SED-Opfer erhalten Entschädigungen - Betroffene atmen auf
Entschädigungen für SED-Opfer :DDR-Diktatur: "Torgau hat man lebenslänglich"
von Luisa Holzkamp
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Zum 1. Juli treten neue Entschädigungsleistungen für SED-Opfer in Kraft. Warum diese Reform überfällig war - und was das für Betroffene bedeutet.
Politisch Verfolgte haben in der DDR unter dem SED-Regime großes Unrecht erfahren. Ab heute haben mehr Menschen Anspruch auf eine Opferrente, die außerdem angehoben wurde.01.07.2025 | 1:31 min
Es ist so dunkel, dass man die eigene Hand vor Augen nicht sehen kann. Die Luft ist feucht und stickig, die Decken sind niedrig, das Gemäuer kalt. Man riecht, dass es hier keine Fenster gibt. Schon wenige Sekunden in diesem undurchdringlichen Schwarz genügen, um die Angst und Panik zu spüren, die in diesen Kellerräumen schon so viele empfunden haben.
Eine von ihnen ist Corinna Thalheim. Heute sitzt sie nur wenige Meter entfernt - in der Gedenkstätte des Jugendwerkhofs Torgau, direkt neben dem Haus, in dessen Keller sie einst eingesperrt war.
Als Jugendliche festgehalten und missbraucht
Sie gehört zu den Tausenden Jugendlichen, die zu Zeiten der DDR im Jugendwerkhof Torgau festgehalten und missbraucht wurden. Eingewiesen wurden sogenannte schwererziehbare Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren - meist, weil sie sich nicht regelkonform verhielten. Ziel war ihre sozialistische Umerziehung - durch Disziplin und Arbeit.
Marie-Luise Tröbs wurde als Zehnjährige mit ihrer Familie in der DDR zwangsausgesiedelt. Künftig sollen Betroffene wie sie besser unterstützt werden.30.01.2025 | 2:03 min
Thalheim vermutet, dass ihre Verfolgung begann, weil sie den Kontakt zu ihrer in den Westen freigekauften Familie nicht abbrechen wollte. Insgesamt verbrachte sie 16 Monate im Heim, davon knapp vier im Jugendwerkhof Torgau - bekannt als die Endstation der Heimerziehung. Fünf Meter hohe Mauern, Stacheldraht, eingemauerte Glasscheiben.
Schon bei der Ankunft wurde den Jugendlichen deutlich gemacht, was sie hier erwarten würde. Jeder musste zunächst für mehrere Tage in eine Arrestzelle. Bei Corinna Thalheim waren es zwölf.
Man ist auf einmal isoliert, komplett allein und das zum ersten Mal. Da überlegt man schon, wie man hier wieder rauskommt.
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Corinna Thalheim, SED-Opfer
"Mit den Füßen zuerst? Sieht man die Sonne jemals wieder? Was machen die hier mit mir?", so Thalheim.
Strafen für jedes kleinste Vergehen
Der Alltag in Torgau sei reiner Drill gewesen - rund um die Uhr, erzählt Thalheim. Für jedes kleinste Vergehen konnte es Strafen geben: Nicht aufessen, etwas verschütten, mit jemandem reden - all das reichte für harte Maßnahmen.
Am schlimmsten aber waren die Dunkelzellen im Keller, darunter der sogenannte "Fuchsbau". Eine Zelle, nur 1,20 mal 1,20 Meter groß. Stehen konnte man dort nicht, höchstens hocken.
Die SED-Opferbeauftragte warnt im jährlichen Bericht über Verfolgte und Inhaftierte der DDR-Diktatur auf die Gefahr hin, dass das Leid der Betroffenen in Vergessenheit gerate.17.06.2025 | 1:31 min
"Torgau hat man lebenslänglich"
Diese Erfahrungen begleiten Corinna Thalheim bis heute. Alltagssituationen könnten sie plötzlich überrollen, erzählt sie. Sie meidet Kellerräume, kann nicht ohne das Flimmern des Fernsehers einschlafen, erträgt keine geschlossenen Türen oder absolute Dunkelheit.
Torgau begleitet einen auch, wenn man entlassen wurde. Torgau hat man lebenslänglich.
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Corinna Thalheim, SED-Opfer
Umso wichtiger sei, dass nun endlich politisch etwas bewegt wurde. Am 30. Januar 2025 hat der Bundestag ein neues Gesetz zur Verbesserung der Situation von SED-Opfern beschlossen.
Erhöhung der SED-Opferrente
Die Änderungen, die am 1. Juli in Kraft treten, umfassen unter anderem eine Erhöhung der SED-Opferrente: von 330 auf 400 Euro im Monat. Ab 2026 soll sie zudem jährlich angepasst werden. Und das nun auch unabhängig vom Einkommen - die Bedürftigkeitsprüfung entfällt künftig.
Zu den neuen Leistungen gehören außerdem Einmalzahlungen von 7.500 Euro für Opfer von Zwangsaussiedlungen, die in der DDR stattfanden, sowie ein Härtefonds für soziale Notfälle. Auch eine leichtere Rehabilitierung und Anerkennung von Folgeschäden soll nun möglich sein.
Bei einer Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof Seestraße ist in Berlin an den 17. Juni 1953 erinnert worden. Mehr als eine Million DDR-Bürger hatten vor 72 Jahren gegen die SED-Diktatur protestiert.17.06.2025 | 0:28 min
Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, wertet die Gesetzesänderung als wichtigen Fortschritt. Besonders angesichts der schwierigen politischen Lage zu Jahresbeginn habe der Bundestag ein starkes Signal gesetzt.
Dass Abgeordnete über vier Fraktionen hinweg, Ost- und Westdeutsche, diese Beschlüsse gefasst haben, das ist für mich Deutsche Einheit.
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Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur
Auch für Corinna Thalheim haben die neuen Regelungen große Bedeutung. Zwar wünscht sie sich weiterhin mehr gesellschaftliche Anerkennung und umfassendere Aufklärung - doch als sie im Bundestag miterlebte, wie das Gesetz verabschiedet wurde, überwog das Glücksgefühl. "Ich habe mich wahnsinnig gefreut."
Es ist schon eine Erleichterung, dass es jetzt mehr Opferrente gibt. Und das war das größte Glücksgefühl für mich: Jetzt kriegen es alle.