Mobbing: Was Kinder und Lehrer berichten und was Experten raten

Wie Lehrkräfte reagieren können:Mobbing an Schulen: Ein Betroffener berichtet

Jenifer Girke
von Jenifer Girke
|

1,4 Millionen Schüler sind regelmäßig in Mobbing verwickelt. Fabian war Betroffener. Mobbing verhindern, bevor es entsteht - dafür fehlt es an Wissen und Einsicht, so ein Experte.

Ein Schüler sitzt an einem Tisch im Klassenzimmer einer Schule

Beleidigt, getreten, ignoriert – Mobbing zerstört Leben schon in der Grundschule. Zwei Familien kämpfen um Hilfe, doch das System lässt sie lange allein.

14.09.2025 | 12:57 min

Fabian wurde als Grundschüler jahrelang gemobbt - von der zweiten bis zur vierten Klasse: "Die meiste Zeit habe ich es in mich reingefressen, mit niemandem drüber geredet, aber irgendwann ging es einfach nicht mehr", erzählt der heute 17-Jährige.

Seine Eltern ahnen lange nicht, was er durchmacht. Fabians Kindheit scheint wie aus dem Bilderbuch - er wohnt mit seiner jüngeren Schwester und seinen Eltern in einer mittelgroßen schwäbischen Stadt. Reihenhaus, Garten mit Terrasse, ruhige Nachbarschaft. Sein Hobby: Violine spielen, seit er drei Jahre alt ist.

Sein Vater erinnert sich: "Dann kommt Fabian mit seiner Oma die Treppe hoch und bricht komplett zusammen."

Gefährliche Gruppendynamik bei Mobbing

Er sei von Klassenkameraden grundlos fertig gemacht worden, z. B. durch Beleidigen, die Treppe runter schubsen, Ausschließen - immer und immer wieder: "Es war auch eine Gruppendynamik, die dann entstanden ist", so Fabian.

Keinen Beistand zu erfahren, ist typisch, sagt Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungs- und klinische Psychologie: "Es gibt nicht nur den oder die Täter oder den oder die Opfer, sondern es gibt auch andere soziale Rollen beim Mobbing." Und zwar:

Solche, die dabeistehen, applaudieren, die signalisieren: 'Das, was du da machst, ist okay. Mach weiter so!'

Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungs- und klinische Psychologie

Eric Mayer steht vor einer Grafik, auf der eine Gruppe von Menschen abgebildet ist, die über eine Einzelperson lachen und mit dem Finger auf sie zeigen, während diese sich meditierend dagegen abschottet.

Gruppendynamik? Kennen wir alle! Eric Mayer spricht mit Mobbing-Opfer Norman, der unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, über Anpassung und Selbstwert.

02.09.2024 | 27:00 min

HBSC-Studie: 1,4 Millionen Schüler mobben oder werden gemobbt

Mobbing zu definieren ist schwierig - ob sich jemand beleidigt oder angegriffen fühlt, ist individuell sehr verschieden. Daher sind auch repräsentative Studien selten. Eine ist die HBSC-Studie (Health Behavior in School-Aged Children Studie) - demnach sind 13 Prozent der Schüler und Schülerinnen in Deutschland regelmäßig in Mobbing verwickelt, also 1,4 Millionen.



Scheithauer forscht seit 25 Jahren zu Mobbing und sagt: Eine aktive Rolle der Schule sei ganz entscheidend. Ein Problem: Anti-Mobbing-Arbeit ist nicht Teil der Lehrkraftausbildung. Dadurch fehle es an Wissen und häufig auch an Einsicht.

Umfrage unter Schulleitern
:Mehr Gewalt an deutschen Schulen

Fast zwei Drittel von befragten Schulleitern in Deutschland geben an, dass psychische oder physische Gewalt an seiner Schule steigt. Auch von Eltern könne Gewalt ausgehen.
Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Eine Schülerin zeigt an einem Gymnasium während des Unterrichts einer Mitschülerin ihr Klappmesser.
mit Video

Das hat auch Fabian erlebt: "Mein Grundschullehrer damals hat da auch nicht viel gemacht. Seine Art, das Ganze zu retten, war dann im Stuhlkreis zu sitzen. Und dann war ich halt am Ende doch derjenige, der im Prinzip für das Problem gesorgt hat." Er will dazugehören, sucht den Fehler bei sich.

Ich wollte lange Zeit Suizid begehen und hab das dann auch meiner Mutter gesagt, von wegen, ich will einschlafen und nie wieder aufwachen.

