbesuche zwischen dem Verteidigungsministerium Deutschlands und chinesischen Streitkräften statt. 80 Angehörige der Streitkräfte wurden in Deutschland ausgebildet.
Aus Regierungskreisen heißt es, die Bundesregierung unterhalte mit China lediglich "Dialogformate", "eine militärische Wissens- oder Fähigkeitsvermittlung" werde dabei strikt vermieden. "Seit 2023 werden keine Angehörigen der chinesischen Streitkräfte aus- oder fortgebildet."
In Deutschland verstummen derweil einzelne Stimmen der Menschenrechtsaktivisten - aus Angst vor dem langen Arm Chinas.
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