Fabian, Betroffener




Experte: Täter-Opfer-Umkehr häufiges Muster

Hinzukommt: Fabians Vater arbeitet zu der Zeit selbst an der Schule - als Lehrer. Die Eltern machen sich große Vorwürfe und suchen in der Schule nach Hilfe.

Was sie daraufhin erlebt haben, macht Mutter Monika heute noch wütend: "Die haben das gedreht, auch diese Schulärztin, was mit dem Fabian los wäre und dass bei uns die Verhältnisse im Haus nicht stimmen, dass er nicht geerdet ist." Für Scheithauer ein bekanntes Muster:

Man nennt das "Blaming the Victim". Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, weil ja diejenigen, die darauf hinweisen, dass etwas nicht in Ordnung ist, als die Störenden wahrgenommen werden.

Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungs- und klinische Psychologie

Erzieher und Schüler

Wo das Bildungssystem an seine Grenzen kommt, hilft Prävention, dies zeigt der Antidiskriminierungs-Workshop "Stark auch ohne Muckis", an einer Grundschule in Hamm.

13.05.2025 | 3:44 min

Laut dem Experten müsse das keine böse Absicht sein. Lehrkräfte würden aufgrund der hohen Belastung in ihrem Arbeitsalltag Probleme oft nicht wahr- oder ernst nehmen. Das ZDF hat Fabians damalige Schule mit den Schilderungen konfrontiert. In dem Antwortschreiben zeigt sie sich einsichtig:

"Der Mobbingfall, in den Fabian verwickelt war, hat uns als Schule damals sehr beschäftigt, trotz vieler Bemühungen und dem guten Willen der Beteiligten ist es uns damals nicht gelungen, Fabian das Leid zu ersparen, welches Mobbingbetroffene erdulden müssen."

Und weiter: "Zwischenzeitlich hat sich an unserer Schule im Präventions- und Handlungsbereich vieles entwickeln können. Wir haben erfolgreich Schulsozialarbeit etabliert und ein Schutzkonzept für unsere Schülerinnen und Schüler erarbeitet."

Quelle: Stellungnahme der Schule


Experte: Lehrer brauchen bessere Ausbildung

Scheithauer hat mit weiteren Forschenden ein lehrkraftzentriertes Interventionsprogramm entwickelt. Lehrkräfte müssten vor dem Beruf besser ausgebildet und im Beruf besser ausgestattet werden. Zwar gibt es engagierte Schulen, doch laut Scheithauer genüge das nicht. Sein Appell:

Dass endlich verstanden wird, dass eine gute Anti-Mobbing-Arbeit selbstverständlich in jede Schule gehört.

Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Freie Universität Berlin

Deutsches Schulbarometer
:Was Schülern Sorgen macht und was man tun kann

Viele Schüler haben laut aktuellem Schulbarometer Sorgen: wegen Kriegen und Krisen. Aber auch, weil sie Angst vor schlechten Noten haben. Psychologe Seifried sieht Handlungsbedarf.
von Katia Rathsfeld
Archiv: Schüler bei der Abiprüfung

Ein Ziel: Schule und Schüler lösen und verhindern Konflikte gemeinsam. Fabians Familie ist gestärkt aus dieser Krise herausgekommen. Der 17-Jährige macht nächstes Jahr Abitur, will zur Bundeswehr und Medizin studieren. Sein Vater hat den Lehrerjob aufgegeben, arbeitet nun als selbstständiger Coach an Schulen, um ihnen das Werkzeug an die Hand zu geben, was ihm damals gefehlt hat.

Portrait von Prof. Dr. Herbert Scheithauer
Quelle: Freie Universität Berlin

... ist Universitätsprofessor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der Freien Universität Berlin.

Einige seiner Schwerpunkte sind: School Shooting, Aggression: Entwicklung & Prävention, Mobbing, Cyberbullying, Radikalisierung, Schulgewalt, Entwicklungsförderung, Zivilcourage.

Zu Mobbing forscht er seit 25 Jahren und hat das lehrkraftzentrierte Interventionsprogramm "Kooperativ gegen Mobbing" entwickelt.
Das Ziel: "Schulen stark machen im Umgang mit Mobbing und Gewalt und in der Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen".

Quelle: FU Berlin, fairplayer-kooperativ.de


Jenifer Girke ist Reporterin und Redakteurin im ZDF-Studio Nordrhein-Westfalen.

Mehr zum Thema psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen